Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsätzen
Gesetze dienen kann, so kann ein solches Princip nie-
mals ein practisches Gesetz abgeben.

§. 3.
Lehrsatz II.

Alle materiale practische Principien sind, als sol-
che, insgesamt von einer und derselben Art, und ge-
hören unter das allgemeine Princip der Selbstliebe, oder
eigenen Glückseligkeit.

Die Lust aus der Vorstellung der Existenz einer
Sache, so fern sie ein Bestimmungsgrund des Begeh-
rens dieser Sache seyn soll, gründet sich auf der Em-
pfänglichkeit
des Subjects, weil sie von dem Daseyn
eines Gegenstandes abhängt; mithin gehört sie dem
Sinne (Gefühl) und nicht dem Verstande an, der eine
Beziehung der Vorstellung auf ein Object, nach Be-
griffen, aber nicht auf das Subject, nach Gefühlen,
ausdrückt. Sie ist also nur so fern practisch, als die
Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subject
von der Wirklichkeit des Gegenstandes erwartet, das
Begehrungsvermögen bestimmt. Nun ist aber das Be-
wußtseyn eines vernünftigen Wesens von der Annehm-
lichkeit des Lebens, die ununterbrochen sein ganzes Da-
seyn begleitet, die Glückseligkeit, und das Princip, diese
sich zum höchsten Bestimmungsgrunde der Willkühr zu
machen, das Princip der Selbstliebe. Also sind alle
materiale Principien, die den Bestimmungsgrund der

Will-

I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
Geſetze dienen kann, ſo kann ein ſolches Princip nie-
mals ein practiſches Geſetz abgeben.

§. 3.
Lehrſatz II.

Alle materiale practiſche Principien ſind, als ſol-
che, insgeſamt von einer und derſelben Art, und ge-
hoͤren unter das allgemeine Princip der Selbſtliebe, oder
eigenen Gluͤckſeligkeit.

Die Luſt aus der Vorſtellung der Exiſtenz einer
Sache, ſo fern ſie ein Beſtimmungsgrund des Begeh-
rens dieſer Sache ſeyn ſoll, gruͤndet ſich auf der Em-
pfaͤnglichkeit
des Subjects, weil ſie von dem Daſeyn
eines Gegenſtandes abhaͤngt; mithin gehoͤrt ſie dem
Sinne (Gefuͤhl) und nicht dem Verſtande an, der eine
Beziehung der Vorſtellung auf ein Object, nach Be-
griffen, aber nicht auf das Subject, nach Gefuͤhlen,
ausdruͤckt. Sie iſt alſo nur ſo fern practiſch, als die
Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subject
von der Wirklichkeit des Gegenſtandes erwartet, das
Begehrungsvermoͤgen beſtimmt. Nun iſt aber das Be-
wußtſeyn eines vernuͤnftigen Weſens von der Annehm-
lichkeit des Lebens, die ununterbrochen ſein ganzes Da-
ſeyn begleitet, die Gluͤckſeligkeit, und das Princip, dieſe
ſich zum hoͤchſten Beſtimmungsgrunde der Willkuͤhr zu
machen, das Princip der Selbſtliebe. Alſo ſind alle
materiale Principien, die den Beſtimmungsgrund der

