Bei dem Verfolg unserer Reise von hier, da sich zugleich der Wind sehr zu unserm Vortheil drehete, fanden wir eine merkwürdige Jnsel vor uns, welche wie eine hohe Pyra- mide sich aus dem Wasser erhob. Zu unserer Rechten hatten wir hieselbst eine weite See, welche sich zwischen Jjo und Sanuki, den beiden nördlichen Provinzen der Jnsel Tsikokf, öfnete und so tief ins Land strich, daß deren Ufer nicht abzusehen waren. Zu unserer Linken zeigten sich verschiedene Dörfer, und bald darauf nicht weit außer der Fahrt der berühmte Hafen und Flecken Tomu, der zur linken Hand an dem Ufer eines flach aufsteigenden Ge- bürges der Provinz Bingo liegt, und den man daher zum Unterschied eines andern Orts gleichen Namens, Bingo no Tomu, nent. Es enthält derselbe in einer nach der Zirkel- förmigen Rundung des Ufers zierlich angelegten langen Gasse einige hundert nicht übel aus- sehende Häuserchen, nebst einem Mariam oder Bordelle und zwei schönen Tempeln. Man verfertigt alhier sehr gute Matten zu Belegung des Fusbodens in großer Menge, und ver- fährt sie in die übrigen Provinzen. Hinter diesem Flecken an dem Abhange des Berges liegt ein niedliches Frauen- oder Witwenkloster *), und auf eine viertel deutsche Meile vor demselben ein berühmter Tempel des Abgottes Abbuto, dem man die vorzügliche Macht beilegt, daß er einige Krankheiten heilen, insonderheit aber den Schiffahrenden einen vor- theilhaften Wind zubringen könne, daher auch die Matrosen und Passagiers einige Casjes oder Heller auf ein Hölzchen festgebunden ins Wasser werfen, und diesem Abuto quano sama, d. i. Herrn Abgott Quano, wie sie ihn nennen, als ein Opfer zusenden, um von ihm guten Wind zu erhalten. Der Tempelwärter, der es zwar bezeugt, daß solche Gaben jedesmal ankommen, und ihre richtige Bestimmung erreichen, pflegt jedoch zu meh- rerer Sicherheit bei stillem Wetter mit seinem Kähnchen an den vorbeifahrenden Barken sich selbst einzufinden, und den Zol für seinen Abgott einzufordern. Die vor oder bei dem Flecken liegende Jnsel sowol, als auch die umliegenden Gebürge waren übrigens mit Busch- werk und Bäumen sehr wohl bewachsen.
Ein zur Rechten unser weiteren Fahrt am Ufer liegendes Dörfchen Sjireisj erreich- ten wir unter vortheilhaftem Winde nach sieben Wassermeilen, und wählten den daselbst be- findlichen guten Ankergrund, den wir auf unserer ferneren Reise so bald nicht wieder zu ge- warten hatten, noch eine Stunde vor der Sonnen Untergang zu unserer Ruhe. Es be- greift dieses Dorf etwa 50 Häuser. Ein kultivirtes angenehmes Thal an einem schmalen gegen Norden offenen Hafen einer kleinen Jnsel giebt ihm seine Lage. Auf der Höhe des daran stoßenden Berges wird der Abgott Kobo Dais in einer Höle verehrt. Außer un- sern Barken kamen alhier noch 12 andere vor Anker, die sich nach uns richteten, und zu
Ver-
*) Scheuchzer sezt schlechthin: Kloster.
Zweiter Band. E e
Achtes Kap. Reiſe von Kokura bis Oſacka.
Bei dem Verfolg unſerer Reiſe von hier, da ſich zugleich der Wind ſehr zu unſerm Vortheil drehete, fanden wir eine merkwuͤrdige Jnſel vor uns, welche wie eine hohe Pyra- mide ſich aus dem Waſſer erhob. Zu unſerer Rechten hatten wir hieſelbſt eine weite See, welche ſich zwiſchen Jjo und Sanuki, den beiden noͤrdlichen Provinzen der Jnſel Tſikokf, oͤfnete und ſo tief ins Land ſtrich, daß deren Ufer nicht abzuſehen waren. Zu unſerer Linken zeigten ſich verſchiedene Doͤrfer, und bald darauf nicht weit außer der Fahrt der beruͤhmte Hafen und Flecken Tomu, der zur linken Hand an dem Ufer eines flach aufſteigenden Ge- buͤrges der Provinz Bingo liegt, und den man daher zum Unterſchied eines andern Orts gleichen Namens, Bingo no Tomu, nent. Es enthaͤlt derſelbe in einer nach der Zirkel- foͤrmigen Rundung des Ufers zierlich angelegten langen Gaſſe einige hundert nicht uͤbel aus- ſehende Haͤuſerchen, nebſt einem Mariam oder Bordelle und zwei ſchoͤnen Tempeln. Man verfertigt alhier ſehr gute Matten zu Belegung des Fusbodens in großer Menge, und ver- faͤhrt ſie in die uͤbrigen Provinzen. Hinter dieſem Flecken an dem Abhange des Berges liegt ein niedliches Frauen- oder Witwenkloſter *), und auf eine viertel deutſche Meile vor demſelben ein beruͤhmter Tempel des Abgottes Abbuto, dem man die vorzuͤgliche Macht beilegt, daß er einige Krankheiten heilen, inſonderheit aber den Schiffahrenden einen vor- theilhaften Wind zubringen koͤnne, daher auch die Matroſen und Paſſagiers einige Caſjes oder Heller auf ein Hoͤlzchen feſtgebunden ins Waſſer werfen, und dieſem Abuto quano ſama, d. i. Herrn Abgott Quano, wie ſie ihn nennen, als ein Opfer zuſenden, um von ihm guten Wind zu erhalten. Der Tempelwaͤrter, der es zwar bezeugt, daß ſolche Gaben jedesmal ankommen, und ihre richtige Beſtimmung erreichen, pflegt jedoch zu meh- rerer Sicherheit bei ſtillem Wetter mit ſeinem Kaͤhnchen an den vorbeifahrenden Barken ſich ſelbſt einzufinden, und den Zol fuͤr ſeinen Abgott einzufordern. Die vor oder bei dem Flecken liegende Jnſel ſowol, als auch die umliegenden Gebuͤrge waren uͤbrigens mit Buſch- werk und Baͤumen ſehr wohl bewachſen.
