Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
Eifer ist verdoppelt worden, als ich bey
jedem Schritte die Nebel sich zerstreuen
sahe, welche hinter ihrer Dunkelheit Un-
geheuer zu verbergen schienen und nach de-
ren Zertheilung die Herrlichkeit des höch-
sten Wesens mit dem lebhaftesten Glanze
hervorbrach. Da ich diese Bemühungen
von aller Sträflichkeit frey weiß, so will
ich getreulich anführen was wohlgesinne-
te oder auch schwache Gemüther in mei-
nem Plane anstößig finden können, und
bin bereit es der Strenge des rechtgläu-
bigen Areopagus mit einer Freymüthig-
keit zu unterwerfen, die das Merkmaal
einer redlichen Gesinnung ist. Der Sach-
walter des Glaubens mag demnach zuerst
seine Gründe hören lassen.

Wenn der Weltbau mit aller Ord-
nung und Schönheit nur eine Wirkung
der ihren allgemeinen Bewegungsgesetzen
überlassenen Materie ist, wenn die blin-
de Mechanik der Naturkräfte sich aus dem

Chaos

Vorrede.
Eifer iſt verdoppelt worden, als ich bey
jedem Schritte die Nebel ſich zerſtreuen
ſahe, welche hinter ihrer Dunkelheit Un-
geheuer zu verbergen ſchienen und nach de-
ren Zertheilung die Herrlichkeit des hoͤch-
ſten Weſens mit dem lebhafteſten Glanze
hervorbrach. Da ich dieſe Bemuͤhungen
von aller Straͤflichkeit frey weiß, ſo will
ich getreulich anfuͤhren was wohlgeſinne-
te oder auch ſchwache Gemuͤther in mei-
nem Plane anſtoͤßig finden koͤnnen, und
bin bereit es der Strenge des rechtglaͤu-
bigen Areopagus mit einer Freymuͤthig-
keit zu unterwerfen, die das Merkmaal
einer redlichen Geſinnung iſt. Der Sach-
walter des Glaubens mag demnach zuerſt
ſeine Gruͤnde hoͤren laſſen.

Wenn der Weltbau mit aller Ord-
nung und Schoͤnheit nur eine Wirkung
der ihren allgemeinen Bewegungsgeſetzen
uͤberlaſſenen Materie iſt, wenn die blin-
de Mechanik der Naturkraͤfte ſich aus dem

Chaos
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorrede.</hi></fw><lb/>
Eifer i&#x017F;t verdoppelt worden, als ich bey<lb/>
jedem Schritte die Nebel &#x017F;ich zer&#x017F;treuen<lb/>
&#x017F;ahe, welche hinter ihrer Dunkelheit Un-<lb/>
geheuer zu verbergen &#x017F;chienen und nach de-<lb/>
ren Zertheilung die Herrlichkeit des ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten We&#x017F;ens mit dem lebhafte&#x017F;ten Glanze<lb/>
hervorbrach. Da ich die&#x017F;e Bemu&#x0364;hungen<lb/>
von aller Stra&#x0364;flichkeit frey weiß, &#x017F;o will<lb/>
ich getreulich anfu&#x0364;hren was wohlge&#x017F;inne-<lb/>
te oder auch &#x017F;chwache Gemu&#x0364;ther in mei-<lb/>
nem Plane an&#x017F;to&#x0364;ßig finden ko&#x0364;nnen, und<lb/>
bin bereit es der Strenge des rechtgla&#x0364;u-<lb/>
bigen Areopagus mit einer Freymu&#x0364;thig-<lb/>
keit zu unterwerfen, die das Merkmaal<lb/>
einer redlichen Ge&#x017F;innung i&#x017F;t. Der Sach-<lb/>
walter des Glaubens mag demnach zuer&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eine Gru&#x0364;nde ho&#x0364;ren la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Wenn der Weltbau mit aller Ord-<lb/>
nung und Scho&#x0364;nheit nur eine Wirkung<lb/>
der ihren allgemeinen Bewegungsge&#x017F;etzen<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;enen Materie i&#x017F;t, wenn die blin-<lb/>
de Mechanik der Naturkra&#x0364;fte &#x017F;ich aus dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Chaos</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0015] Vorrede. Eifer iſt verdoppelt worden, als ich bey jedem Schritte die Nebel ſich zerſtreuen ſahe, welche hinter ihrer Dunkelheit Un- geheuer zu verbergen ſchienen und nach de- ren Zertheilung die Herrlichkeit des hoͤch- ſten Weſens mit dem lebhafteſten Glanze hervorbrach. Da ich dieſe Bemuͤhungen von aller Straͤflichkeit frey weiß, ſo will ich getreulich anfuͤhren was wohlgeſinne- te oder auch ſchwache Gemuͤther in mei- nem Plane anſtoͤßig finden koͤnnen, und bin bereit es der Strenge des rechtglaͤu- bigen Areopagus mit einer Freymuͤthig- keit zu unterwerfen, die das Merkmaal einer redlichen Geſinnung iſt. Der Sach- walter des Glaubens mag demnach zuerſt ſeine Gruͤnde hoͤren laſſen. Wenn der Weltbau mit aller Ord- nung und Schoͤnheit nur eine Wirkung der ihren allgemeinen Bewegungsgeſetzen uͤberlaſſenen Materie iſt, wenn die blin- de Mechanik der Naturkraͤfte ſich aus dem Chaos

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/15
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg u. a., 1755, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_naturgeschichte_1755/15>, abgerufen am 22.11.2024.