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Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

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Allgemeine Naturgeschichte
unter allen vernünftigen Wesen dasjenige ist, wel-
ches wir am deutlichsten kennen, ob uns gleich seine
innere Beschaffenheit annoch ein unerforschtes
Problema ist, muß in dieser Vergleichung zum
Grunde und zum allgemeinen Beziehungspunkte die-
nen. Wir wollen ihn allhier nicht nach seinen mo-
ralischen Eigenschaften, auch nicht nach der physi-
schen Einrichtung seines Baues betrachten: wir
wollen nur untersuchen, was das Vermögen, ver-
nünftig zu denken, und die Bewegung seines Lei-
bes, die diesem gehorchet, durch die, dem Abstande
von der Sonne proportionirte Beschaffenheit der
Materie, an die er geknüpfet ist, vor Einschrän-
kungen leide. Des unendlichen Abstandes unge-
achtet, welcher zwischen der Kraft, zu denken, und der
Bewegung der Materie, zwischen dem vernünftigen
Geiste, und dem Körper, anzutreffen ist, so ist es
doch gewiß, daß der Mensch, der alle seine Begrif-
fe und Vorstellungen von dem Eindrucke her hat,
die das Universum, vermittelst des Körpers, in
seiner Seele erreget, sowohl in Ansehung der Deut-
lichkeit derselben, als auch der Fertigkeit, dieselbe
zu verbinden und zu vergleichen, welche man das
Vermögen zu denken nennet, von der Beschaffen-
heit dieser Materie völlig abhängt, an die der
Schöpfer ihn gebunden hat.

Der Mensch ist erschaffen, die Eindrücke und
Rührungen, die die Welt in ihm erregen soll, durch
denjenigen Körper anzunehmen, der der sichtbare
Theil seines Wesens ist, und dessen Materie nicht
allein dem unsichtbaren Geiste, welcher ihn bewoh-

net,

Allgemeine Naturgeſchichte
unter allen vernuͤnftigen Weſen dasjenige iſt, wel-
ches wir am deutlichſten kennen, ob uns gleich ſeine
innere Beſchaffenheit annoch ein unerforſchtes
Problema iſt, muß in dieſer Vergleichung zum
Grunde und zum allgemeinen Beziehungspunkte die-
nen. Wir wollen ihn allhier nicht nach ſeinen mo-
raliſchen Eigenſchaften, auch nicht nach der phyſi-
ſchen Einrichtung ſeines Baues betrachten: wir
wollen nur unterſuchen, was das Vermoͤgen, ver-
nuͤnftig zu denken, und die Bewegung ſeines Lei-
bes, die dieſem gehorchet, durch die, dem Abſtande
von der Sonne proportionirte Beſchaffenheit der
Materie, an die er geknuͤpfet iſt, vor Einſchraͤn-
kungen leide. Des unendlichen Abſtandes unge-
achtet, welcher zwiſchen der Kraft, zu denken, und der
Bewegung der Materie, zwiſchen dem vernuͤnftigen
Geiſte, und dem Koͤrper, anzutreffen iſt, ſo iſt es
doch gewiß, daß der Menſch, der alle ſeine Begrif-
fe und Vorſtellungen von dem Eindrucke her hat,
die das Univerſum, vermittelſt des Koͤrpers, in
ſeiner Seele erreget, ſowohl in Anſehung der Deut-
lichkeit derſelben, als auch der Fertigkeit, dieſelbe
zu verbinden und zu vergleichen, welche man das
Vermoͤgen zu denken nennet, von der Beſchaffen-
heit dieſer Materie voͤllig abhaͤngt, an die der
Schoͤpfer ihn gebunden hat.

Der Menſch iſt erſchaffen, die Eindruͤcke und
Ruͤhrungen, die die Welt in ihm erregen ſoll, durch
denjenigen Koͤrper anzunehmen, der der ſichtbare
Theil ſeines Weſens iſt, und deſſen Materie nicht
allein dem unſichtbaren Geiſte, welcher ihn bewoh-

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[180/0248] Allgemeine Naturgeſchichte unter allen vernuͤnftigen Weſen dasjenige iſt, wel- ches wir am deutlichſten kennen, ob uns gleich ſeine innere Beſchaffenheit annoch ein unerforſchtes Problema iſt, muß in dieſer Vergleichung zum Grunde und zum allgemeinen Beziehungspunkte die- nen. Wir wollen ihn allhier nicht nach ſeinen mo- raliſchen Eigenſchaften, auch nicht nach der phyſi- ſchen Einrichtung ſeines Baues betrachten: wir wollen nur unterſuchen, was das Vermoͤgen, ver- nuͤnftig zu denken, und die Bewegung ſeines Lei- bes, die dieſem gehorchet, durch die, dem Abſtande von der Sonne proportionirte Beſchaffenheit der Materie, an die er geknuͤpfet iſt, vor Einſchraͤn- kungen leide. Des unendlichen Abſtandes unge- achtet, welcher zwiſchen der Kraft, zu denken, und der Bewegung der Materie, zwiſchen dem vernuͤnftigen Geiſte, und dem Koͤrper, anzutreffen iſt, ſo iſt es doch gewiß, daß der Menſch, der alle ſeine Begrif- fe und Vorſtellungen von dem Eindrucke her hat, die das Univerſum, vermittelſt des Koͤrpers, in ſeiner Seele erreget, ſowohl in Anſehung der Deut- lichkeit derſelben, als auch der Fertigkeit, dieſelbe zu verbinden und zu vergleichen, welche man das Vermoͤgen zu denken nennet, von der Beſchaffen- heit dieſer Materie voͤllig abhaͤngt, an die der Schoͤpfer ihn gebunden hat. Der Menſch iſt erſchaffen, die Eindruͤcke und Ruͤhrungen, die die Welt in ihm erregen ſoll, durch denjenigen Koͤrper anzunehmen, der der ſichtbare Theil ſeines Weſens iſt, und deſſen Materie nicht allein dem unſichtbaren Geiſte, welcher ihn bewoh- net,

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/248>, abgerufen am 03.05.2024.