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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Von den verschiednen Religionspartheyen im japanischen Reiche etc.
trift mehr das zeitliche Wohlseyn und Glük, als den Zustand der Seele nach dem Tode, ob
sie gleich die Unsterblichkeit und einen ewigen guten oder bösen Zustand der Seele zugesteht.
Doch sind freilich die Begriffe von diesem Zustande sehr dunkel und unvolständig.

Die Anhänger dieser Sekte haben ihre Verehrung vorzüglich denjenigen Gotthei-
ten geweiht, von denen sie glauben, daß sie in der Regierung dieser Welt Macht beweisen
können. Jedem derselben haben sie ein besondres Geschäft, wie in einer aristokratischen
Verfassung, beigelegt. Sie nehmen nun zwar auch einen unendlichen Gott in den unendli-
chen Himmeln an, und lassen in dem sichtbaren himlischen Firmament noch andre hohe
Götter wohnen; aber diese werden gar nicht verehrt und angerufen, weil die Japaner glau-
ben, daß solche hohe Wesen, die so weit über uns erhaben sind, sich wenig um unsre kleine
Angelegenheiten bekümmern können. Nur in den gewöhnlichen Eidesformeln kommen die
Namen dieser Götter vor, und es wird bei denselben geschworen. Verehrung und Anbe-
tung aber erhalten nur diejenigen Götter, welche Länder, Elemente, Thiere, Wasser und an-
dere Dinge regieren, und die zeitlich schaden oder nützen können. Und in der Verehrung die-
ser Art von Göttern sind die Japaner sehr eifrig, weil sie durch dieselbe ihr Herz zu reini-
gen und durch Zuthun dieser Wesen eine ewige Glükseligkeit zu erhalten hoffen.

Diese Religion Sinto scheint nun eben so alt zu seyn, als die japanische Nation
selbst. Als die ersten Menschen hier aus Babylon ankamen, so verlor sich wahrscheinli-
cher Weise sehr bald bei ihnen die Tradition von der biblischen Geschichte und dem wahren
Gottesdienst, da sie der Grundsprache beraubt, und auf einer wüsten langen Reise verwildert
waren. Jhre Häupter und Führer aus derselben wurden daher sehr natürlich von ihnen
hoch und werth gehalten, und nach und nach diese, so wie auch andre tapfre Helden, weise
und ruhmwürdige Männer vergöttert, und zu Kami (d. i. unsterblichen und ewig zu
ehrenden Seelen
) erhoben. Zur Verehrung ihres unsterblichen Namens wurden Mia
d. i. lebendiger Seelen Haus errichtet. Nach dem natürlichen Triebe der Menschen, über-
natürliche Wesen anzubeten, und aus Mangel besserer Offenbarung stieg diese Verehrung
immer weiter und machte, daß die Kami endlich zu Göttern gediehen. Es wurde auch
nach und nach religiöse Pflicht für jeden rechtschaffenen Biedermann, in den Tempeln dieser
Götter an ihren gewöhnlichen Gedächtnis- und Festtagen, oder wenn er sonst vorbeigieng
(wenn er nur nicht durch Unreinigkeit abgehalten wurde) seine Andacht zu verrichten und sie
durch demuthvolles Verneigen und Knien an den Tag zu legen. Doch geschieht dieses jezt
fast nur allein von den Anhängern dieser Sekte Sinto.

Der Aberglaube gieng hierin endlich so weit, daß auch jeder Mikaddo oder geist-
licher Erbkaiser,
(der in gerader Linie von jenen Göttern abstammen sol,) sobald er den
Thron seiner Vorfahren besteigt, sogleich für einen lebendigen und großen Kame oder

Götzen
J i 3

Von den verſchiednen Religionspartheyen im japaniſchen Reiche ꝛc.
trift mehr das zeitliche Wohlſeyn und Gluͤk, als den Zuſtand der Seele nach dem Tode, ob
ſie gleich die Unſterblichkeit und einen ewigen guten oder boͤſen Zuſtand der Seele zugeſteht.
Doch ſind freilich die Begriffe von dieſem Zuſtande ſehr dunkel und unvolſtaͤndig.

