Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

Bild:
<< vorherige Seite

sich aber für Sie opfern können?" "Nein," sagte K., "sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie." "Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr," sagte Leni, "sie ist also gar nicht Ihre Geliebte." "Doch," sagte K. "Ich nehme mein Wort nicht zurück." "Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein," sagte Leni, "Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden." "Gewiß," sagte K. lächelnd, "das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen." "Das ist kein Vorteil," sagte Leni. "Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?" "Einen körperlichen Fehler?" fragte K. "Ja," sagte Leni, "ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie." Sie spannte den Mittel- und Ringfinger

sich aber für Sie opfern können?“ „Nein,“ sagte K., „sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie.“ „Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr,“ sagte Leni, „sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.“ „Doch,“ sagte K. „Ich nehme mein Wort nicht zurück.“ „Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein,“ sagte Leni, „Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden.“ „Gewiß,“ sagte K. lächelnd, „das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen.“ „Das ist kein Vorteil,“ sagte Leni. „Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?“ „Einen körperlichen Fehler?“ fragte K. „Ja,“ sagte Leni, „ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.“ Sie spannte den Mittel- und Ringfinger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0192" n="190"/>
sich aber für Sie opfern können?&#x201C; &#x201E;Nein,&#x201C; sagte K., &#x201E;sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie.&#x201C; &#x201E;Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr,&#x201C; sagte Leni, &#x201E;sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.&#x201C; &#x201E;Doch,&#x201C; sagte K. &#x201E;Ich nehme mein Wort nicht zurück.&#x201C; &#x201E;Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein,&#x201C; sagte Leni, &#x201E;Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden.&#x201C; &#x201E;Gewiß,&#x201C; sagte K. lächelnd, &#x201E;das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen.&#x201C; &#x201E;Das ist kein Vorteil,&#x201C; sagte Leni. &#x201E;Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?&#x201C; &#x201E;Einen körperlichen Fehler?&#x201C; fragte K. &#x201E;Ja,&#x201C; sagte Leni, &#x201E;ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.&#x201C; Sie spannte den Mittel- und Ringfinger
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0192] sich aber für Sie opfern können?“ „Nein,“ sagte K., „sie ist weder sanft und freundlich, noch würde sie sich für mich opfern können. Auch habe ich bisher weder das eine noch das andere von ihr verlangt. Ja, ich habe noch nicht einmal das Bild so genau angesehn wie Sie.“ „Es liegt Ihnen also gar nicht viel an ihr,“ sagte Leni, „sie ist also gar nicht Ihre Geliebte.“ „Doch,“ sagte K. „Ich nehme mein Wort nicht zurück.“ „Mag sie also jetzt Ihre Geliebte sein,“ sagte Leni, „Sie würden sie aber nicht sehr vermissen, wenn Sie sie verlieren oder für jemand andern, z. B. für mich, eintauschen würden.“ „Gewiß,“ sagte K. lächelnd, „das wäre denkbar, aber sie hat einen großen Vorteil Ihnen gegenüber, sie weiß nichts von meinem Prozeß, und selbst wenn sie etwas davon wüßte, würde sie nicht daran denken. Sie würde mich nicht zur Nachgiebigkeit zu überreden suchen.“ „Das ist kein Vorteil,“ sagte Leni. „Wenn sie keine sonstigen Vorteile hat, verliere ich nicht den Mut. Hat sie irgendeinen körperlichen Fehler?“ „Einen körperlichen Fehler?“ fragte K. „Ja,“ sagte Leni, „ich habe nämlich einen solchen kleinen Fehler, sehen Sie.“ Sie spannte den Mittel- und Ringfinger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-28T19:24:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-28T19:24:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat (2012-11-28T19:24:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Trennungen am Zeilen- und am Seitenende werden aufgelöst, der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/192
Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/192>, abgerufen am 18.04.2024.