Will-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0048" n="40"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> B. <hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. Von den Grund&#x017F;a&#x0364;tzen</fw><lb/>
Ge&#x017F;etze dienen kann, &#x017F;o kann ein &#x017F;olches Princip nie-<lb/>
mals ein practi&#x017F;ches Ge&#x017F;etz abgeben.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">§. 3.<lb/><hi rendition="#g">Lehr&#x017F;atz</hi> <hi rendition="#aq">II.</hi></hi> </head><lb/>
              <p>Alle materiale practi&#x017F;che Principien &#x017F;ind, als &#x017F;ol-<lb/>
che, insge&#x017F;amt von einer und der&#x017F;elben Art, und ge-<lb/>
ho&#x0364;ren unter das allgemeine Princip der Selb&#x017F;tliebe, oder<lb/>
eigenen Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit.</p><lb/>
              <p>Die Lu&#x017F;t aus der Vor&#x017F;tellung der Exi&#x017F;tenz einer<lb/>
Sache, &#x017F;o fern &#x017F;ie ein Be&#x017F;timmungsgrund des Begeh-<lb/>
rens die&#x017F;er Sache &#x017F;eyn &#x017F;oll, gru&#x0364;ndet &#x017F;ich auf der <hi rendition="#fr">Em-<lb/>
pfa&#x0364;nglichkeit</hi> des Subjects, weil &#x017F;ie von dem Da&#x017F;eyn<lb/>
eines Gegen&#x017F;tandes <hi rendition="#fr">abha&#x0364;ngt</hi>; mithin geho&#x0364;rt &#x017F;ie dem<lb/>
Sinne (Gefu&#x0364;hl) und nicht dem Ver&#x017F;tande an, der eine<lb/>
Beziehung der Vor&#x017F;tellung <hi rendition="#fr">auf ein Object</hi>, nach Be-<lb/>
griffen, aber nicht auf das Subject, nach Gefu&#x0364;hlen,<lb/>
ausdru&#x0364;ckt. Sie i&#x017F;t al&#x017F;o nur &#x017F;o fern practi&#x017F;ch, als die<lb/>
Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subject<lb/>
von der Wirklichkeit des Gegen&#x017F;tandes erwartet, das<lb/>
Begehrungsvermo&#x0364;gen be&#x017F;timmt. Nun i&#x017F;t aber das Be-<lb/>
wußt&#x017F;eyn eines vernu&#x0364;nftigen We&#x017F;ens von der Annehm-<lb/>
lichkeit des Lebens, die ununterbrochen &#x017F;ein ganzes Da-<lb/>
&#x017F;eyn begleitet, die <hi rendition="#fr">Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit</hi>, und das Princip, die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ich zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten Be&#x017F;timmungsgrunde der Willku&#x0364;hr zu<lb/>
machen, das Princip der Selb&#x017F;tliebe. Al&#x017F;o &#x017F;ind alle<lb/>
materiale Principien, die den Be&#x017F;timmungsgrund der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Will-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0048] I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen Geſetze dienen kann, ſo kann ein ſolches Princip nie- mals ein practiſches Geſetz abgeben. §. 3. Lehrſatz II. Alle materiale practiſche Principien ſind, als ſol- che, insgeſamt von einer und derſelben Art, und ge- hoͤren unter das allgemeine Princip der Selbſtliebe, oder eigenen Gluͤckſeligkeit. Die Luſt aus der Vorſtellung der Exiſtenz einer Sache, ſo fern ſie ein Beſtimmungsgrund des Begeh- rens dieſer Sache ſeyn ſoll, gruͤndet ſich auf der Em- pfaͤnglichkeit des Subjects, weil ſie von dem Daſeyn eines Gegenſtandes abhaͤngt; mithin gehoͤrt ſie dem Sinne (Gefuͤhl) und nicht dem Verſtande an, der eine Beziehung der Vorſtellung auf ein Object, nach Be- griffen, aber nicht auf das Subject, nach Gefuͤhlen, ausdruͤckt. Sie iſt alſo nur ſo fern practiſch, als die Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subject von der Wirklichkeit des Gegenſtandes erwartet, das Begehrungsvermoͤgen beſtimmt. Nun iſt aber das Be- wußtſeyn eines vernuͤnftigen Weſens von der Annehm- lichkeit des Lebens, die ununterbrochen ſein ganzes Da- ſeyn begleitet, die Gluͤckſeligkeit, und das Princip, dieſe ſich zum hoͤchſten Beſtimmungsgrunde der Willkuͤhr zu machen, das Princip der Selbſtliebe. Alſo ſind alle materiale Principien, die den Beſtimmungsgrund der Will-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/48
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/48>, abgerufen am 24.11.2024.