Ein zur Rechten unſer weiteren Fahrt am Ufer liegendes Doͤrfchen Sjireiſj erreich- ten wir unter vortheilhaftem Winde nach ſieben Waſſermeilen, und waͤhlten den daſelbſt be- findlichen guten Ankergrund, den wir auf unſerer ferneren Reiſe ſo bald nicht wieder zu ge- warten hatten, noch eine Stunde vor der Sonnen Untergang zu unſerer Ruhe. Es be- greift dieſes Dorf etwa 50 Haͤuſer. Ein kultivirtes angenehmes Thal an einem ſchmalen gegen Norden offenen Hafen einer kleinen Jnſel giebt ihm ſeine Lage. Auf der Hoͤhe des daran ſtoßenden Berges wird der Abgott Kobo Dais in einer Hoͤle verehrt. Außer un- ſern Barken kamen alhier noch 12 andere vor Anker, die ſich nach uns richteten, und zu
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*) Scheuchzer ſezt ſchlechthin: Kloſter.
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[217/0243]
Achtes Kap. Reiſe von Kokura bis Oſacka.
Bei dem Verfolg unſerer Reiſe von hier, da ſich zugleich der Wind ſehr zu unſerm
Vortheil drehete, fanden wir eine merkwuͤrdige Jnſel vor uns, welche wie eine hohe Pyra-
mide ſich aus dem Waſſer erhob. Zu unſerer Rechten hatten wir hieſelbſt eine weite See,
welche ſich zwiſchen Jjo und Sanuki, den beiden noͤrdlichen Provinzen der Jnſel Tſikokf,
oͤfnete und ſo tief ins Land ſtrich, daß deren Ufer nicht abzuſehen waren. Zu unſerer Linken
zeigten ſich verſchiedene Doͤrfer, und bald darauf nicht weit außer der Fahrt der beruͤhmte
Hafen und Flecken Tomu, der zur linken Hand an dem Ufer eines flach aufſteigenden Ge-
buͤrges der Provinz Bingo liegt, und den man daher zum Unterſchied eines andern Orts
gleichen Namens, Bingo no Tomu, nent. Es enthaͤlt derſelbe in einer nach der Zirkel-
foͤrmigen Rundung des Ufers zierlich angelegten langen Gaſſe einige hundert nicht uͤbel aus-
ſehende Haͤuſerchen, nebſt einem Mariam oder Bordelle und zwei ſchoͤnen Tempeln. Man
verfertigt alhier ſehr gute Matten zu Belegung des Fusbodens in großer Menge, und ver-
faͤhrt ſie in die uͤbrigen Provinzen. Hinter dieſem Flecken an dem Abhange des Berges
liegt ein niedliches Frauen- oder Witwenkloſter *), und auf eine viertel deutſche Meile vor
demſelben ein beruͤhmter Tempel des Abgottes Abbuto, dem man die vorzuͤgliche Macht
beilegt, daß er einige Krankheiten heilen, inſonderheit aber den Schiffahrenden einen vor-
theilhaften Wind zubringen koͤnne, daher auch die Matroſen und Paſſagiers einige Caſjes
oder Heller auf ein Hoͤlzchen feſtgebunden ins Waſſer werfen, und dieſem Abuto quano
ſama, d. i. Herrn Abgott Quano, wie ſie ihn nennen, als ein Opfer zuſenden, um
von ihm guten Wind zu erhalten. Der Tempelwaͤrter, der es zwar bezeugt, daß ſolche
Gaben jedesmal ankommen, und ihre richtige Beſtimmung erreichen, pflegt jedoch zu meh-
rerer Sicherheit bei ſtillem Wetter mit ſeinem Kaͤhnchen an den vorbeifahrenden Barken
ſich ſelbſt einzufinden, und den Zol fuͤr ſeinen Abgott einzufordern. Die vor oder bei dem
Flecken liegende Jnſel ſowol, als auch die umliegenden Gebuͤrge waren uͤbrigens mit Buſch-
werk und Baͤumen ſehr wohl bewachſen.
Ein zur Rechten unſer weiteren Fahrt am Ufer liegendes Doͤrfchen Sjireiſj erreich-
ten wir unter vortheilhaftem Winde nach ſieben Waſſermeilen, und waͤhlten den daſelbſt be-
findlichen guten Ankergrund, den wir auf unſerer ferneren Reiſe ſo bald nicht wieder zu ge-
warten hatten, noch eine Stunde vor der Sonnen Untergang zu unſerer Ruhe. Es be-
greift dieſes Dorf etwa 50 Haͤuſer. Ein kultivirtes angenehmes Thal an einem ſchmalen
gegen Norden offenen Hafen einer kleinen Jnſel giebt ihm ſeine Lage. Auf der Hoͤhe des
daran ſtoßenden Berges wird der Abgott Kobo Dais in einer Hoͤle verehrt. Außer un-
ſern Barken kamen alhier noch 12 andere vor Anker, die ſich nach uns richteten, und zu
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*) Scheuchzer ſezt ſchlechthin: Kloſter.
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/243>, abgerufen am 21.11.2024.
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