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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Sechst. K. Von den Budsdo, oder der ausländis. heidnis. Religion.
erwähnten Makatta Kokf, einem Reiche des Landes Tensikf, welches meiner Vermu-
thung nach Zeilon ist, obgleich der gemeine Mann in Japan auch Siam pflegt Ma-
katta Kokf
zu nennen.

Als Sjaka neunzehn Jahr alt war, verließ er seinen Pallast, seine Gemahlin
und einen einzigen Sohn, und machte sich zum Schüler eines berühmten Eremitens oder
Pilgrims Arara Sennin, der auf der Höhe des Berges Dandokf, in der Provinz Dan-
daktsju,
am Flusse Batto Daiga wohnte. Unter der strengen Anführung dieses Heiligen
brachte er neun und vierzig Jahre lang in ununterbrochner Betrachtung himlischer und geistiger
Dinge zu. Er befand sich dabey beständig in derjenigen Lage des Körpers, die zwar an
sich sehr unbequem, aber zu geistlichen Betrachtungen besonders vortheilhaft gehalten wird.
Dies ist eine Art zu sitzen, da die Füße unnatürlich über einander liegen, und gleichsam in
einander geflochten sind, die Hände aber im Schooß gefalten ruhn, doch so, daß die Dau-
men, aufgehoben, mit den Spitzen gegen einander anstoßen. Die Wirkung dieser Lage des
Körpers sol seyn, daß die Gedanken allem Jrdischen mit gröster Kraft entzogen werden, und
daß der Körper gleichsam sinloß ist, und durch keine äußere Gegenstände gerührt wird.
Dieser tiefe Enthusiasmus, worin sich alsdenn der Betrachter befindet, heist bey ihnen
Safen, und die in demselben ausgefundne Wahrheit oder erhaltne Offenbahrung Satori.
Diese war bey dem heiligen Sjaka so vorzüglich, daß er die Lage und innere Beschaffen-
heiten vom Himmel und Hölle, den Zustand der entleibten Seelen, ihre metempsychosische
Verwandlungen, den Weg zur Seligkeit, die Regierung der Götter und eine Menge an-
derer übernatürlichen Dinge dadurch ganz deutlich und genau ausforschte. Diese theilte er
dann seinen Schülern mit, die sich, um derselben theilhaftig zu werden, in großer Zahl zu
seiner Zucht und Lehre begaben, und eben so eine strenge Lebensart, wie Er, führten.

Sjaka wurde 79 Jahr alt, und starb am 15ten Tage des 2ten Monats, im 950sten
Jahre vor unsers Seligmachers Geburt.*)

Die wesentlichsten seiner Lehren sind folgende:

1.
Die Seelen der Menschen und der Thiere sind unsterblich. Beide sind gleiches
Wesens, und nur in dieser Welt dadurch unterschieden, daß sie mit verschiednen Werkzeu-
gen versehn, und in verschiedne Körper placirt sind.
2.
*) [Spaltenumbruch]
Jch mus über diesen Sjaka (von dem man
so widersprechende Berichte hat) nochmals auf das
verweisen, was K. schon oben (besonders S. 48)
[Spaltenumbruch] von ihm gesagt hat. Eine genauere Untersuchung
über seine Geschichte und Lehre behalt ich meinen
Zusätzen vor.
P p

Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion.
erwaͤhnten Makatta Kokf, einem Reiche des Landes Tenſikf, welches meiner Vermu-
thung nach Zeilon iſt, obgleich der gemeine Mann in Japan auch Siam pflegt Ma-
katta Kokf
zu nennen.

Als Sjaka neunzehn Jahr alt war, verließ er ſeinen Pallaſt, ſeine Gemahlin
und einen einzigen Sohn, und machte ſich zum Schuͤler eines beruͤhmten Eremitens oder
Pilgrims Arara Sennin, der auf der Hoͤhe des Berges Dandokf, in der Provinz Dan-
daktſju,
am Fluſſe Batto Daiga wohnte. Unter der ſtrengen Anfuͤhrung dieſes Heiligen
brachte er neun und vierzig Jahre lang in ununterbrochner Betrachtung himliſcher und geiſtiger
Dinge zu. Er befand ſich dabey beſtaͤndig in derjenigen Lage des Koͤrpers, die zwar an
ſich ſehr unbequem, aber zu geiſtlichen Betrachtungen beſonders vortheilhaft gehalten wird.
Dies iſt eine Art zu ſitzen, da die Fuͤße unnatuͤrlich uͤber einander liegen, und gleichſam in
einander geflochten ſind, die Haͤnde aber im Schooß gefalten ruhn, doch ſo, daß die Dau-
men, aufgehoben, mit den Spitzen gegen einander anſtoßen. Die Wirkung dieſer Lage des
Koͤrpers ſol ſeyn, daß die Gedanken allem Jrdiſchen mit groͤſter Kraft entzogen werden, und
daß der Koͤrper gleichſam ſinloß iſt, und durch keine aͤußere Gegenſtaͤnde geruͤhrt wird.
Dieſer tiefe Enthuſiasmus, worin ſich alsdenn der Betrachter befindet, heiſt bey ihnen
Safen, und die in demſelben ausgefundne Wahrheit oder erhaltne Offenbahrung Satori.
Dieſe war bey dem heiligen Sjaka ſo vorzuͤglich, daß er die Lage und innere Beſchaffen-
heiten vom Himmel und Hoͤlle, den Zuſtand der entleibten Seelen, ihre metempſychoſiſche
Verwandlungen, den Weg zur Seligkeit, die Regierung der Goͤtter und eine Menge an-
derer uͤbernatuͤrlichen Dinge dadurch ganz deutlich und genau ausforſchte. Dieſe theilte er
dann ſeinen Schuͤlern mit, die ſich, um derſelben theilhaftig zu werden, in großer Zahl zu
ſeiner Zucht und Lehre begaben, und eben ſo eine ſtrenge Lebensart, wie Er, fuͤhrten.

