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Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

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Vorrede.
Chaos so herrlich zu entwickeln weiß und
zu solcher Vollkommenheit von selber ge-
langet; so ist der Beweis des göttlichen
Urhebers, den man aus dem Anblicke der
Schönheit des Weltgebäudes ziehet, völ-
lig entkräftet, die Natur ist sich selbst ge-
nugsam, die göttliche Regierung ist un-
nöthig, Epikur lebt mitten im Christen-
thume wieder auf, und eine unheilige
Weltweisheit tritt den Glauben unter die
Füsse, welcher ihr ein helles Licht dar-
reichet, sie zu erleuchten.

Wenn ich diesen Vorwurf gegründet
fände, so ist die Ueberzeugung, die ich von
der Unfehlbarkeit göttlicher Wahrheiten
habe, bey mir so vermögend, daß ich al-
les, was ihnen wiederspricht durch sie vor
gnugsam widerlegt halten und verwerfen
würde. Allein eben die Uebereinstim-
mung, die ich zwischen meinem System
und der Religion antreffe, erhebet meine
Zuversicht in Ansehung aller Schwierig-

kei-

Vorrede.
Chaos ſo herrlich zu entwickeln weiß und
zu ſolcher Vollkommenheit von ſelber ge-
langet; ſo iſt der Beweis des goͤttlichen
Urhebers, den man aus dem Anblicke der
Schoͤnheit des Weltgebaͤudes ziehet, voͤl-
lig entkraͤftet, die Natur iſt ſich ſelbſt ge-
nugſam, die goͤttliche Regierung iſt un-
noͤthig, Epikur lebt mitten im Chriſten-
thume wieder auf, und eine unheilige
Weltweisheit tritt den Glauben unter die
Fuͤſſe, welcher ihr ein helles Licht dar-
reichet, ſie zu erleuchten.

Wenn ich dieſen Vorwurf gegruͤndet
faͤnde, ſo iſt die Ueberzeugung, die ich von
der Unfehlbarkeit goͤttlicher Wahrheiten
habe, bey mir ſo vermoͤgend, daß ich al-
les, was ihnen wiederſpricht durch ſie vor
gnugſam widerlegt halten und verwerfen
wuͤrde. Allein eben die Uebereinſtim-
mung, die ich zwiſchen meinem Syſtem
und der Religion antreffe, erhebet meine
Zuverſicht in Anſehung aller Schwierig-

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[0016] Vorrede. Chaos ſo herrlich zu entwickeln weiß und zu ſolcher Vollkommenheit von ſelber ge- langet; ſo iſt der Beweis des goͤttlichen Urhebers, den man aus dem Anblicke der Schoͤnheit des Weltgebaͤudes ziehet, voͤl- lig entkraͤftet, die Natur iſt ſich ſelbſt ge- nugſam, die goͤttliche Regierung iſt un- noͤthig, Epikur lebt mitten im Chriſten- thume wieder auf, und eine unheilige Weltweisheit tritt den Glauben unter die Fuͤſſe, welcher ihr ein helles Licht dar- reichet, ſie zu erleuchten. Wenn ich dieſen Vorwurf gegruͤndet faͤnde, ſo iſt die Ueberzeugung, die ich von der Unfehlbarkeit goͤttlicher Wahrheiten habe, bey mir ſo vermoͤgend, daß ich al- les, was ihnen wiederſpricht durch ſie vor gnugſam widerlegt halten und verwerfen wuͤrde. Allein eben die Uebereinſtim- mung, die ich zwiſchen meinem Syſtem und der Religion antreffe, erhebet meine Zuverſicht in Anſehung aller Schwierig- kei-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/16>, abgerufen am 24.04.2024.