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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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III. Absch. Von den reinen Verst. Begr. oder Categ.
Vermögen zu urtheilen, (welches eben so viel ist, als das
Vermögen zu denken) erzeugt, und nicht rhapsodistisch,
aus einer auf gut Glück unternommenen Aufsuchung rei-
ner Begriffe entstanden, deren Vollzähligkeit man niemals
gewiß seyn kan, da sie nur durch Induction geschlossen wird,
ohne zu gedenken, daß man noch auf die leztere Art nie-
mals einsieht, warum denn grade diese und nicht andre
Begriffe, dem reinen Verstande beywohnen. Es war ein,
eines scharfsinnigen Mannes würdiger Anschlag des Ari-
stoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber
kein Principium hatte, so rafte er sie auf, wie sie ihm auf-
stießen, und trieb deren zuerst zehn auf, die er Categorien
(Prädicamente) nannte. In der Folge glaubte er noch
ihrer fünfe aufgefunden zu haben, die er unter dem Na-
men der Postprädicamente hinzufügte. Allein seine Tafel
blieb noch immer mangelhaft. Ausserdem finden sich auch
einige modi der reinen Sinnlichkeit darunter (quando, vbi,
sirus,
imgleichen prius, simul) auch ein empirischer, (mo-
tus
) die in dieses Stammregister des Verstandes gar nicht
gehören, oder es sind auch die abgeleitete Begriffe mit un-
ter die Urbegriffe gezählt, (actio, passio) und an eini-
gen der leztern fehlt es gänzlich.

Um der leztern willen ist also noch zu bemerken: daß
die Categorien, als die wahren Stammbegriffe des rei-
nen Verstandes, auch ihre eben so reine abgeleitete Be-
griffe
haben, die in einem vollständigen System der Trans-
scendental-Philosophie keinesweges übergangen werden

können,
F

III. Abſch. Von den reinen Verſt. Begr. oder Categ.
Vermoͤgen zu urtheilen, (welches eben ſo viel iſt, als das
Vermoͤgen zu denken) erzeugt, und nicht rhapſodiſtiſch,
aus einer auf gut Gluͤck unternommenen Aufſuchung rei-
ner Begriffe entſtanden, deren Vollzaͤhligkeit man niemals
gewiß ſeyn kan, da ſie nur durch Induction geſchloſſen wird,
ohne zu gedenken, daß man noch auf die leztere Art nie-
mals einſieht, warum denn grade dieſe und nicht andre
Begriffe, dem reinen Verſtande beywohnen. Es war ein,
eines ſcharfſinnigen Mannes wuͤrdiger Anſchlag des Ari-
ſtoteles, dieſe Grundbegriffe aufzuſuchen. Da er aber
kein Principium hatte, ſo rafte er ſie auf, wie ſie ihm auf-
ſtießen, und trieb deren zuerſt zehn auf, die er Categorien
(Praͤdicamente) nannte. In der Folge glaubte er noch
ihrer fuͤnfe aufgefunden zu haben, die er unter dem Na-
men der Poſtpraͤdicamente hinzufuͤgte. Allein ſeine Tafel
blieb noch immer mangelhaft. Auſſerdem finden ſich auch
einige modi der reinen Sinnlichkeit darunter (quando, vbi,
ſirus,
imgleichen prius, ſimul) auch ein empiriſcher, (mo-
tus
) die in dieſes Stammregiſter des Verſtandes gar nicht
gehoͤren, oder es ſind auch die abgeleitete Begriffe mit un-
ter die Urbegriffe gezaͤhlt, (actio, paſſio) und an eini-
gen der leztern fehlt es gaͤnzlich.

Um der leztern willen iſt alſo noch zu bemerken: daß
die Categorien, als die wahren Stammbegriffe des rei-
nen Verſtandes, auch ihre eben ſo reine abgeleitete Be-
griffe
haben, die in einem vollſtaͤndigen Syſtem der Trans-
ſcendental-Philoſophie keinesweges uͤbergangen werden

koͤnnen,
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[81/0111] III. Abſch. Von den reinen Verſt. Begr. oder Categ. Vermoͤgen zu urtheilen, (welches eben ſo viel iſt, als das Vermoͤgen zu denken) erzeugt, und nicht rhapſodiſtiſch, aus einer auf gut Gluͤck unternommenen Aufſuchung rei- ner Begriffe entſtanden, deren Vollzaͤhligkeit man niemals gewiß ſeyn kan, da ſie nur durch Induction geſchloſſen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die leztere Art nie- mals einſieht, warum denn grade dieſe und nicht andre Begriffe, dem reinen Verſtande beywohnen. Es war ein, eines ſcharfſinnigen Mannes wuͤrdiger Anſchlag des Ari- ſtoteles, dieſe Grundbegriffe aufzuſuchen. Da er aber kein Principium hatte, ſo rafte er ſie auf, wie ſie ihm auf- ſtießen, und trieb deren zuerſt zehn auf, die er Categorien (Praͤdicamente) nannte. In der Folge glaubte er noch ihrer fuͤnfe aufgefunden zu haben, die er unter dem Na- men der Poſtpraͤdicamente hinzufuͤgte. Allein ſeine Tafel blieb noch immer mangelhaft. Auſſerdem finden ſich auch einige modi der reinen Sinnlichkeit darunter (quando, vbi, ſirus, imgleichen prius, ſimul) auch ein empiriſcher, (mo- tus) die in dieſes Stammregiſter des Verſtandes gar nicht gehoͤren, oder es ſind auch die abgeleitete Begriffe mit un- ter die Urbegriffe gezaͤhlt, (actio, paſſio) und an eini- gen der leztern fehlt es gaͤnzlich. Um der leztern willen iſt alſo noch zu bemerken: daß die Categorien, als die wahren Stammbegriffe des rei- nen Verſtandes, auch ihre eben ſo reine abgeleitete Be- griffe haben, die in einem vollſtaͤndigen Syſtem der Trans- ſcendental-Philoſophie keinesweges uͤbergangen werden koͤnnen, F

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/111>, abgerufen am 27.04.2024.