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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Drittes Buch.
er von ganz ungemeinem Verstande und der vortreflichste Philosoph war, der diese östlichen
Länder noch bis auf den heutigen Tag erleuchtet.

Seine Bücher und Lehren werden in denselben noch jezt*) so werth gehalten, als
wenn sie Confuzius (wie ehemals Sokrates seine Weisheit) vom Himmel geholt hätte.
Die Landesregenten in Japan bauen und unterhalten seinem Gedächtnis Ehrentempel. Der
jetzige Kaiser hat zu meiner Zeit noch zwei in Jedo erbauet. Als er die lezte in eigener
Person besuchte, hielt er an seine Reichsräthe und Hofbedienten eine Rede, worin er die
großen Eigenschaften dieses Philosophen erhob und seine Regierungsgrundsätze anpries. Sein
Bild nimt allemal den ehrenvolsten Plaz in den Häusern der Philosophen ein, und sein Name
wird von den Gelehrten nie ohne die gröste Ehrfurcht ausgesprochen.

Es war nicht zu bewundern, daß die natürlichen und vernunftmäßigen Lehren und
Vorschriften des weisen Confuzius, die übernatürlichen und ungereimten Chimären und
gezwungne Leibesstellungen des Roos und seiner Nachfolger bald niederrissen und einen
gewaltigen Zulauf von Anhängern aus allen Theilen des Reichs erhielten. Er starb im
73sten**) Jahre seines Alters, und hinterlies viele erleuchtete Schüler und neue Lehrer,
welche die Wissenschaft und Weisheit, die sie aus seinem Munde erhalten hatten, in Schrif-
ten verfasten, und zugleich mündlich ausbreiteten. Diese Lehre wird dann auch noch bis
auf den heutigen Tag unverfälscht beibehalten, und als eine Hauptregel des Lebens unter
dem Namen Sju oder Sjudo d. i. philosophischer Weg oder die Vorschrift des Le-
bens
befolgt. Auch andre, die sich zur Budsdo Lehre und andern fremden Religionen be-
kennen, lesen und benutzen doch diese Schriften in der Policey, Sittenlehre und Natur-
kunde, und verehren sie ohngefehr auf die Art, wie die Christen die Lehrschriften der Grie-
chen und Römer.

Während daß die Philosophie und gefällige Lehre des Confuzius nun in China
blühte, und durch nachbarliche Kommunikation auch zu den Japanern übergieng, wurden
die Lande Laos und Siam nebst allem andern umliegenden sowol festen Lande als den Jnseln
ganz mit der Lehre des Sjaka angefült. Jm Jahr nach Christo 63 kamen die ersten Lehrer

und
*) Der englische Uebersetzer fügt hinzu: "nun
"schon seit 200 Jahren" ein Zusaz, der sehr unge-
reimt seyn würde, wenn er nicht ein Schreibfeh-
ler wäre. Der französische Uebersetzer hat ihn da-
für angenommen, und mit Recht in 2000 verwan-
delt. Jn meinen Handschriften findet sich gar keine
Erwähnung der Zeit.
**) Eine Kleinigkeit, die bemerkt zu wer-
den verdient, ists, daß Kämpfer oben (S. 189)
und Andre den Confuzius im 74sten Jahre sterben
lassen.

Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch.
er von ganz ungemeinem Verſtande und der vortreflichſte Philoſoph war, der dieſe oͤſtlichen
Laͤnder noch bis auf den heutigen Tag erleuchtet.

Seine Buͤcher und Lehren werden in denſelben noch jezt*) ſo werth gehalten, als
wenn ſie Confuzius (wie ehemals Sokrates ſeine Weisheit) vom Himmel geholt haͤtte.
Die Landesregenten in Japan bauen und unterhalten ſeinem Gedaͤchtnis Ehrentempel. Der
jetzige Kaiſer hat zu meiner Zeit noch zwei in Jedo erbauet. Als er die lezte in eigener
Perſon beſuchte, hielt er an ſeine Reichsraͤthe und Hofbedienten eine Rede, worin er die
großen Eigenſchaften dieſes Philoſophen erhob und ſeine Regierungsgrundſaͤtze anpries. Sein
Bild nimt allemal den ehrenvolſten Plaz in den Haͤuſern der Philoſophen ein, und ſein Name
wird von den Gelehrten nie ohne die groͤſte Ehrfurcht ausgeſprochen.

Es war nicht zu bewundern, daß die natuͤrlichen und vernunftmaͤßigen Lehren und
Vorſchriften des weiſen Confuzius, die uͤbernatuͤrlichen und ungereimten Chimaͤren und
gezwungne Leibesſtellungen des Roos und ſeiner Nachfolger bald niederriſſen und einen
gewaltigen Zulauf von Anhaͤngern aus allen Theilen des Reichs erhielten. Er ſtarb im
73ſten**) Jahre ſeines Alters, und hinterlies viele erleuchtete Schuͤler und neue Lehrer,
welche die Wiſſenſchaft und Weisheit, die ſie aus ſeinem Munde erhalten hatten, in Schrif-
ten verfaſten, und zugleich muͤndlich ausbreiteten. Dieſe Lehre wird dann auch noch bis
auf den heutigen Tag unverfaͤlſcht beibehalten, und als eine Hauptregel des Lebens unter
dem Namen Sju oder Sjudo d. i. philoſophiſcher Weg oder die Vorſchrift des Le-
bens
befolgt. Auch andre, die ſich zur Budsdo Lehre und andern fremden Religionen be-
kennen, leſen und benutzen doch dieſe Schriften in der Policey, Sittenlehre und Natur-
kunde, und verehren ſie ohngefehr auf die Art, wie die Chriſten die Lehrſchriften der Grie-
chen und Roͤmer.

