Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481-494.

Bild:
<< vorherige Seite

in seinem Staate gegen seine übrigen Unterthanen
zu unterstützen.

Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt
in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Ant¬
wort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der
Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sa¬
chen jetzt stehen, im Ganzen genommen, schon im
Stande waren, oder darin auch nur gesetzt werden
könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Ver¬
standes ohne Leitung eines Andern sicher und gut zu
bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, daß
jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin
frei zu bearbeiten, und die Hindernisse der allgemei¬
nen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer
selbst verschuldeten Unmündigkeit, allmälig weniger
werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen.
In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeital¬
ter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Frie¬
derichs.

Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet,
zu sagen: daß er es für Pflicht halte, in Religi¬
onsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, son¬
dern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also
selbst den hochmüthigen Namen der Toleranz von
sich ablehnt: ist selbst aufgeklärt, und verdient von
der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige ge¬
priesen zu werden, der zuerst das menschliche Ge¬
schlecht der Unmündigkeit, wenigstens von Seiten
der Regierung, entschlug, und Jedem frei ließ, sich

in

in ſeinem Staate gegen ſeine übrigen Unterthanen
zu unterſtützen.

Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt
in einem aufgeklärten Zeitalter? ſo iſt die Ant¬
wort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der
Aufklärung. Daß die Menſchen, wie die Sa¬
chen jetzt ſtehen, im Ganzen genommen, ſchon im
Stande waren, oder darin auch nur geſetzt werden
könnten, in Religionsdingen ſich ihres eigenen Ver¬
ſtandes ohne Leitung eines Andern ſicher und gut zu
bedienen, daran fehlt noch ſehr viel. Allein, daß
jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, ſich dahin
frei zu bearbeiten, und die Hinderniſſe der allgemei¬
nen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer
ſelbſt verſchuldeten Unmündigkeit, allmälig weniger
werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen.
In dieſem Betracht iſt dieſes Zeitalter das Zeital¬
ter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Frie¬
derichs.

Ein Fürſt, der es ſeiner nicht unwürdig findet,
zu ſagen: daß er es für Pflicht halte, in Religi¬
onsdingen den Menſchen nichts vorzuſchreiben, ſon¬
dern ihnen darin volle Freiheit zu laſſen, der alſo
ſelbſt den hochmüthigen Namen der Toleranz von
ſich ablehnt: iſt ſelbſt aufgeklärt, und verdient von
der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige ge¬
prieſen zu werden, der zuerſt das menſchliche Ge¬
ſchlecht der Unmündigkeit, wenigſtens von Seiten
der Regierung, entſchlug, und Jedem frei ließ, ſich

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="491"/>
in &#x017F;einem Staate gegen &#x017F;eine übrigen Unterthanen<lb/>
zu unter&#x017F;tützen.</p><lb/>
          <p>Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt<lb/>
in einem <hi rendition="#fr">aufgeklärten</hi> Zeitalter? &#x017F;o i&#x017F;t die Ant¬<lb/>
wort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der<lb/><hi rendition="#fr">Aufklärung</hi>. Daß die Men&#x017F;chen, wie die Sa¬<lb/>
chen jetzt &#x017F;tehen, im Ganzen genommen, &#x017F;chon im<lb/>
Stande waren, oder darin auch nur ge&#x017F;etzt werden<lb/>
könnten, in Religionsdingen &#x017F;ich ihres eigenen Ver¬<lb/>
&#x017F;tandes ohne Leitung eines Andern &#x017F;icher und gut zu<lb/>
bedienen, daran fehlt noch &#x017F;ehr viel. Allein, daß<lb/>
jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, &#x017F;ich dahin<lb/>
frei zu bearbeiten, und die Hinderni&#x017F;&#x017F;e der allgemei¬<lb/>
nen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;chuldeten Unmündigkeit, allmälig weniger<lb/>
werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen.<lb/>
In die&#x017F;em Betracht i&#x017F;t die&#x017F;es Zeitalter das Zeital¬<lb/>
ter der Aufklärung, oder das Jahrhundert <hi rendition="#fr #g">Frie¬</hi><lb/><hi rendition="#g">derichs</hi>.</p><lb/>
          <p>Ein Für&#x017F;t, der es &#x017F;einer nicht unwürdig findet,<lb/>
zu &#x017F;agen: daß er es für <hi rendition="#fr">Pflicht</hi> halte, in Religi¬<lb/>
onsdingen den Men&#x017F;chen nichts vorzu&#x017F;chreiben, &#x017F;on¬<lb/>
dern ihnen darin volle Freiheit zu la&#x017F;&#x017F;en, der al&#x017F;o<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t den hochmüthigen Namen der <hi rendition="#fr">Toleranz</hi> von<lb/>
&#x017F;ich ablehnt: i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t aufgeklärt, und verdient von<lb/>
der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige ge¬<lb/>
prie&#x017F;en zu werden, der zuer&#x017F;t das men&#x017F;chliche Ge¬<lb/>
&#x017F;chlecht der Unmündigkeit, wenig&#x017F;tens von Seiten<lb/>
der Regierung, ent&#x017F;chlug, und Jedem frei ließ, &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[491/0027] in ſeinem Staate gegen ſeine übrigen Unterthanen zu unterſtützen. Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? ſo iſt die Ant¬ wort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menſchen, wie die Sa¬ chen jetzt ſtehen, im Ganzen genommen, ſchon im Stande waren, oder darin auch nur geſetzt werden könnten, in Religionsdingen ſich ihres eigenen Ver¬ ſtandes ohne Leitung eines Andern ſicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch ſehr viel. Allein, daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, ſich dahin frei zu bearbeiten, und die Hinderniſſe der allgemei¬ nen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer ſelbſt verſchuldeten Unmündigkeit, allmälig weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen. In dieſem Betracht iſt dieſes Zeitalter das Zeital¬ ter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Frie¬ derichs. Ein Fürſt, der es ſeiner nicht unwürdig findet, zu ſagen: daß er es für Pflicht halte, in Religi¬ onsdingen den Menſchen nichts vorzuſchreiben, ſon¬ dern ihnen darin volle Freiheit zu laſſen, der alſo ſelbſt den hochmüthigen Namen der Toleranz von ſich ablehnt: iſt ſelbſt aufgeklärt, und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige ge¬ prieſen zu werden, der zuerſt das menſchliche Ge¬ ſchlecht der Unmündigkeit, wenigſtens von Seiten der Regierung, entſchlug, und Jedem frei ließ, ſich in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_aufklaerung_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_aufklaerung_1784/27
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift, 1784, H. 12, S. 481-494, hier S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_aufklaerung_1784/27>, abgerufen am 25.11.2024.