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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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nach ihrem Handgelenk, sie duldete es jetzt und führte ihn so zur Tür. Er war fest entschlossen, wegzugehen. Aber vor der Tür, als hätte er nicht erwartet, hier eine Tür zu finden, stockte er, diesen Augenblick benutzte Fräulein Bürstner, sich loszumachen, die Tür zu öffnen, ins Vorzimmer zu schlüpfen und von dort aus K. leise zu sagen: "Nun kommen Sie doch, bitte. Sehen Sie" - sie zeigte auf die Tür des Hauptmanns, unter der ein Lichtschein hervorkam - "er hat angezündet und unterhält sich über uns." "Ich komme schon," sagte K., lief vor, faßte sie, küßte sie auf den Mund und dann über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Schließlich küßte er sie auf den Hals, wo die Gurgel ist, und dort ließ er die Lippen lange liegen. Ein Geräusch aus dem Zimmer des Hauptmanns ließ ihn aufschauen. "Jetzt werde ich gehn," sagte er, er wollte Fräulein Bürstner beim Taufnamen nennen, wußte ihn aber nicht. Sie nickte müde, überließ ihm schon halb abgewendet die Hand zum Küssen, als wisse sie nichts davon und ging gebückt in ihr Zimmer. Kurz darauf lag K. in seinem Bett. Er schlief

nach ihrem Handgelenk, sie duldete es jetzt und führte ihn so zur Tür. Er war fest entschlossen, wegzugehen. Aber vor der Tür, als hätte er nicht erwartet, hier eine Tür zu finden, stockte er, diesen Augenblick benutzte Fräulein Bürstner, sich loszumachen, die Tür zu öffnen, ins Vorzimmer zu schlüpfen und von dort aus K. leise zu sagen: „Nun kommen Sie doch, bitte. Sehen Sie“ – sie zeigte auf die Tür des Hauptmanns, unter der ein Lichtschein hervorkam – „er hat angezündet und unterhält sich über uns.“ „Ich komme schon,“ sagte K., lief vor, faßte sie, küßte sie auf den Mund und dann über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Schließlich küßte er sie auf den Hals, wo die Gurgel ist, und dort ließ er die Lippen lange liegen. Ein Geräusch aus dem Zimmer des Hauptmanns ließ ihn aufschauen. „Jetzt werde ich gehn,“ sagte er, er wollte Fräulein Bürstner beim Taufnamen nennen, wußte ihn aber nicht. Sie nickte müde, überließ ihm schon halb abgewendet die Hand zum Küssen, als wisse sie nichts davon und ging gebückt in ihr Zimmer. Kurz darauf lag K. in seinem Bett. Er schlief

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[52/0054] nach ihrem Handgelenk, sie duldete es jetzt und führte ihn so zur Tür. Er war fest entschlossen, wegzugehen. Aber vor der Tür, als hätte er nicht erwartet, hier eine Tür zu finden, stockte er, diesen Augenblick benutzte Fräulein Bürstner, sich loszumachen, die Tür zu öffnen, ins Vorzimmer zu schlüpfen und von dort aus K. leise zu sagen: „Nun kommen Sie doch, bitte. Sehen Sie“ – sie zeigte auf die Tür des Hauptmanns, unter der ein Lichtschein hervorkam – „er hat angezündet und unterhält sich über uns.“ „Ich komme schon,“ sagte K., lief vor, faßte sie, küßte sie auf den Mund und dann über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Schließlich küßte er sie auf den Hals, wo die Gurgel ist, und dort ließ er die Lippen lange liegen. Ein Geräusch aus dem Zimmer des Hauptmanns ließ ihn aufschauen. „Jetzt werde ich gehn,“ sagte er, er wollte Fräulein Bürstner beim Taufnamen nennen, wußte ihn aber nicht. Sie nickte müde, überließ ihm schon halb abgewendet die Hand zum Küssen, als wisse sie nichts davon und ging gebückt in ihr Zimmer. Kurz darauf lag K. in seinem Bett. Er schlief

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/54>, abgerufen am 29.03.2024.