Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und einige Stunden später auf dem Wege nach Paris. 4. Ich jauchzte laut auf, als ich die Spitze von Notredame und bald darauf das Häusermeer rund herum erblickte. Jetzt, im Angesichte der ersten Stadt in der Welt, fiel mir ein zu bedenken, was ich da wollte. Genießen? -- was sonst? -- aber wie am besten? nach einer kaufmännischen Eintheilung? -- und wäre das der Mühe werth? -- ich wollte nicht vergebens dreihundert Louisd'ors und zum ersten Male in meinem Leben volle Freiheit haben. Nach meiner Ankunft miethete ich eine Chambre garnie, nahm den Titel eines Lord Johnsbury an und tummelte mich vierzehn Tage lang, zu sehen, zu hören und zu schmecken, was sich nur immer Ausgesuchtes sehen, hören und schmecken ließ. Mein brittischer Name und noch mehr mein brittisches Gold machte mir leichtes Spiel, und Alles neigte sich, mir zu dienen. Ich trug den Solitair, der meiner Braut bestimmt war. Er war locker geworden, und ich trat in den Laden eines Juweliers, ihn seiner Cur zu übergeben. Zwei Damen kamen bald darauf. Die eine war bejahrt, die andere jung und schön, so schön, daß ich das erste Mal in meinem Leben mich von einer scheuen Bewunderung ergriffen fühlte und ehr- und einige Stunden später auf dem Wege nach Paris. 4. Ich jauchzte laut auf, als ich die Spitze von Notredame und bald darauf das Häusermeer rund herum erblickte. Jetzt, im Angesichte der ersten Stadt in der Welt, fiel mir ein zu bedenken, was ich da wollte. Genießen? — was sonst? — aber wie am besten? nach einer kaufmännischen Eintheilung? — und wäre das der Mühe werth? — ich wollte nicht vergebens dreihundert Louisd'ors und zum ersten Male in meinem Leben volle Freiheit haben. Nach meiner Ankunft miethete ich eine Chambre garnie, nahm den Titel eines Lord Johnsbury an und tummelte mich vierzehn Tage lang, zu sehen, zu hören und zu schmecken, was sich nur immer Ausgesuchtes sehen, hören und schmecken ließ. Mein brittischer Name und noch mehr mein brittisches Gold machte mir leichtes Spiel, und Alles neigte sich, mir zu dienen. Ich trug den Solitair, der meiner Braut bestimmt war. Er war locker geworden, und ich trat in den Laden eines Juweliers, ihn seiner Cur zu übergeben. Zwei Damen kamen bald darauf. Die eine war bejahrt, die andere jung und schön, so schön, daß ich das erste Mal in meinem Leben mich von einer scheuen Bewunderung ergriffen fühlte und ehr- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0015"/> und einige Stunden später auf dem Wege nach Paris.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="4"> <head>4.</head> <p>Ich jauchzte laut auf, als ich die Spitze von Notredame und bald darauf das Häusermeer rund herum erblickte. Jetzt, im Angesichte der ersten Stadt in der Welt, fiel mir ein zu bedenken, was ich da wollte.</p><lb/> <p>Genießen? — was sonst? — aber wie am besten? nach einer kaufmännischen Eintheilung? — und wäre das der Mühe werth? — ich wollte nicht vergebens dreihundert Louisd'ors und zum ersten Male in meinem Leben volle Freiheit haben. Nach meiner Ankunft miethete ich eine Chambre garnie, nahm den Titel eines Lord Johnsbury an und tummelte mich vierzehn Tage lang, zu sehen, zu hören und zu schmecken, was sich nur immer Ausgesuchtes sehen, hören und schmecken ließ. Mein brittischer Name und noch mehr mein brittisches Gold machte mir leichtes Spiel, und Alles neigte sich, mir zu dienen.</p><lb/> <p>Ich trug den Solitair, der meiner Braut bestimmt war. Er war locker geworden, und ich trat in den Laden eines Juweliers, ihn seiner Cur zu übergeben. Zwei Damen kamen bald darauf. Die eine war bejahrt, die andere jung und schön, so schön, daß ich das erste Mal in meinem Leben mich von einer scheuen Bewunderung ergriffen fühlte und ehr-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
und einige Stunden später auf dem Wege nach Paris.
4. Ich jauchzte laut auf, als ich die Spitze von Notredame und bald darauf das Häusermeer rund herum erblickte. Jetzt, im Angesichte der ersten Stadt in der Welt, fiel mir ein zu bedenken, was ich da wollte.
Genießen? — was sonst? — aber wie am besten? nach einer kaufmännischen Eintheilung? — und wäre das der Mühe werth? — ich wollte nicht vergebens dreihundert Louisd'ors und zum ersten Male in meinem Leben volle Freiheit haben. Nach meiner Ankunft miethete ich eine Chambre garnie, nahm den Titel eines Lord Johnsbury an und tummelte mich vierzehn Tage lang, zu sehen, zu hören und zu schmecken, was sich nur immer Ausgesuchtes sehen, hören und schmecken ließ. Mein brittischer Name und noch mehr mein brittisches Gold machte mir leichtes Spiel, und Alles neigte sich, mir zu dienen.
Ich trug den Solitair, der meiner Braut bestimmt war. Er war locker geworden, und ich trat in den Laden eines Juweliers, ihn seiner Cur zu übergeben. Zwei Damen kamen bald darauf. Die eine war bejahrt, die andere jung und schön, so schön, daß ich das erste Mal in meinem Leben mich von einer scheuen Bewunderung ergriffen fühlte und ehr-
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Zitationshilfe: | Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/15>, abgerufen am 16.02.2025. |