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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Viert. K. Von der Sanga oder der heiligen Walfart nach Jsje.

Sobald ein Bätfahrer aufgebrochen ist, ziehen die Seinigen über die Hausthür ein
Strohseil, an dem einiges zerschnittenes weißes Papier herabhängt, als ein Zeichen der
grösten Reinigkeit und zur Warnung für jeden Unreinen, und besonders für diejenigen, welche
unter einem großen Jmi oder Jma (als z. E. die durch den Tod ihrer Eltern verunreinigt
sind) liegen. Diese dürfen nicht in ein solches Haus hineingehen, weil man bemerkt hat,
daß allemal, wenn ein solcher Unreiner in des Pilgrims Haus kam, dieser viel Unglük und
Wiedrigkeit auszustehen hatte, und im Schlaf von bösen Träumen angefochten wurde.
Ein kleines und schlechtes Jmi wird nicht sonderlich geachtet und bringt eben keinen Scha-
den. Diese Kenzeichen der Reinigkeit werden auch öfters über die Alleen, die zu Mias
führen, ausgespant.

Diese Walfahrt macht auch eine mehr als gewöhnliche Enthaltsamkeit nothwen-
dig. Der Pilgrim mus so wohl auf dem Hin-als Herwege vom Beischlaf auch mit sei-
nem eignen Weibe sich enthalten. Denn, obgleich weder die Götter, noch die ganze Na-
tion den Beischlaf für unheilig oder unrein halten, so wil man doch bemerkt haben, daß die-
jenigen, welche sich während dieser heiligen Handlung vermischen, so fest an einander kleben,
daß sie nicht anders als durch kräftige Ceremonien der Jammabos d. i. Bergpfaffen oder
anderer mächtigen Budsdopriester von einander gerathen können. Man glaubt dies ganz
fest, und behauptet, daß jährlich hievon mehrere Exempel vorfielen.

Ein Fusjo oder Unreiner darf diese Reise gar nicht unternehmen, weil er sonst un-
fehlbar die Sinbatz d. i. die Rache der Götter sich und den Seinigen zuziehen würde. Ein
Sjukin oder Priester von der Buds Religion kan schlechterdings niemalen an diesen heili-
gen Orten erscheinen, weil er unreine Geschäfte, nemlich mit sterbenden Leuten und mit Be-
stellung der Leichen, zu thun hat.

Wenn nun ein Pilgrim nach Jsje gekommen ist, (diesem erwünschten Ziel seiner
Reise, wo täglich eine große Menge und an einigen Tagen viele Tausend ankommen) so be-
giebt er sich zu einem oder dem andern Canusj, seinem Bekanten, von dem er sich jähr-
lich mit Ablas versorgt. Er legt bey demselben seinen Gruß mit den gewöhnlichen bür-
gerlichen Ceremonien ab, der Canusj siehet ihn oder läst ihn durch seinen Diener nebst an-
dern, die sich gleichfals bei ihm gemeldet, diesen und den folgenden Tag herum führen, die
verschiedenen Tempel zeigen, wobey ihnen die Namen und Thaten der Götter, zu deren Ehre
sie erbauet worden, mit kurzen Worten erzählet werden. Endlich trit er mit ihnen vor den
Mittel-und Haupttempel des Tensjo Dai sin und läst sie in tiefster Demuth niederknien
und auf der Stirn liegend, ihr Anliegen um Gesundheit oder andere Güter vorbringen.

Nach vollendeter Procession werden die Pilgrimme diesen und (fals die Andacht sie
länger verweilt) noch einige folgende Tage von den Canusj bewirthet, auch, wenn ihnen

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Viert. K. Von der Sanga oder der heiligen Walfart nach Jsje.