Die Anhaͤnger dieſer Sekte haben ihre Verehrung vorzuͤglich denjenigen Gotthei-
ten geweiht, von denen ſie glauben, daß ſie in der Regierung dieſer Welt Macht beweiſen
koͤnnen. Jedem derſelben haben ſie ein beſondres Geſchaͤft, wie in einer ariſtokratiſchen
Verfaſſung, beigelegt. Sie nehmen nun zwar auch einen unendlichen Gott in den unendli-
chen Himmeln an, und laſſen in dem ſichtbaren himliſchen Firmament noch andre hohe
Goͤtter wohnen; aber dieſe werden gar nicht verehrt und angerufen, weil die Japaner glau-
ben, daß ſolche hohe Weſen, die ſo weit uͤber uns erhaben ſind, ſich wenig um unſre kleine
Angelegenheiten bekuͤmmern koͤnnen. Nur in den gewoͤhnlichen Eidesformeln kommen die
Namen dieſer Goͤtter vor, und es wird bei denſelben geſchworen. Verehrung und Anbe-
tung aber erhalten nur diejenigen Goͤtter, welche Laͤnder, Elemente, Thiere, Waſſer und an-
dere Dinge regieren, und die zeitlich ſchaden oder nuͤtzen koͤnnen. Und in der Verehrung die-
ſer Art von Goͤttern ſind die Japaner ſehr eifrig, weil ſie durch dieſelbe ihr Herz zu reini-
gen und durch Zuthun dieſer Weſen eine ewige Gluͤkſeligkeit zu erhalten hoffen.

Dieſe Religion Sinto ſcheint nun eben ſo alt zu ſeyn, als die japaniſche Nation
ſelbſt. Als die erſten Menſchen hier aus Babylon ankamen, ſo verlor ſich wahrſcheinli-
cher Weiſe ſehr bald bei ihnen die Tradition von der bibliſchen Geſchichte und dem wahren
Gottesdienſt, da ſie der Grundſprache beraubt, und auf einer wuͤſten langen Reiſe verwildert
waren. Jhre Haͤupter und Fuͤhrer aus derſelben wurden daher ſehr natuͤrlich von ihnen
hoch und werth gehalten, und nach und nach dieſe, ſo wie auch andre tapfre Helden, weiſe
und ruhmwuͤrdige Maͤnner vergoͤttert, und zu Kami (d. i. unſterblichen und ewig zu
ehrenden Seelen
) erhoben. Zur Verehrung ihres unſterblichen Namens wurden Mia
d. i. lebendiger Seelen Haus errichtet. Nach dem natuͤrlichen Triebe der Menſchen, uͤber-
natuͤrliche Weſen anzubeten, und aus Mangel beſſerer Offenbarung ſtieg dieſe Verehrung
immer weiter und machte, daß die Kami endlich zu Goͤttern gediehen. Es wurde auch
nach und nach religioͤſe Pflicht fuͤr jeden rechtſchaffenen Biedermann, in den Tempeln dieſer
Goͤtter an ihren gewoͤhnlichen Gedaͤchtnis- und Feſttagen, oder wenn er ſonſt vorbeigieng
(wenn er nur nicht durch Unreinigkeit abgehalten wurde) ſeine Andacht zu verrichten und ſie
durch demuthvolles Verneigen und Knien an den Tag zu legen. Doch geſchieht dieſes jezt
faſt nur allein von den Anhaͤngern dieſer Sekte Sinto.

