Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.der reinen practischen Vernunft. derjenige, der gerne Brodt essen möchte, sich eine Mühle aus-zudenken habe). Aber practische Vorschriften, die sich auf sie gründen, können niemals allgemein seyn, denn der Bestim- mungsgrund des Begehrungsvermögens ist auf das Gefühl der Lust und Unlust, das niemals als allgemein auf dieselben Gegenstände gerichtet, angenommen werden kann, gegründet. Aber gesetzt, endliche vernünftige Wesen dächten auch doch
der reinen practiſchen Vernunft. derjenige, der gerne Brodt eſſen moͤchte, ſich eine Muͤhle aus-zudenken habe). Aber practiſche Vorſchriften, die ſich auf ſie gruͤnden, koͤnnen niemals allgemein ſeyn, denn der Beſtim- mungsgrund des Begehrungsvermoͤgens iſt auf das Gefuͤhl der Luſt und Unluſt, das niemals als allgemein auf dieſelben Gegenſtaͤnde gerichtet, angenommen werden kann, gegruͤndet. Aber geſetzt, endliche vernuͤnftige Weſen daͤchten auch doch
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der reinen practiſchen Vernunft.
derjenige, der gerne Brodt eſſen moͤchte, ſich eine Muͤhle aus-
zudenken habe). Aber practiſche Vorſchriften, die ſich auf ſie
gruͤnden, koͤnnen niemals allgemein ſeyn, denn der Beſtim-
mungsgrund des Begehrungsvermoͤgens iſt auf das Gefuͤhl
der Luſt und Unluſt, das niemals als allgemein auf dieſelben
Gegenſtaͤnde gerichtet, angenommen werden kann, gegruͤndet.
Aber geſetzt, endliche vernuͤnftige Weſen daͤchten auch
in Anſehung deſſen, was ſie fuͤr Objecte ihrer Gefuͤhle des
Vergnuͤgens oder Schmerzens anzunehmen haͤtten, imgleichen
ſogar in Anſehung der Mittel, deren ſie ſich bedienen muͤſſen,
um die erſtern zu erreichen, die andern abzuhalten, durchgehends
einerley, ſo wuͤrde das Princip der Selbſtliebe dennoch
von ihnen durchaus fuͤr kein practiſches Geſetz ausgegeben
werden koͤnnen; denn dieſe Einhelligkeit waͤre ſelbſt doch nur
zufaͤllig. Der Beſtimmungsgrund waͤre immer doch nur ſub-
jectiv guͤltig und blos empiriſch, und haͤtte diejenige Nothwen-
digkeit nicht, die in einem jeden Geſetze gedacht wird, nem-
lich die objective aus Gruͤnden a priori; man muͤßte denn dieſe
Nothwendigkeit gar nicht fuͤr practiſch, ſondern fuͤr blos phy-
ſiſch ausgeben, nemlich daß die Handlung durch unſere Nei-
gung uns eben ſo unausbleiblich abgenoͤthigt wuͤrde, als das
Gaͤhnen, wenn wir andere gaͤhnen ſehen. Man wuͤrde eher
behaupten koͤnnen, daß es gar keine practiſche Geſetze gebe,
ſondern nur Anrathungen zum Behuf unſerer Begierden, als
daß blos ſubjective Principien zum Range practiſcher Geſetze
erhoben wuͤrden, die durchaus objective und nicht blos ſubjective
Nothwendigkeit haben, und durch Vernunft a priori, nicht
durch Erfahrung (ſo empiriſch allgemein dieſe auch ſeyn mag)
erkannt ſeyn muͤſſen. Selbſt die Regeln einſtimmiger Erſchei-
nungen werden nur Naturgeſetze (z. B. die mechaniſchen) ge-
nannt, wenn man ſie entweder wirklich a priori erkennt, oder
doch
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Zitationshilfe: | Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/55>, abgerufen am 16.07.2024. |