Sobald ein Baͤtfahrer aufgebrochen iſt, ziehen die Seinigen uͤber die Hausthuͤr ein
Strohſeil, an dem einiges zerſchnittenes weißes Papier herabhaͤngt, als ein Zeichen der
groͤſten Reinigkeit und zur Warnung fuͤr jeden Unreinen, und beſonders fuͤr diejenigen, welche
unter einem großen Jmi oder Jma (als z. E. die durch den Tod ihrer Eltern verunreinigt
ſind) liegen. Dieſe duͤrfen nicht in ein ſolches Haus hineingehen, weil man bemerkt hat,
daß allemal, wenn ein ſolcher Unreiner in des Pilgrims Haus kam, dieſer viel Ungluͤk und
Wiedrigkeit auszuſtehen hatte, und im Schlaf von boͤſen Traͤumen angefochten wurde.
Ein kleines und ſchlechtes Jmi wird nicht ſonderlich geachtet und bringt eben keinen Scha-
den. Dieſe Kenzeichen der Reinigkeit werden auch oͤfters uͤber die Alleen, die zu Mias
fuͤhren, ausgeſpant.

Dieſe Walfahrt macht auch eine mehr als gewoͤhnliche Enthaltſamkeit nothwen-
dig. Der Pilgrim mus ſo wohl auf dem Hin-als Herwege vom Beiſchlaf auch mit ſei-
nem eignen Weibe ſich enthalten. Denn, obgleich weder die Goͤtter, noch die ganze Na-
tion den Beiſchlaf fuͤr unheilig oder unrein halten, ſo wil man doch bemerkt haben, daß die-
jenigen, welche ſich waͤhrend dieſer heiligen Handlung vermiſchen, ſo feſt an einander kleben,
daß ſie nicht anders als durch kraͤftige Ceremonien der Jammabos d. i. Bergpfaffen oder
anderer maͤchtigen Budsdoprieſter von einander gerathen koͤnnen. Man glaubt dies ganz
feſt, und behauptet, daß jaͤhrlich hievon mehrere Exempel vorfielen.

Ein Fusjo oder Unreiner darf dieſe Reiſe gar nicht unternehmen, weil er ſonſt un-
fehlbar die Sinbatz d. i. die Rache der Goͤtter ſich und den Seinigen zuziehen wuͤrde. Ein
Sjukin oder Prieſter von der Buds Religion kan ſchlechterdings niemalen an dieſen heili-
gen Orten erſcheinen, weil er unreine Geſchaͤfte, nemlich mit ſterbenden Leuten und mit Be-
ſtellung der Leichen, zu thun hat.

Wenn nun ein Pilgrim nach Jsje gekommen iſt, (dieſem erwuͤnſchten Ziel ſeiner
Reiſe, wo taͤglich eine große Menge und an einigen Tagen viele Tauſend ankommen) ſo be-
giebt er ſich zu einem oder dem andern Canuſj, ſeinem Bekanten, von dem er ſich jaͤhr-
lich mit Ablas verſorgt. Er legt bey demſelben ſeinen Gruß mit den gewoͤhnlichen buͤr-
gerlichen Ceremonien ab, der Canuſj ſiehet ihn oder laͤſt ihn durch ſeinen Diener nebſt an-
dern, die ſich gleichfals bei ihm gemeldet, dieſen und den folgenden Tag herum fuͤhren, die
verſchiedenen Tempel zeigen, wobey ihnen die Namen und Thaten der Goͤtter, zu deren Ehre
ſie erbauet worden, mit kurzen Worten erzaͤhlet werden. Endlich trit er mit ihnen vor den
Mittel-und Haupttempel des Tenſjo Dai ſin und laͤſt ſie in tiefſter Demuth niederknien
und auf der Stirn liegend, ihr Anliegen um Geſundheit oder andere Guͤter vorbringen.

