Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.nicht einschmeicheln. Es muß auf die Einladung Anderer zutraulich seyn, ohne Zudringlichkeit; freymüthig, ohne Dummdreistigkeit. Das Mittel dazu ist: man verderbe nur nichts, man bringe ihm nicht Begriffe von Anstand bey, durch die es nur schüchtern und menschenscheu gemacht, oder, auf der andern Seite, auf die Idee gebracht wird, sich geltend machen zu wollen. Nichts ist lächerlicher, als altkluge Sittsamkeit, oder naseweiser Eigendünkel des Kindes. Im letztem Falle müssen wir um so mehr das Kind seine Schwächen, aber doch auch nicht zu sehr unsre Ueberlegenheit und Herrschaft empfinden lassen, damit es sich zwar, aus sich selbst ausbilde, aber nur als in der Gesellschaft, wo die Welt zwar groß genug für dasselbe, aber auch für Andre seyn muß. Toby sagt im Tristram Schandy zu einer Fliege, die ihn lange beunruhiget hatte, indem er sie zum Fenster hinausläßt: "Gehe, du böses Thier, die Welt ist groß genug für mich und dich!" Und dies könnte jeder zu seinem Wahlspruche machen. Wir dürfen uns nicht einander lästig werden; die Welt ist groß genug für uns Alle. Wir kommen jetzt zur Kultur der Seele, die man gewissermaßen auch physisch nennen kann. Man muß aber Natur und Freyheit von einander unterscheiden. Der Freyheit gesetze geben, ist ganz etwas anderes, als die Natur bilden. Die Natur des Körpers und nicht einschmeicheln. Es muß auf die Einladung Anderer zutraulich seyn, ohne Zudringlichkeit; freymüthig, ohne Dummdreistigkeit. Das Mittel dazu ist: man verderbe nur nichts, man bringe ihm nicht Begriffe von Anstand bey, durch die es nur schüchtern und menschenscheu gemacht, oder, auf der andern Seite, auf die Idee gebracht wird, sich geltend machen zu wollen. Nichts ist lächerlicher, als altkluge Sittsamkeit, oder naseweiser Eigendünkel des Kindes. Im letztem Falle müssen wir um so mehr das Kind seine Schwächen, aber doch auch nicht zu sehr unsre Ueberlegenheit und Herrschaft empfinden lassen, damit es sich zwar, aus sich selbst ausbilde, aber nur als in der Gesellschaft, wo die Welt zwar groß genug für dasselbe, aber auch für Andre seyn muß. Toby sagt im Tristram Schandy zu einer Fliege, die ihn lange beunruhiget hatte, indem er sie zum Fenster hinausläßt: „Gehe, du böses Thier, die Welt ist groß genug für mich und dich!“ Und dies könnte jeder zu seinem Wahlspruche machen. Wir dürfen uns nicht einander lästig werden; die Welt ist groß genug für uns Alle. Wir kommen jetzt zur Kultur der Seele, die man gewissermaßen auch physisch nennen kann. Man muß aber Natur und Freyheit von einander unterscheiden. Der Freyheit gesetze geben, ist ganz etwas anderes, als die Natur bilden. Die Natur des Körpers und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0052" n="52"/> nicht einschmeicheln. Es muß auf die Einladung Anderer zutraulich seyn, ohne Zudringlichkeit; freymüthig, ohne Dummdreistigkeit. Das Mittel dazu ist: man verderbe nur nichts, man bringe ihm nicht Begriffe von Anstand bey, durch die es nur schüchtern und menschenscheu gemacht, oder, auf der andern Seite, auf die Idee gebracht wird, sich geltend machen zu wollen. Nichts ist lächerlicher, als altkluge Sittsamkeit, oder naseweiser Eigendünkel des Kindes. Im letztem Falle müssen wir um so mehr das Kind seine Schwächen, aber doch auch nicht zu sehr unsre Ueberlegenheit und Herrschaft empfinden lassen, damit es sich zwar, aus sich selbst ausbilde, aber nur als in der Gesellschaft, wo die Welt zwar groß genug für dasselbe, aber auch für Andre seyn muß.</p> <p><hi rendition="#g">Toby</hi> sagt im <hi rendition="#g">Tristram Schandy</hi> zu einer Fliege, die ihn lange beunruhiget hatte, indem er sie zum Fenster hinausläßt: „Gehe, du böses Thier, die Welt ist groß genug für mich und dich!“ Und dies könnte jeder zu seinem Wahlspruche machen. Wir dürfen uns nicht einander lästig werden; die Welt ist groß genug für uns Alle.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p> Wir kommen jetzt zur Kultur der Seele, die man gewissermaßen auch physisch nennen kann. Man muß aber Natur und Freyheit von einander unterscheiden. Der Freyheit gesetze geben, ist ganz etwas anderes, als die Natur bilden. Die Natur des Körpers und </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0052]
nicht einschmeicheln. Es muß auf die Einladung Anderer zutraulich seyn, ohne Zudringlichkeit; freymüthig, ohne Dummdreistigkeit. Das Mittel dazu ist: man verderbe nur nichts, man bringe ihm nicht Begriffe von Anstand bey, durch die es nur schüchtern und menschenscheu gemacht, oder, auf der andern Seite, auf die Idee gebracht wird, sich geltend machen zu wollen. Nichts ist lächerlicher, als altkluge Sittsamkeit, oder naseweiser Eigendünkel des Kindes. Im letztem Falle müssen wir um so mehr das Kind seine Schwächen, aber doch auch nicht zu sehr unsre Ueberlegenheit und Herrschaft empfinden lassen, damit es sich zwar, aus sich selbst ausbilde, aber nur als in der Gesellschaft, wo die Welt zwar groß genug für dasselbe, aber auch für Andre seyn muß.
Toby sagt im Tristram Schandy zu einer Fliege, die ihn lange beunruhiget hatte, indem er sie zum Fenster hinausläßt: „Gehe, du böses Thier, die Welt ist groß genug für mich und dich!“ Und dies könnte jeder zu seinem Wahlspruche machen. Wir dürfen uns nicht einander lästig werden; die Welt ist groß genug für uns Alle.
Wir kommen jetzt zur Kultur der Seele, die man gewissermaßen auch physisch nennen kann. Man muß aber Natur und Freyheit von einander unterscheiden. Der Freyheit gesetze geben, ist ganz etwas anderes, als die Natur bilden. Die Natur des Körpers und
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