Wege (der Physik) immer ein nicht genau bestimmter Begriff von der Vollkommenheit des ersten Wesens, um ihn dem Begriffe einer Gottheit für angemessen zu hal- ten (mit der Metaphysik aber in ihrem transscendenta- len Theile ist gar nichts auszurichten).
Ich versuche nun diesen Begriff an das Object der practischen Vernunft zu halten, und da finde ich, daß der moralische Grundsatz ihn nur als möglich, unter Voraussetzung eines Welturhebers von höchster Voll- kommenheit, zulasse. Er muß allwissend seyn, um mein Verhalten bis zum Innersten meiner Gesinnung in allen möglichen Fällen und in alle Zukunft zu erkennen; allmächtig, um ihm die angemessenen Folgen zu erthei- len; eben so allgegenwärtig, ewig, u. s. w. Mithin bestimmt das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts, als Gegenstandes einer reinen practischen Vernunft, den Begriff des Urwesens als höchsten We- sens, welches der physische (und höher fortgesetzt der metaphysische) mithin der ganze speculative Gang der Vernunft nicht bewirken konnte. Also ist der Begriff von Gott ein ursprünglich nicht zur Physik, d. i. für die speculative Vernunft, sondern zur Mo- ral gehöriger Begriff, und eben das kann man auch von den übrigen Vernunftbegriffen sagen, von denen wir, als Postulaten derselben in ihrem practischen Ge- brauche, oben gehandelt haben.
Wenn
I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
Wege (der Phyſik) immer ein nicht genau beſtimmter Begriff von der Vollkommenheit des erſten Weſens, um ihn dem Begriffe einer Gottheit fuͤr angemeſſen zu hal- ten (mit der Metaphyſik aber in ihrem transſcendenta- len Theile iſt gar nichts auszurichten).
Ich verſuche nun dieſen Begriff an das Object der practiſchen Vernunft zu halten, und da finde ich, daß der moraliſche Grundſatz ihn nur als moͤglich, unter Vorausſetzung eines Welturhebers von hoͤchſter Voll- kommenheit, zulaſſe. Er muß allwiſſend ſeyn, um mein Verhalten bis zum Innerſten meiner Geſinnung in allen moͤglichen Faͤllen und in alle Zukunft zu erkennen; allmaͤchtig, um ihm die angemeſſenen Folgen zu erthei- len; eben ſo allgegenwaͤrtig, ewig, u. ſ. w. Mithin beſtimmt das moraliſche Geſetz durch den Begriff des hoͤchſten Guts, als Gegenſtandes einer reinen practiſchen Vernunft, den Begriff des Urweſens als hoͤchſten We- ſens, welches der phyſiſche (und hoͤher fortgeſetzt der metaphyſiſche) mithin der ganze ſpeculative Gang der Vernunft nicht bewirken konnte. Alſo iſt der Begriff von Gott ein urſpruͤnglich nicht zur Phyſik, d. i. fuͤr die ſpeculative Vernunft, ſondern zur Mo- ral gehoͤriger Begriff, und eben das kann man auch von den uͤbrigen Vernunftbegriffen ſagen, von denen wir, als Poſtulaten derſelben in ihrem practiſchen Ge- brauche, oben gehandelt haben.
Wenn
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I. Th. II. B. II. Hauptſt. Von der Dialectik
Wege (der Phyſik) immer ein nicht genau beſtimmter
Begriff von der Vollkommenheit des erſten Weſens, um
ihn dem Begriffe einer Gottheit fuͤr angemeſſen zu hal-
ten (mit der Metaphyſik aber in ihrem transſcendenta-
len Theile iſt gar nichts auszurichten).
Ich verſuche nun dieſen Begriff an das Object der
practiſchen Vernunft zu halten, und da finde ich, daß
der moraliſche Grundſatz ihn nur als moͤglich, unter
Vorausſetzung eines Welturhebers von hoͤchſter Voll-
kommenheit, zulaſſe. Er muß allwiſſend ſeyn, um
mein Verhalten bis zum Innerſten meiner Geſinnung in
allen moͤglichen Faͤllen und in alle Zukunft zu erkennen;
allmaͤchtig, um ihm die angemeſſenen Folgen zu erthei-
len; eben ſo allgegenwaͤrtig, ewig, u. ſ. w. Mithin
beſtimmt das moraliſche Geſetz durch den Begriff des
hoͤchſten Guts, als Gegenſtandes einer reinen practiſchen
Vernunft, den Begriff des Urweſens als hoͤchſten We-
ſens, welches der phyſiſche (und hoͤher fortgeſetzt der
metaphyſiſche) mithin der ganze ſpeculative Gang der
Vernunft nicht bewirken konnte. Alſo iſt der Begriff
von Gott ein urſpruͤnglich nicht zur Phyſik, d. i.
fuͤr die ſpeculative Vernunft, ſondern zur Mo-
ral gehoͤriger Begriff, und eben das kann man auch
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/260>, abgerufen am 16.02.2025.
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