Sjaka wurde 79 Jahr alt, und ſtarb am 15ten Tage des 2ten Monats, im 950ſten
Jahre vor unſers Seligmachers Geburt.*)

Die weſentlichſten ſeiner Lehren ſind folgende:

1.
Die Seelen der Menſchen und der Thiere ſind unſterblich. Beide ſind gleiches
Weſens, und nur in dieſer Welt dadurch unterſchieden, daß ſie mit verſchiednen Werkzeu-
gen verſehn, und in verſchiedne Koͤrper placirt ſind.
2.
*) [Spaltenumbruch]
Jch mus uͤber dieſen Sjaka (von dem man
ſo widerſprechende Berichte hat) nochmals auf das
verweiſen, was K. ſchon oben (beſonders S. 48)
[Spaltenumbruch] von ihm geſagt hat. Eine genauere Unterſuchung
uͤber ſeine Geſchichte und Lehre behalt ich meinen
Zuſaͤtzen vor.
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[297/0405] Sechſt. K. Von den Budsdo, oder der auslaͤndiſ. heidniſ. Religion. erwaͤhnten Makatta Kokf, einem Reiche des Landes Tenſikf, welches meiner Vermu- thung nach Zeilon iſt, obgleich der gemeine Mann in Japan auch Siam pflegt Ma- katta Kokf zu nennen. Als Sjaka neunzehn Jahr alt war, verließ er ſeinen Pallaſt, ſeine Gemahlin und einen einzigen Sohn, und machte ſich zum Schuͤler eines beruͤhmten Eremitens oder Pilgrims Arara Sennin, der auf der Hoͤhe des Berges Dandokf, in der Provinz Dan- daktſju, am Fluſſe Batto Daiga wohnte. Unter der ſtrengen Anfuͤhrung dieſes Heiligen brachte er neun und vierzig Jahre lang in ununterbrochner Betrachtung himliſcher und geiſtiger Dinge zu. Er befand ſich dabey beſtaͤndig in derjenigen Lage des Koͤrpers, die zwar an ſich ſehr unbequem, aber zu geiſtlichen Betrachtungen beſonders vortheilhaft gehalten wird. Dies iſt eine Art zu ſitzen, da die Fuͤße unnatuͤrlich uͤber einander liegen, und gleichſam in einander geflochten ſind, die Haͤnde aber im Schooß gefalten ruhn, doch ſo, daß die Dau- men, aufgehoben, mit den Spitzen gegen einander anſtoßen. Die Wirkung dieſer Lage des Koͤrpers ſol ſeyn, daß die Gedanken allem Jrdiſchen mit groͤſter Kraft entzogen werden, und daß der Koͤrper gleichſam ſinloß iſt, und durch keine aͤußere Gegenſtaͤnde geruͤhrt wird. Dieſer tiefe Enthuſiasmus, worin ſich alsdenn der Betrachter befindet, heiſt bey ihnen Safen, und die in demſelben ausgefundne Wahrheit oder erhaltne Offenbahrung Satori. Dieſe war bey dem heiligen Sjaka ſo vorzuͤglich, daß er die Lage und innere Beſchaffen- heiten vom Himmel und Hoͤlle, den Zuſtand der entleibten Seelen, ihre metempſychoſiſche Verwandlungen, den Weg zur Seligkeit, die Regierung der Goͤtter und eine Menge an- derer uͤbernatuͤrlichen Dinge dadurch ganz deutlich und genau ausforſchte. Dieſe theilte er dann ſeinen Schuͤlern mit, die ſich, um derſelben theilhaftig zu werden, in großer Zahl zu ſeiner Zucht und Lehre begaben, und eben ſo eine ſtrenge Lebensart, wie Er, fuͤhrten. Sjaka wurde 79 Jahr alt, und ſtarb am 15ten Tage des 2ten Monats, im 950ſten Jahre vor unſers Seligmachers Geburt. *) Die weſentlichſten ſeiner Lehren ſind folgende: 1. Die Seelen der Menſchen und der Thiere ſind unſterblich. Beide ſind gleiches Weſens, und nur in dieſer Welt dadurch unterſchieden, daß ſie mit verſchiednen Werkzeu- gen verſehn, und in verſchiedne Koͤrper placirt ſind. 2. *) Jch mus uͤber dieſen Sjaka (von dem man ſo widerſprechende Berichte hat) nochmals auf das verweiſen, was K. ſchon oben (beſonders S. 48) von ihm geſagt hat. Eine genauere Unterſuchung uͤber ſeine Geſchichte und Lehre behalt ich meinen Zuſaͤtzen vor. P p

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/405>, abgerufen am 06.05.2024.