Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.Kämpfers Geschichte von Japan. Zweites Buch. reiche Weise nach der Billigkeit entschieden, und die höchste Gewalt einem jeden von beidenetliche Jahre nach einander übergeben, nach dem nächsten Grad der Verwandschaft mit dem verstorbenen Mikaddo. Zuweilen begeben sich die Väter der Regierung und gönnen solche einem oder mehrern Kindern, damit sie und ihre Mutter noch bey ihrer Lebzeit das Vergnü- gen haben mögen, dieselben auf dem Thron zu sehen, von welchem sie vielleicht nach der Eltern Tode wären ausgeschlossen worden. Alles dieses geht bei Hofe in möglichster Stille zu, und mag ein Mikaddo sterben oder die Regierung aufgeben, oder ein andrer an seine Stelle gesezt werden, so geschichts ohne die geringste Unruhe, so daß niemand ausser dem Hof etwas davon erfähret, bis die Sache geschlichtet und geschehen, wiewol es sich zuwei- len begiebt, daß diejenigen von der kaiserlichen Familie, welche näher Recht zur Kronfolge zu haben vermeinen, und sich ausgeschlossen sehn, ihr Recht durch die Macht der Waffen zu behaupten suchen, und sich bemühen den Dairi abzusetzen, von dem sie die Meinung haben, daß er unrechtmäßiger Weise den Thron besitze. Daher entstehen zuweilen in dem Reiche sehr nachtheilige Kriege und Mishelligkeiten; die Prinzen im Reiche nehmen alsdenn Parthei, und werden diese Streitigkeiten niemals ohne gänzlichen Untergang der einen streitenden Parthei geendigt, worauf denn eine grausame Ausrottung ganzer Familien erfolgt. Alle Hofbedienten des Dairi sind von der Familie des Tensjo Dai dsin, und ria
Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch. reiche Weiſe nach der Billigkeit entſchieden, und die hoͤchſte Gewalt einem jeden von beidenetliche Jahre nach einander uͤbergeben, nach dem naͤchſten Grad der Verwandſchaft mit dem verſtorbenen Mikaddo. Zuweilen begeben ſich die Vaͤter der Regierung und goͤnnen ſolche einem oder mehrern Kindern, damit ſie und ihre Mutter noch bey ihrer Lebzeit das Vergnuͤ- gen haben moͤgen, dieſelben auf dem Thron zu ſehen, von welchem ſie vielleicht nach der Eltern Tode waͤren ausgeſchloſſen worden. Alles dieſes geht bei Hofe in moͤglichſter Stille zu, und mag ein Mikaddo ſterben oder die Regierung aufgeben, oder ein andrer an ſeine Stelle geſezt werden, ſo geſchichts ohne die geringſte Unruhe, ſo daß niemand auſſer dem Hof etwas davon erfaͤhret, bis die Sache geſchlichtet und geſchehen, wiewol es ſich zuwei- len begiebt, daß diejenigen von der kaiſerlichen Familie, welche naͤher Recht zur Kronfolge zu haben vermeinen, und ſich ausgeſchloſſen ſehn, ihr Recht durch die Macht der Waffen zu behaupten ſuchen, und ſich bemuͤhen den Dairi abzuſetzen, von dem ſie die Meinung haben, daß er unrechtmaͤßiger Weiſe den Thron beſitze. Daher entſtehen zuweilen in dem Reiche ſehr nachtheilige Kriege und Mishelligkeiten; die Prinzen im Reiche nehmen alsdenn Parthei, und werden dieſe Streitigkeiten niemals ohne gaͤnzlichen Untergang der einen ſtreitenden Parthei geendigt, worauf denn eine grauſame Ausrottung ganzer Familien erfolgt. Alle Hofbedienten des Dairi ſind von der Familie des Tenſjo Dai dſin, und ria
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Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Zweites Buch.
