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Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

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Allgemeine Naturgeschichte
Ewigkeit alle mögliche Perioden in sich halten, um
durch einen allmählichen Verfall den Zeitpunkt ih-
res Unterganges doch endlich herbey zu führen.
Newton, dieser grosse Bewunderer der Eigenschaf-
ten GOttes, aus der Vollkommenheit seiner Werke,
der mit der tiefsten Einsicht, in die Treflichkeit der
Natur, die gröste Ehrfurcht gegen die Offenbarung
der göttlichen Allmacht verband, sahe sich genö-
thiget, der Natur ihren Verfall durch den natürli-
chen Hang, den die Mechanik der Bewegungen da-
zu hat, vorher zu verkündigen. Wenn eine syste-
matische Verfassung, durch die wesentliche Folge
der Hinfälligkeit, in grossen Zeitläuften auch den
allerkleinsten Theil, den man sich nur gedenken mag,
dem Zustande ihrer Verwirrung nähert; so muß
in dem unendlichen Ablaufe der Ewigkeit doch ein
Zeitpunkt seyn, da diese allmähliche Verminderung
alle Bewegung erschöpfet hat.

Wir dürfen aber den Untergang eines Weltge-
bäudes nicht als einen wahren Verlust der Natur
bedauren. Sie beweiset ihren Reichthum in einer
Art von Verschwendung, welche, indem einige
Theile der Vergänglichkeit den Tribut bezahlen,
sich durch unzehlige neue Zeugungen in dem ganzen
Umfange ihrer Vollkommenheit unbeschadet erhält.
Welch eine unzehlige Menge Blumen und Jnsecten
zerstöret ein einziger kalter Tag; aber wie wenig ver-
misset man sie, ohnerachtet es herrliche Kunstwerke
der Natur und Beweisthümer der göttlichen All-
macht seyn; an einem andern Orte wird dieser
Abgang mit Ueberfluß wiederum ersetzet. Der

Mensch,

Allgemeine Naturgeſchichte
Ewigkeit alle moͤgliche Perioden in ſich halten, um
durch einen allmaͤhlichen Verfall den Zeitpunkt ih-
res Unterganges doch endlich herbey zu fuͤhren.
Newton, dieſer groſſe Bewunderer der Eigenſchaf-
ten GOttes, aus der Vollkommenheit ſeiner Werke,
der mit der tiefſten Einſicht, in die Treflichkeit der
Natur, die groͤſte Ehrfurcht gegen die Offenbarung
der goͤttlichen Allmacht verband, ſahe ſich genoͤ-
thiget, der Natur ihren Verfall durch den natuͤrli-
chen Hang, den die Mechanik der Bewegungen da-
zu hat, vorher zu verkuͤndigen. Wenn eine ſyſte-
matiſche Verfaſſung, durch die weſentliche Folge
der Hinfaͤlligkeit, in groſſen Zeitlaͤuften auch den
allerkleinſten Theil, den man ſich nur gedenken mag,
dem Zuſtande ihrer Verwirrung naͤhert; ſo muß
in dem unendlichen Ablaufe der Ewigkeit doch ein
Zeitpunkt ſeyn, da dieſe allmaͤhliche Verminderung
alle Bewegung erſchoͤpfet hat.

Wir duͤrfen aber den Untergang eines Weltge-
baͤudes nicht als einen wahren Verluſt der Natur
bedauren. Sie beweiſet ihren Reichthum in einer
Art von Verſchwendung, welche, indem einige
Theile der Vergaͤnglichkeit den Tribut bezahlen,
ſich durch unzehlige neue Zeugungen in dem ganzen
Umfange ihrer Vollkommenheit unbeſchadet erhaͤlt.
Welch eine unzehlige Menge Blumen und Jnſecten
zerſtoͤret ein einziger kalter Tag; aber wie wenig ver-
miſſet man ſie, ohnerachtet es herrliche Kunſtwerke
der Natur und Beweisthuͤmer der goͤttlichen All-
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Abgang mit Ueberfluß wiederum erſetzet. Der

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[120/0188] Allgemeine Naturgeſchichte Ewigkeit alle moͤgliche Perioden in ſich halten, um durch einen allmaͤhlichen Verfall den Zeitpunkt ih- res Unterganges doch endlich herbey zu fuͤhren. Newton, dieſer groſſe Bewunderer der Eigenſchaf- ten GOttes, aus der Vollkommenheit ſeiner Werke, der mit der tiefſten Einſicht, in die Treflichkeit der Natur, die groͤſte Ehrfurcht gegen die Offenbarung der goͤttlichen Allmacht verband, ſahe ſich genoͤ- thiget, der Natur ihren Verfall durch den natuͤrli- chen Hang, den die Mechanik der Bewegungen da- zu hat, vorher zu verkuͤndigen. Wenn eine ſyſte- matiſche Verfaſſung, durch die weſentliche Folge der Hinfaͤlligkeit, in groſſen Zeitlaͤuften auch den allerkleinſten Theil, den man ſich nur gedenken mag, dem Zuſtande ihrer Verwirrung naͤhert; ſo muß in dem unendlichen Ablaufe der Ewigkeit doch ein Zeitpunkt ſeyn, da dieſe allmaͤhliche Verminderung alle Bewegung erſchoͤpfet hat. Wir duͤrfen aber den Untergang eines Weltge- baͤudes nicht als einen wahren Verluſt der Natur bedauren. Sie beweiſet ihren Reichthum in einer Art von Verſchwendung, welche, indem einige Theile der Vergaͤnglichkeit den Tribut bezahlen, ſich durch unzehlige neue Zeugungen in dem ganzen Umfange ihrer Vollkommenheit unbeſchadet erhaͤlt. Welch eine unzehlige Menge Blumen und Jnſecten zerſtoͤret ein einziger kalter Tag; aber wie wenig ver- miſſet man ſie, ohnerachtet es herrliche Kunſtwerke der Natur und Beweisthuͤmer der goͤttlichen All- macht ſeyn; an einem andern Orte wird dieſer Abgang mit Ueberfluß wiederum erſetzet. Der Menſch,

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/188>, abgerufen am 27.04.2024.