Jch habe schon gesagt, daß die Theeblätter eine betäubende und die Lebensgeister in unordentliche Bewegung setzende Kraft haben. Diese mus durch ein langsames und an- haltend fortgeseztes Brennen vertrieben werden. Doch kan dieses nie so völlig geschchen, daß nicht immer eine dem Gehirn nachtheilige Eigenschaft zurükbleiben solte, die sich aber in Zeit von zehn oder noch mehr Monaten von selbst verliert und mildert. Nach diesem Verlauf sezt der Thee die Lebensgeister nicht mehr in unruhige Bewegung, sondern reizt sie vielmehr auf eine höchst angenehme Art, macht die Organe geschmeidig, und erheitert die Seele. Wenn der Thee noch kein volles Jahr alt ist, hat er zwar den allerangenehmsten Geschmack, aber, in Menge genossen, verwirt er das Haupt, und hat Gliederweh zur Folge. Der beste, delikateste, und seelerfreuendste Thee ist derjenige, welcher eben ein Jahr alt ist. Kein Japaner trinkt ihn auch jünger, außer mit einer gleichen Portion ältern gemischt.
Die guten Wirkungen des Thees sind kurz folgende: Er zertheilt die Verstopfungen in den Därmen, reinigt das Blut, und löset besonders die gichtische und Steinmaterie auf. Dieser leztre Vortheil ist so groß, daß ich in Japan unter den Theetrinkern niemals einen mit Podagra oder Steinschmerzen behafteten gefunden habe. Die Europäer würden wohl eben diese gute Wirkung des Thees bemerken, wenn sie nicht schon einen ursprünglichen Keim dieser Uebel und eine fast unüberwindliche Disposition zu denselben in ihrem Körper hätten, und dieselbe noch oben drein mit sauern Weinen, Bier und gesalznem Fleisch unterhielten. Jndeß wollen auch in Japan die Liebhaber des einländischen Reisbiers, (die Sineser nen- nen es Sampsu, die Japaner Sacki) dem Thee wenig gute Wirkung zugestehn, außer nur die, daß er das bloße Wasser etwas verbessere, und die Geselschaft guter Freunde besser zusammenhalte, um beim Thee eins mit einander zu plaudern. Jedoch findet man unter diesen seinen Feinden nicht selten mit laufender Gicht und Strangurie geplagte Personen.
Einige haben auch stat des Thees die Veronica oder Myrthus Brabantica ge- brauchen wollen, aber nicht mit gewünschtem Erfolg. Bis jezt kent man noch keine Pflanze, deren Jnfusion, oder mit derselben gekochtes Wasser, in solcher Menge genossen, den Ma- gen so wenig beschwerte, so leicht wieder abgienge, und die erschlaften Lebensgeister so geschwind wieder herstelte und belebte. Am sichersten möchte vielleicht derjenige etwas Aehnliches ent- decken, der mit den wegen ihrer giftigen Eigenschaften bekanten Pflanzen Versuche machte, wenn er sie nämlich erst vorher gehörig verbessert hätte. Aber die Europäer haben diese Kentnis noch nicht; giftige Pflanzen sind ihnen so verhast, daß sie fast schon zurükfahren, wenn sie nur den Namen hören; und sogleich befürchten, in den schändlichen Verdacht der Giftmischerei zu kommen, wenn sie sich damit beschäftigten, die verborgenen Kräfte solcher
Pflan-
Zweiter Band. M m m
V. Geſchichte des Japaniſchen Thees.
§. 10.
Jch habe ſchon geſagt, daß die Theeblaͤtter eine betaͤubende und die Lebensgeiſter in unordentliche Bewegung ſetzende Kraft haben. Dieſe mus durch ein langſames und an- haltend fortgeſeztes Brennen vertrieben werden. Doch kan dieſes nie ſo voͤllig geſchchen, daß nicht immer eine dem Gehirn nachtheilige Eigenſchaft zuruͤkbleiben ſolte, die ſich aber in Zeit von zehn oder noch mehr Monaten von ſelbſt verliert und mildert. Nach dieſem Verlauf ſezt der Thee die Lebensgeiſter nicht mehr in unruhige Bewegung, ſondern reizt ſie vielmehr auf eine hoͤchſt angenehme Art, macht die Organe geſchmeidig, und erheitert die Seele. Wenn der Thee noch kein volles Jahr alt iſt, hat er zwar den allerangenehmſten Geſchmack, aber, in Menge genoſſen, verwirt er das Haupt, und hat Gliederweh zur Folge. Der beſte, delikateſte, und ſeelerfreuendſte Thee iſt derjenige, welcher eben ein Jahr alt iſt. Kein Japaner trinkt ihn auch juͤnger, außer mit einer gleichen Portion aͤltern gemiſcht.
Die guten Wirkungen des Thees ſind kurz folgende: Er zertheilt die Verſtopfungen in den Daͤrmen, reinigt das Blut, und loͤſet beſonders die gichtiſche und Steinmaterie auf. Dieſer leztre Vortheil iſt ſo groß, daß ich in Japan unter den Theetrinkern niemals einen mit Podagra oder Steinſchmerzen behafteten gefunden habe. Die Europaͤer wuͤrden wohl eben dieſe gute Wirkung des Thees bemerken, wenn ſie nicht ſchon einen urſpruͤnglichen Keim dieſer Uebel und eine faſt unuͤberwindliche Diſpoſition zu denſelben in ihrem Koͤrper haͤtten, und dieſelbe noch oben drein mit ſauern Weinen, Bier und geſalznem Fleiſch unterhielten. Jndeß wollen auch in Japan die Liebhaber des einlaͤndiſchen Reisbiers, (die Sineſer nen- nen es Sampſu, die Japaner Sacki) dem Thee wenig gute Wirkung zugeſtehn, außer nur die, daß er das bloße Waſſer etwas verbeſſere, und die Geſelſchaft guter Freunde beſſer zuſammenhalte, um beim Thee eins mit einander zu plaudern. Jedoch findet man unter dieſen ſeinen Feinden nicht ſelten mit laufender Gicht und Strangurie geplagte Perſonen.