reiche Weiſe nach der Billigkeit entſchieden, und die hoͤchſte Gewalt einem jeden von beiden
etliche Jahre nach einander uͤbergeben, nach dem naͤchſten Grad der Verwandſchaft mit dem
verſtorbenen Mikaddo. Zuweilen begeben ſich die Vaͤter der Regierung und goͤnnen ſolche
einem oder mehrern Kindern, damit ſie und ihre Mutter noch bey ihrer Lebzeit das Vergnuͤ-
gen haben moͤgen, dieſelben auf dem Thron zu ſehen, von welchem ſie vielleicht nach der
Eltern Tode waͤren ausgeſchloſſen worden. Alles dieſes geht bei Hofe in moͤglichſter Stille
zu, und mag ein Mikaddo ſterben oder die Regierung aufgeben, oder ein andrer an ſeine
Stelle geſezt werden, ſo geſchichts ohne die geringſte Unruhe, ſo daß niemand auſſer dem
Hof etwas davon erfaͤhret, bis die Sache geſchlichtet und geſchehen, wiewol es ſich zuwei-
len begiebt, daß diejenigen von der kaiſerlichen Familie, welche naͤher Recht zur Kronfolge
zu haben vermeinen, und ſich ausgeſchloſſen ſehn, ihr Recht durch die Macht der Waffen zu
behaupten ſuchen, und ſich bemuͤhen den Dairi abzuſetzen, von dem ſie die Meinung haben,
daß er unrechtmaͤßiger Weiſe den Thron beſitze. Daher entſtehen zuweilen in dem Reiche ſehr
nachtheilige Kriege und Mishelligkeiten; die Prinzen im Reiche nehmen alsdenn Parthei,
und werden dieſe Streitigkeiten niemals ohne gaͤnzlichen Untergang der einen ſtreitenden
Parthei geendigt, worauf denn eine grauſame Ausrottung ganzer Familien erfolgt.
Alle Hofbedienten des Dairi ſind von der Familie des Tenſjo Dai dſin, und
dieſe, weil ſie von einer ſo vornehmen und hohen Geburt, haben eine ganz ungemeine
Hochachtung fuͤr ſich ſelbſt, und praͤtendiren einen weit hoͤhern Grad der Hochachtung
und Ehrerbietigkeit von andern, als ein Laie irgend fodern kan. Ob ſie gleich alle von
einem Geſchlechte herſtammen; ſo breiten ſie ſich doch nach den Graden der Verwandſchaft
in verſchiedene Zweige aus, und ihrer ſind jetzo etliche 1000 an der Zahl. Einige wenige
werden mit Abteien und Prioreien in reichen Kloͤſtern verſehen, welche hin und wieder im
Reiche geſtiftet ſind; allein der groͤſte Theil bleibt bey Hofe, und iſt ſtets um des Dairi
geheiligte Perſon, von der ſie auch gaͤnzlich abhaͤngen, und ihren Schuz und Lebensunterhalt
haben, ein jeder nach der Wuͤrde und Amte, womit er verſehen iſt. Anjetzo bewilliget der
weltliche Kaiſer die nothwendigen Subſidiengelder zum Unterhalt des Dairi und ſeines
geiſtlichen Hofs. Er hat ihm zu dem Ende alle Einkuͤnfte der Stadt Miaco und aller
Pertinenzſtuͤcke derſelben angewieſen. Allein weil dieſelben zu wenig fallen, alle Ausgaben
zu beſtreiten; ſo iſt bewilliget worden, daß, was daran fehlet, aus des weltlichen Kaiſers
Kammergefaͤllen erſtattet werden ſol. Dieſe Portionen aber ſind ſo ſchmal zugeſchnitten,
und werden ſo ſchlecht bezahlet, daß der geiſtliche Hof ſchwerlich davon ſubſiſtiren und
uͤberhaupt die Figur ausmachen kan, welche er vorher machte, als der Dairi ſelbſt Meiſter
vom Reiche war, und mit allen deſſen Einkuͤnften nach eigenem Gefallen ſchalten und walten
konte. Jndeſſen und nichts deſto minder erhalten ſie ihre alte Hoheit und Anſehen, und
es kan recht mit Wahrheit von dieſem Hofe geſagt werden, daß bei ihm ſplendida miſe-
ria
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