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Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925.

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das Mädchen noch an, während es sich schon umgedreht hatte, um die Wohnungstüre wieder zu versperren, es hatte ein puppenförmig gerundetes Gesicht, nicht nur die bleichen Wangen und das Kinn verliefen rund, auch die Schläfen und die Stirnränder. "Josef," rief der Onkel wieder und das Mädchen fragte er: "Es ist das Herzleiden?" "Ich glaube wohl," sagte das Mädchen, es hatte Zeit gefunden mit der Kerze voranzugehn und die Zimmertür zu öffnen. In einem Winkel des Zimmers, wohin das Kerzenlicht noch nicht drang, erhob sich im Bett ein Gesicht mit langem Bart. "Leni, wer kommt denn," fragte der Advokat, der, durch die Kerze geblendet, die Gäste nicht erkannte. "Albert, dein alter Freund ist es," sagte der Onkel. "Ach, Albert," sagte der Advokat und ließ sich auf die Kissen zurückfallen, als bedürfe es diesem Besuch gegenüber keiner Verstellung. "Steht es wirklich so schlecht?" fragte der Onkel und setzte sich auf den Bettrand. "Ich glaube es nicht. Es ist ein Anfall deines Herzleidens und wird vorübergehn wie die frühern." "Möglich," sagte der Advokat leise, "es ist aber ärger, als es jemals gewesen ist. Ich atme schwer, schlafe gar

das Mädchen noch an, während es sich schon umgedreht hatte, um die Wohnungstüre wieder zu versperren, es hatte ein puppenförmig gerundetes Gesicht, nicht nur die bleichen Wangen und das Kinn verliefen rund, auch die Schläfen und die Stirnränder. „Josef,“ rief der Onkel wieder und das Mädchen fragte er: „Es ist das Herzleiden?“ „Ich glaube wohl,“ sagte das Mädchen, es hatte Zeit gefunden mit der Kerze voranzugehn und die Zimmertür zu öffnen. In einem Winkel des Zimmers, wohin das Kerzenlicht noch nicht drang, erhob sich im Bett ein Gesicht mit langem Bart. „Leni, wer kommt denn,“ fragte der Advokat, der, durch die Kerze geblendet, die Gäste nicht erkannte. „Albert, dein alter Freund ist es,“ sagte der Onkel. „Ach, Albert,“ sagte der Advokat und ließ sich auf die Kissen zurückfallen, als bedürfe es diesem Besuch gegenüber keiner Verstellung. „Steht es wirklich so schlecht?“ fragte der Onkel und setzte sich auf den Bettrand. „Ich glaube es nicht. Es ist ein Anfall deines Herzleidens und wird vorübergehn wie die frühern.“ „Möglich,“ sagte der Advokat leise, „es ist aber ärger, als es jemals gewesen ist. Ich atme schwer, schlafe gar

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[172/0174] das Mädchen noch an, während es sich schon umgedreht hatte, um die Wohnungstüre wieder zu versperren, es hatte ein puppenförmig gerundetes Gesicht, nicht nur die bleichen Wangen und das Kinn verliefen rund, auch die Schläfen und die Stirnränder. „Josef,“ rief der Onkel wieder und das Mädchen fragte er: „Es ist das Herzleiden?“ „Ich glaube wohl,“ sagte das Mädchen, es hatte Zeit gefunden mit der Kerze voranzugehn und die Zimmertür zu öffnen. In einem Winkel des Zimmers, wohin das Kerzenlicht noch nicht drang, erhob sich im Bett ein Gesicht mit langem Bart. „Leni, wer kommt denn,“ fragte der Advokat, der, durch die Kerze geblendet, die Gäste nicht erkannte. „Albert, dein alter Freund ist es,“ sagte der Onkel. „Ach, Albert,“ sagte der Advokat und ließ sich auf die Kissen zurückfallen, als bedürfe es diesem Besuch gegenüber keiner Verstellung. „Steht es wirklich so schlecht?“ fragte der Onkel und setzte sich auf den Bettrand. „Ich glaube es nicht. Es ist ein Anfall deines Herzleidens und wird vorübergehn wie die frühern.“ „Möglich,“ sagte der Advokat leise, „es ist aber ärger, als es jemals gewesen ist. Ich atme schwer, schlafe gar

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Zitationshilfe: Kafka, Franz: Der Prozess (Hg. Max Brod). Berlin, 1925, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kafka_prozess_1925/174>, abgerufen am 22.11.2024.