Einige haben auch ſtat des Thees die Veronica oder Myrthus Brabantica ge- brauchen wollen, aber nicht mit gewuͤnſchtem Erfolg. Bis jezt kent man noch keine Pflanze, deren Jnfuſion, oder mit derſelben gekochtes Waſſer, in ſolcher Menge genoſſen, den Ma- gen ſo wenig beſchwerte, ſo leicht wieder abgienge, und die erſchlaften Lebensgeiſter ſo geſchwind wieder herſtelte und belebte. Am ſicherſten moͤchte vielleicht derjenige etwas Aehnliches ent- decken, der mit den wegen ihrer giftigen Eigenſchaften bekanten Pflanzen Verſuche machte, wenn er ſie naͤmlich erſt vorher gehoͤrig verbeſſert haͤtte. Aber die Europaͤer haben dieſe Kentnis noch nicht; giftige Pflanzen ſind ihnen ſo verhaſt, daß ſie faſt ſchon zuruͤkfahren, wenn ſie nur den Namen hoͤren; und ſogleich befuͤrchten, in den ſchaͤndlichen Verdacht der Giftmiſcherei zu kommen, wenn ſie ſich damit beſchaͤftigten, die verborgenen Kraͤfte ſolcher
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V. Geſchichte des Japaniſchen Thees.
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Jch habe ſchon geſagt, daß die Theeblaͤtter eine betaͤubende und die Lebensgeiſter
in unordentliche Bewegung ſetzende Kraft haben. Dieſe mus durch ein langſames und an-
haltend fortgeſeztes Brennen vertrieben werden. Doch kan dieſes nie ſo voͤllig geſchchen,
daß nicht immer eine dem Gehirn nachtheilige Eigenſchaft zuruͤkbleiben ſolte, die ſich aber in Zeit
von zehn oder noch mehr Monaten von ſelbſt verliert und mildert. Nach dieſem Verlauf ſezt
der Thee die Lebensgeiſter nicht mehr in unruhige Bewegung, ſondern reizt ſie vielmehr auf
eine hoͤchſt angenehme Art, macht die Organe geſchmeidig, und erheitert die Seele. Wenn
der Thee noch kein volles Jahr alt iſt, hat er zwar den allerangenehmſten Geſchmack, aber,
in Menge genoſſen, verwirt er das Haupt, und hat Gliederweh zur Folge. Der beſte,
delikateſte, und ſeelerfreuendſte Thee iſt derjenige, welcher eben ein Jahr alt iſt. Kein
Japaner trinkt ihn auch juͤnger, außer mit einer gleichen Portion aͤltern gemiſcht.
Die guten Wirkungen des Thees ſind kurz folgende: Er zertheilt die Verſtopfungen
in den Daͤrmen, reinigt das Blut, und loͤſet beſonders die gichtiſche und Steinmaterie auf.
Dieſer leztre Vortheil iſt ſo groß, daß ich in Japan unter den Theetrinkern niemals einen
mit Podagra oder Steinſchmerzen behafteten gefunden habe. Die Europaͤer wuͤrden wohl
eben dieſe gute Wirkung des Thees bemerken, wenn ſie nicht ſchon einen urſpruͤnglichen Keim
dieſer Uebel und eine faſt unuͤberwindliche Diſpoſition zu denſelben in ihrem Koͤrper haͤtten,
und dieſelbe noch oben drein mit ſauern Weinen, Bier und geſalznem Fleiſch unterhielten.
Jndeß wollen auch in Japan die Liebhaber des einlaͤndiſchen Reisbiers, (die Sineſer nen-
nen es Sampſu, die Japaner Sacki) dem Thee wenig gute Wirkung zugeſtehn, außer
nur die, daß er das bloße Waſſer etwas verbeſſere, und die Geſelſchaft guter Freunde beſſer
zuſammenhalte, um beim Thee eins mit einander zu plaudern. Jedoch findet man unter
dieſen ſeinen Feinden nicht ſelten mit laufender Gicht und Strangurie geplagte Perſonen.
Einige haben auch ſtat des Thees die Veronica oder Myrthus Brabantica ge-
brauchen wollen, aber nicht mit gewuͤnſchtem Erfolg. Bis jezt kent man noch keine Pflanze,
deren Jnfuſion, oder mit derſelben gekochtes Waſſer, in ſolcher Menge genoſſen, den Ma-
gen ſo wenig beſchwerte, ſo leicht wieder abgienge, und die erſchlaften Lebensgeiſter ſo geſchwind
wieder herſtelte und belebte. Am ſicherſten moͤchte vielleicht derjenige etwas Aehnliches ent-
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wenn er ſie naͤmlich erſt vorher gehoͤrig verbeſſert haͤtte. Aber die Europaͤer haben dieſe
Kentnis noch nicht; giftige Pflanzen ſind ihnen ſo verhaſt, daß ſie faſt ſchon zuruͤkfahren,
wenn ſie nur den Namen hoͤren; und ſogleich befuͤrchten, in den ſchaͤndlichen Verdacht der
Giftmiſcherei zu kommen, wenn ſie ſich damit beſchaͤftigten, die verborgenen Kraͤfte ſolcher
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/521>, abgerufen am 24.11.2024.
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