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Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

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und Theorie des Himmels.
störet, und sind ein Opfer der Vergänglichkeit;
aber nicht weniger bringet die Natur, durch ein un-
erschöpftes Zeugungsvermögen, an andern Orten
wiederum hervor, und füllet das leere aus. Be-
trächtliche Stücke des Erdbodens, den wir bewoh-
nen, werden wiederum in dem Meere begraben,
aus dem sie ein günstiger Periodus hervorgezogen
hatte; aber an anderen Orten ergänzet die Natur
den Mangel, und bringet andere Gegenden her-
vor, die in der Tiefe des Wesens verborgen waren,
um neue Reichthümer ihrer Fruchtbarkeit über die-
selbe auszubreiten. Auf die gleiche Art vergehen
Welten und Weltordnungen, und werden von dem
Abgrunde der Ewigkeiten verschlungen; dagegen
ist die Schöpfung immerfort geschäftig, in andern
Himmelsgegenden neue Bildungen zu verrichten,
und den Abgang mit Vortheile zu ergänzen.

Man darf nicht erstaunen, selbst in dem Gros-
sen der Werke GOttes, eine Vergänglichkeit zu ver-
statten. Alles, was endlich ist, was einen An-
fang und Ursprung hat, hat das Merkmaal seiner
eingeschränkten Natur in sich; es muß vergehen,
und ein Ende haben. Die Dauer eines Welt-
baues hat, durch die Vortreflichkeit ihrer Errich-
tung, eine Beständigkeit in sich, die, nnsern Be-
griffen nach, einer unendlichen Dauer nahe kommt.
Vielleicht werden tausend, vielleicht Millionen
Jahrhunderte sie nicht vernichten; allein, weil die
Eitelkeit, die an denen endlichen Naturen haftet,
beständig an ihrer Zerstörung arbeitet; so wird die

Ewig-
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und Theorie des Himmels.
ſtoͤret, und ſind ein Opfer der Vergaͤnglichkeit;
aber nicht weniger bringet die Natur, durch ein un-
erſchoͤpftes Zeugungsvermoͤgen, an andern Orten
wiederum hervor, und fuͤllet das leere aus. Be-
traͤchtliche Stuͤcke des Erdbodens, den wir bewoh-
nen, werden wiederum in dem Meere begraben,
aus dem ſie ein guͤnſtiger Periodus hervorgezogen
hatte; aber an anderen Orten ergaͤnzet die Natur
den Mangel, und bringet andere Gegenden her-
vor, die in der Tiefe des Weſens verborgen waren,
um neue Reichthuͤmer ihrer Fruchtbarkeit uͤber die-
ſelbe auszubreiten. Auf die gleiche Art vergehen
Welten und Weltordnungen, und werden von dem
Abgrunde der Ewigkeiten verſchlungen; dagegen
iſt die Schoͤpfung immerfort geſchaͤftig, in andern
Himmelsgegenden neue Bildungen zu verrichten,
und den Abgang mit Vortheile zu ergaͤnzen.

Man darf nicht erſtaunen, ſelbſt in dem Groſ-
ſen der Werke GOttes, eine Vergaͤnglichkeit zu ver-
ſtatten. Alles, was endlich iſt, was einen An-
fang und Urſprung hat, hat das Merkmaal ſeiner
eingeſchraͤnkten Natur in ſich; es muß vergehen,
und ein Ende haben. Die Dauer eines Welt-
baues hat, durch die Vortreflichkeit ihrer Errich-
tung, eine Beſtaͤndigkeit in ſich, die, nnſern Be-
griffen nach, einer unendlichen Dauer nahe kommt.
Vielleicht werden tauſend, vielleicht Millionen
Jahrhunderte ſie nicht vernichten; allein, weil die
Eitelkeit, die an denen endlichen Naturen haftet,
beſtaͤndig an ihrer Zerſtoͤrung arbeitet; ſo wird die

Ewig-
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[119/0187] und Theorie des Himmels. ſtoͤret, und ſind ein Opfer der Vergaͤnglichkeit; aber nicht weniger bringet die Natur, durch ein un- erſchoͤpftes Zeugungsvermoͤgen, an andern Orten wiederum hervor, und fuͤllet das leere aus. Be- traͤchtliche Stuͤcke des Erdbodens, den wir bewoh- nen, werden wiederum in dem Meere begraben, aus dem ſie ein guͤnſtiger Periodus hervorgezogen hatte; aber an anderen Orten ergaͤnzet die Natur den Mangel, und bringet andere Gegenden her- vor, die in der Tiefe des Weſens verborgen waren, um neue Reichthuͤmer ihrer Fruchtbarkeit uͤber die- ſelbe auszubreiten. Auf die gleiche Art vergehen Welten und Weltordnungen, und werden von dem Abgrunde der Ewigkeiten verſchlungen; dagegen iſt die Schoͤpfung immerfort geſchaͤftig, in andern Himmelsgegenden neue Bildungen zu verrichten, und den Abgang mit Vortheile zu ergaͤnzen. Man darf nicht erſtaunen, ſelbſt in dem Groſ- ſen der Werke GOttes, eine Vergaͤnglichkeit zu ver- ſtatten. Alles, was endlich iſt, was einen An- fang und Urſprung hat, hat das Merkmaal ſeiner eingeſchraͤnkten Natur in ſich; es muß vergehen, und ein Ende haben. Die Dauer eines Welt- baues hat, durch die Vortreflichkeit ihrer Errich- tung, eine Beſtaͤndigkeit in ſich, die, nnſern Be- griffen nach, einer unendlichen Dauer nahe kommt. Vielleicht werden tauſend, vielleicht Millionen Jahrhunderte ſie nicht vernichten; allein, weil die Eitelkeit, die an denen endlichen Naturen haftet, beſtaͤndig an ihrer Zerſtoͤrung arbeitet; ſo wird die Ewig- H 4

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/187>, abgerufen am 28.04.2024.