Verhältniß der Theile der Sphäre eines Erkentnisses, da die Sphäre eines ieden Theils ein Ergänzungsstück der Sphäre des andern zu dem ganzen Inbegriff der einge- theilten Erkentniß ist, z. E. die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Nothwendigkeit, oder durch eine äussere Ursache. Jeder dieser Sätze nimmt einen Theil der Sphäre des möglichen Erkentnisses über das Daseyn einer Welt überhaupt ein, alle zusammen die ganze Sphäre. Das Erkentniß aus einer dieser Sphären wegnehmen, heißt, sie in eine der übrigen setzen, und da- gegen sie in eine Sphäre setzen, heist, sie aus den übrigen wegnehmen. Es ist also in einem disiunctiven Urtheile eine gewisse Gemeinschaft der Erkentnisse, die darin besteht, daß sie sich wechselseitig einander ausschliessen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkentniß bestimmen, indem sie zusam- mengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkentniß ausmachen. Und dieses ist es auch nur, was ich des folgenden wegen hiebey anzumerken nöthig finde.
4. Die Modalität der Urtheile ist eine ganz beson- dere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalte des Urtheils beyträgt, (denn [au]sser Grösse, Qualität und Verhältniß ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urtheils ausmachte) sondern nur den Werth der Copula in Beziehung auf das Denken über- haupt angeht. Problematische Urtheile sind solche, wo man das Beiahen, oder Verneinen als blos möglich (be- liebig) annimt. Assertorische, da es als wirklich (wahr)
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Elemental. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt.
Verhaͤltniß der Theile der Sphaͤre eines Erkentniſſes, da die Sphaͤre eines ieden Theils ein Ergaͤnzungsſtuͤck der Sphaͤre des andern zu dem ganzen Inbegriff der einge- theilten Erkentniß iſt, z. E. die Welt iſt entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Nothwendigkeit, oder durch eine aͤuſſere Urſache. Jeder dieſer Saͤtze nimmt einen Theil der Sphaͤre des moͤglichen Erkentniſſes uͤber das Daſeyn einer Welt uͤberhaupt ein, alle zuſammen die ganze Sphaͤre. Das Erkentniß aus einer dieſer Sphaͤren wegnehmen, heißt, ſie in eine der uͤbrigen ſetzen, und da- gegen ſie in eine Sphaͤre ſetzen, heiſt, ſie aus den uͤbrigen wegnehmen. Es iſt alſo in einem disiunctiven Urtheile eine gewiſſe Gemeinſchaft der Erkentniſſe, die darin beſteht, daß ſie ſich wechſelſeitig einander ausſchlieſſen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkentniß beſtimmen, indem ſie zuſam- mengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkentniß ausmachen. Und dieſes iſt es auch nur, was ich des folgenden wegen hiebey anzumerken noͤthig finde.
4. Die Modalitaͤt der Urtheile iſt eine ganz beſon- dere Funktion derſelben, die das Unterſcheidende an ſich hat, daß ſie nichts zum Inhalte des Urtheils beytraͤgt, (denn [au]ſſer Groͤſſe, Qualitaͤt und Verhaͤltniß iſt nichts mehr, was den Inhalt eines Urtheils ausmachte) ſondern nur den Werth der Copula in Beziehung auf das Denken uͤber- haupt angeht. Problematiſche Urtheile ſind ſolche, wo man das Beiahen, oder Verneinen als blos moͤglich (be- liebig) annimt. Aſſertoriſche, da es als wirklich (wahr)
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Elemental. II. Th. I. Abth. I. Buch. I. Hauptſt.
Verhaͤltniß der Theile der Sphaͤre eines Erkentniſſes, da
die Sphaͤre eines ieden Theils ein Ergaͤnzungsſtuͤck der
Sphaͤre des andern zu dem ganzen Inbegriff der einge-
theilten Erkentniß iſt, z. E. die Welt iſt entweder durch
einen blinden Zufall da, oder durch innre Nothwendigkeit,
oder durch eine aͤuſſere Urſache. Jeder dieſer Saͤtze nimmt
einen Theil der Sphaͤre des moͤglichen Erkentniſſes uͤber
das Daſeyn einer Welt uͤberhaupt ein, alle zuſammen die
ganze Sphaͤre. Das Erkentniß aus einer dieſer Sphaͤren
wegnehmen, heißt, ſie in eine der uͤbrigen ſetzen, und da-
gegen ſie in eine Sphaͤre ſetzen, heiſt, ſie aus den uͤbrigen
wegnehmen. Es iſt alſo in einem disiunctiven Urtheile eine
gewiſſe Gemeinſchaft der Erkentniſſe, die darin beſteht, daß ſie
ſich wechſelſeitig einander ausſchlieſſen, aber dadurch doch im
Ganzen die wahre Erkentniß beſtimmen, indem ſie zuſam-
mengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen
Erkentniß ausmachen. Und dieſes iſt es auch nur, was ich
des folgenden wegen hiebey anzumerken noͤthig finde.
4. Die Modalitaͤt der Urtheile iſt eine ganz beſon-
dere Funktion derſelben, die das Unterſcheidende an ſich
hat, daß ſie nichts zum Inhalte des Urtheils beytraͤgt, (denn
auſſer Groͤſſe, Qualitaͤt und Verhaͤltniß iſt nichts mehr,
was den Inhalt eines Urtheils ausmachte) ſondern nur
den Werth der Copula in Beziehung auf das Denken uͤber-
haupt angeht. Problematiſche Urtheile ſind ſolche, wo
man das Beiahen, oder Verneinen als blos moͤglich (be-
liebig) annimt. Aſſertoriſche, da es als wirklich (wahr)
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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