Der Aberglaube gieng hierin endlich ſo weit, daß auch jeder Mikaddo oder geiſt-
licher Erbkaiſer,
(der in gerader Linie von jenen Goͤttern abſtammen ſol,) ſobald er den
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Goͤtzen
J i 3
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[253/0357] Von den verſchiednen Religionspartheyen im japaniſchen Reiche ꝛc. trift mehr das zeitliche Wohlſeyn und Gluͤk, als den Zuſtand der Seele nach dem Tode, ob ſie gleich die Unſterblichkeit und einen ewigen guten oder boͤſen Zuſtand der Seele zugeſteht. Doch ſind freilich die Begriffe von dieſem Zuſtande ſehr dunkel und unvolſtaͤndig. Die Anhaͤnger dieſer Sekte haben ihre Verehrung vorzuͤglich denjenigen Gotthei- ten geweiht, von denen ſie glauben, daß ſie in der Regierung dieſer Welt Macht beweiſen koͤnnen. Jedem derſelben haben ſie ein beſondres Geſchaͤft, wie in einer ariſtokratiſchen Verfaſſung, beigelegt. Sie nehmen nun zwar auch einen unendlichen Gott in den unendli- chen Himmeln an, und laſſen in dem ſichtbaren himliſchen Firmament noch andre hohe Goͤtter wohnen; aber dieſe werden gar nicht verehrt und angerufen, weil die Japaner glau- ben, daß ſolche hohe Weſen, die ſo weit uͤber uns erhaben ſind, ſich wenig um unſre kleine Angelegenheiten bekuͤmmern koͤnnen. Nur in den gewoͤhnlichen Eidesformeln kommen die Namen dieſer Goͤtter vor, und es wird bei denſelben geſchworen. Verehrung und Anbe- tung aber erhalten nur diejenigen Goͤtter, welche Laͤnder, Elemente, Thiere, Waſſer und an- dere Dinge regieren, und die zeitlich ſchaden oder nuͤtzen koͤnnen. Und in der Verehrung die- ſer Art von Goͤttern ſind die Japaner ſehr eifrig, weil ſie durch dieſelbe ihr Herz zu reini- gen und durch Zuthun dieſer Weſen eine ewige Gluͤkſeligkeit zu erhalten hoffen. Dieſe Religion Sinto ſcheint nun eben ſo alt zu ſeyn, als die japaniſche Nation ſelbſt. Als die erſten Menſchen hier aus Babylon ankamen, ſo verlor ſich wahrſcheinli- cher Weiſe ſehr bald bei ihnen die Tradition von der bibliſchen Geſchichte und dem wahren Gottesdienſt, da ſie der Grundſprache beraubt, und auf einer wuͤſten langen Reiſe verwildert waren. Jhre Haͤupter und Fuͤhrer aus derſelben wurden daher ſehr natuͤrlich von ihnen hoch und werth gehalten, und nach und nach dieſe, ſo wie auch andre tapfre Helden, weiſe und ruhmwuͤrdige Maͤnner vergoͤttert, und zu Kami (d. i. unſterblichen und ewig zu ehrenden Seelen) erhoben. Zur Verehrung ihres unſterblichen Namens wurden Mia d. i. lebendiger Seelen Haus errichtet. Nach dem natuͤrlichen Triebe der Menſchen, uͤber- natuͤrliche Weſen anzubeten, und aus Mangel beſſerer Offenbarung ſtieg dieſe Verehrung immer weiter und machte, daß die Kami endlich zu Goͤttern gediehen. Es wurde auch nach und nach religioͤſe Pflicht fuͤr jeden rechtſchaffenen Biedermann, in den Tempeln dieſer Goͤtter an ihren gewoͤhnlichen Gedaͤchtnis- und Feſttagen, oder wenn er ſonſt vorbeigieng (wenn er nur nicht durch Unreinigkeit abgehalten wurde) ſeine Andacht zu verrichten und ſie durch demuthvolles Verneigen und Knien an den Tag zu legen. Doch geſchieht dieſes jezt faſt nur allein von den Anhaͤngern dieſer Sekte Sinto. Der Aberglaube gieng hierin endlich ſo weit, daß auch jeder Mikaddo oder geiſt- licher Erbkaiſer, (der in gerader Linie von jenen Goͤttern abſtammen ſol,) ſobald er den Thron ſeiner Vorfahren beſteigt, ſogleich fuͤr einen lebendigen und großen Kame oder Goͤtzen J i 3

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/357>, abgerufen am 24.11.2024.