Nach vollendeter Proceſſion werden die Pilgrimme dieſen und (fals die Andacht ſie
laͤnger verweilt) noch einige folgende Tage von den Canuſj bewirthet, auch, wenn ihnen

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[481[281]/0387] Viert. K. Von der Sanga oder der heiligen Walfart nach Jsje. Sobald ein Baͤtfahrer aufgebrochen iſt, ziehen die Seinigen uͤber die Hausthuͤr ein Strohſeil, an dem einiges zerſchnittenes weißes Papier herabhaͤngt, als ein Zeichen der groͤſten Reinigkeit und zur Warnung fuͤr jeden Unreinen, und beſonders fuͤr diejenigen, welche unter einem großen Jmi oder Jma (als z. E. die durch den Tod ihrer Eltern verunreinigt ſind) liegen. Dieſe duͤrfen nicht in ein ſolches Haus hineingehen, weil man bemerkt hat, daß allemal, wenn ein ſolcher Unreiner in des Pilgrims Haus kam, dieſer viel Ungluͤk und Wiedrigkeit auszuſtehen hatte, und im Schlaf von boͤſen Traͤumen angefochten wurde. Ein kleines und ſchlechtes Jmi wird nicht ſonderlich geachtet und bringt eben keinen Scha- den. Dieſe Kenzeichen der Reinigkeit werden auch oͤfters uͤber die Alleen, die zu Mias fuͤhren, ausgeſpant. Dieſe Walfahrt macht auch eine mehr als gewoͤhnliche Enthaltſamkeit nothwen- dig. Der Pilgrim mus ſo wohl auf dem Hin-als Herwege vom Beiſchlaf auch mit ſei- nem eignen Weibe ſich enthalten. Denn, obgleich weder die Goͤtter, noch die ganze Na- tion den Beiſchlaf fuͤr unheilig oder unrein halten, ſo wil man doch bemerkt haben, daß die- jenigen, welche ſich waͤhrend dieſer heiligen Handlung vermiſchen, ſo feſt an einander kleben, daß ſie nicht anders als durch kraͤftige Ceremonien der Jammabos d. i. Bergpfaffen oder anderer maͤchtigen Budsdoprieſter von einander gerathen koͤnnen. Man glaubt dies ganz feſt, und behauptet, daß jaͤhrlich hievon mehrere Exempel vorfielen. Ein Fusjo oder Unreiner darf dieſe Reiſe gar nicht unternehmen, weil er ſonſt un- fehlbar die Sinbatz d. i. die Rache der Goͤtter ſich und den Seinigen zuziehen wuͤrde. Ein Sjukin oder Prieſter von der Buds Religion kan ſchlechterdings niemalen an dieſen heili- gen Orten erſcheinen, weil er unreine Geſchaͤfte, nemlich mit ſterbenden Leuten und mit Be- ſtellung der Leichen, zu thun hat. Wenn nun ein Pilgrim nach Jsje gekommen iſt, (dieſem erwuͤnſchten Ziel ſeiner Reiſe, wo taͤglich eine große Menge und an einigen Tagen viele Tauſend ankommen) ſo be- giebt er ſich zu einem oder dem andern Canuſj, ſeinem Bekanten, von dem er ſich jaͤhr- lich mit Ablas verſorgt. Er legt bey demſelben ſeinen Gruß mit den gewoͤhnlichen buͤr- gerlichen Ceremonien ab, der Canuſj ſiehet ihn oder laͤſt ihn durch ſeinen Diener nebſt an- dern, die ſich gleichfals bei ihm gemeldet, dieſen und den folgenden Tag herum fuͤhren, die verſchiedenen Tempel zeigen, wobey ihnen die Namen und Thaten der Goͤtter, zu deren Ehre ſie erbauet worden, mit kurzen Worten erzaͤhlet werden. Endlich trit er mit ihnen vor den Mittel-und Haupttempel des Tenſjo Dai ſin und laͤſt ſie in tiefſter Demuth niederknien und auf der Stirn liegend, ihr Anliegen um Geſundheit oder andere Guͤter vorbringen. Nach vollendeter Proceſſion werden die Pilgrimme dieſen und (fals die Andacht ſie laͤnger verweilt) noch einige folgende Tage von den Canuſj bewirthet, auch, wenn ihnen ihr N n

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 481[281]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/387>, abgerufen am 24.11.2024.