Waͤhrend daß die Philoſophie und gefaͤllige Lehre des Confuzius nun in China
bluͤhte, und durch nachbarliche Kommunikation auch zu den Japanern uͤbergieng, wurden
die Lande Laos und Siam nebſt allem andern umliegenden ſowol feſten Lande als den Jnſeln
ganz mit der Lehre des Sjaka angefuͤlt. Jm Jahr nach Chriſto 63 kamen die erſten Lehrer

und
*) Der engliſche Ueberſetzer fuͤgt hinzu: „nun
„ſchon ſeit 200 Jahren‟ ein Zuſaz, der ſehr unge-
reimt ſeyn wuͤrde, wenn er nicht ein Schreibfeh-
ler waͤre. Der franzoͤſiſche Ueberſetzer hat ihn da-
fuͤr angenommen, und mit Recht in 2000 verwan-
delt. Jn meinen Handſchriften findet ſich gar keine
Erwaͤhnung der Zeit.
**) Eine Kleinigkeit, die bemerkt zu wer-
den verdient, iſts, daß Kaͤmpfer oben (S. 189)
und Andre den Confuzius im 74ſten Jahre ſterben
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[302/0410] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Drittes Buch. er von ganz ungemeinem Verſtande und der vortreflichſte Philoſoph war, der dieſe oͤſtlichen Laͤnder noch bis auf den heutigen Tag erleuchtet. Seine Buͤcher und Lehren werden in denſelben noch jezt *) ſo werth gehalten, als wenn ſie Confuzius (wie ehemals Sokrates ſeine Weisheit) vom Himmel geholt haͤtte. Die Landesregenten in Japan bauen und unterhalten ſeinem Gedaͤchtnis Ehrentempel. Der jetzige Kaiſer hat zu meiner Zeit noch zwei in Jedo erbauet. Als er die lezte in eigener Perſon beſuchte, hielt er an ſeine Reichsraͤthe und Hofbedienten eine Rede, worin er die großen Eigenſchaften dieſes Philoſophen erhob und ſeine Regierungsgrundſaͤtze anpries. Sein Bild nimt allemal den ehrenvolſten Plaz in den Haͤuſern der Philoſophen ein, und ſein Name wird von den Gelehrten nie ohne die groͤſte Ehrfurcht ausgeſprochen. Es war nicht zu bewundern, daß die natuͤrlichen und vernunftmaͤßigen Lehren und Vorſchriften des weiſen Confuzius, die uͤbernatuͤrlichen und ungereimten Chimaͤren und gezwungne Leibesſtellungen des Roos und ſeiner Nachfolger bald niederriſſen und einen gewaltigen Zulauf von Anhaͤngern aus allen Theilen des Reichs erhielten. Er ſtarb im 73ſten **) Jahre ſeines Alters, und hinterlies viele erleuchtete Schuͤler und neue Lehrer, welche die Wiſſenſchaft und Weisheit, die ſie aus ſeinem Munde erhalten hatten, in Schrif- ten verfaſten, und zugleich muͤndlich ausbreiteten. Dieſe Lehre wird dann auch noch bis auf den heutigen Tag unverfaͤlſcht beibehalten, und als eine Hauptregel des Lebens unter dem Namen Sju oder Sjudo d. i. philoſophiſcher Weg oder die Vorſchrift des Le- bens befolgt. Auch andre, die ſich zur Budsdo Lehre und andern fremden Religionen be- kennen, leſen und benutzen doch dieſe Schriften in der Policey, Sittenlehre und Natur- kunde, und verehren ſie ohngefehr auf die Art, wie die Chriſten die Lehrſchriften der Grie- chen und Roͤmer. Waͤhrend daß die Philoſophie und gefaͤllige Lehre des Confuzius nun in China bluͤhte, und durch nachbarliche Kommunikation auch zu den Japanern uͤbergieng, wurden die Lande Laos und Siam nebſt allem andern umliegenden ſowol feſten Lande als den Jnſeln ganz mit der Lehre des Sjaka angefuͤlt. Jm Jahr nach Chriſto 63 kamen die erſten Lehrer und *) Der engliſche Ueberſetzer fuͤgt hinzu: „nun „ſchon ſeit 200 Jahren‟ ein Zuſaz, der ſehr unge- reimt ſeyn wuͤrde, wenn er nicht ein Schreibfeh- ler waͤre. Der franzoͤſiſche Ueberſetzer hat ihn da- fuͤr angenommen, und mit Recht in 2000 verwan- delt. Jn meinen Handſchriften findet ſich gar keine Erwaͤhnung der Zeit. **) Eine Kleinigkeit, die bemerkt zu wer- den verdient, iſts, daß Kaͤmpfer oben (S. 189) und Andre den Confuzius im 74ſten Jahre ſterben laſſen.

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/410>, abgerufen am 25.11.2024.