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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.

Das Bildniss ist auffallend durch die nur diess einzige Mal
vom Maler gewählte, mehr plastische als malerische Profilansicht.
Die Linien dieses Profils sind weniger schön als interessant,
mehr charaktervoll als gefällig, jedenfalls rein spanisch. Die klare,
freie, gerade Stirn (frente desembarazada, wie sie Tirso verlangt
in Amar por sennas) und wie sie auch bei allen folgenden Porträts
begegnet), das still in die Ferne blickende, tiefliegende, grosse
Auge gibt diesem Antlitz die Weihe der Intelligenz. Der Zug

[Abbildung]

Die Dame mit dem Fächer.

des Ernstes wird ver-
mehrt durch den
Schatten über Stirn
und Auge, denn das
Licht kommt von hin-
ten. Ist es der Blick
der Künstlerin oder
der Seherin? Die
Tafel müsste darauf
Antwort geben; sie
ist leer. Das graue
Kleid, der gelbe
Mantel, hat eine fast
ideale Einfachheit.
Es scheint also, sie
wollte sich in irgend
einer poetischen Rol-
le dargestellt sehen,
vielleicht nach dem
Muster eines ihr be-
kannten klassischen
Werks; wie Dome-
nichino in Figuren
und Halbfiguren seine
schöne Marizzebill als heilige Cäcilie oder Cumaea malte. Nur
wüssten wir kaum eine Darstellung der Sibylle von dem stren-
gen, sculpturalen Wesen unsrer Spanierin. Sie scheint in der
Mitte der zwanzig, an der Grenze des Alters der Reize nach Lope:

-- una mujer hermosa
desde quince a veinte y cinco.

Bei dieser Einfachheit ist besondere Aufmerksamkeit auf
die Haare verwandt. Sie scheinen allerdings eine Künstlerin zu
verrathen; aber welche Spanierin ist hierin nicht Künstlerin?

Fünftes Buch.

Das Bildniss ist auffallend durch die nur diess einzige Mal
vom Maler gewählte, mehr plastische als malerische Profilansicht.
Die Linien dieses Profils sind weniger schön als interessant,
mehr charaktervoll als gefällig, jedenfalls rein spanisch. Die klare,
freie, gerade Stirn (frente desembarazada, wie sie Tirso verlangt
in Amar por señas) und wie sie auch bei allen folgenden Porträts
begegnet), das still in die Ferne blickende, tiefliegende, grosse
Auge gibt diesem Antlitz die Weihe der Intelligenz. Der Zug

[Abbildung]

Die Dame mit dem Fächer.

des Ernstes wird ver-
mehrt durch den
Schatten über Stirn
und Auge, denn das
Licht kommt von hin-
ten. Ist es der Blick
der Künstlerin oder
der Seherin? Die
Tafel müsste darauf
Antwort geben; sie
ist leer. Das graue
Kleid, der gelbe
Mantel, hat eine fast
ideale Einfachheit.
Es scheint also, sie
wollte sich in irgend
einer poetischen Rol-
le dargestellt sehen,
vielleicht nach dem
Muster eines ihr be-
kannten klassischen
Werks; wie Dome-
nichino in Figuren
und Halbfiguren seine
schöne Marizzebill als heilige Cäcilie oder Cumæa malte. Nur
wüssten wir kaum eine Darstellung der Sibylle von dem stren-
gen, sculpturalen Wesen unsrer Spanierin. Sie scheint in der
Mitte der zwanzig, an der Grenze des Alters der Reize nach Lope:

— una mujer hermosa
desde quince á veinte y cinco.

Bei dieser Einfachheit ist besondere Aufmerksamkeit auf
die Haare verwandt. Sie scheinen allerdings eine Künstlerin zu
verrathen; aber welche Spanierin ist hierin nicht Künstlerin?

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[24/0044] Fünftes Buch. Das Bildniss ist auffallend durch die nur diess einzige Mal vom Maler gewählte, mehr plastische als malerische Profilansicht. Die Linien dieses Profils sind weniger schön als interessant, mehr charaktervoll als gefällig, jedenfalls rein spanisch. Die klare, freie, gerade Stirn (frente desembarazada, wie sie Tirso verlangt in Amar por señas) und wie sie auch bei allen folgenden Porträts begegnet), das still in die Ferne blickende, tiefliegende, grosse Auge gibt diesem Antlitz die Weihe der Intelligenz. Der Zug [Abbildung Die Dame mit dem Fächer.] des Ernstes wird ver- mehrt durch den Schatten über Stirn und Auge, denn das Licht kommt von hin- ten. Ist es der Blick der Künstlerin oder der Seherin? Die Tafel müsste darauf Antwort geben; sie ist leer. Das graue Kleid, der gelbe Mantel, hat eine fast ideale Einfachheit. Es scheint also, sie wollte sich in irgend einer poetischen Rol- le dargestellt sehen, vielleicht nach dem Muster eines ihr be- kannten klassischen Werks; wie Dome- nichino in Figuren und Halbfiguren seine schöne Marizzebill als heilige Cäcilie oder Cumæa malte. Nur wüssten wir kaum eine Darstellung der Sibylle von dem stren- gen, sculpturalen Wesen unsrer Spanierin. Sie scheint in der Mitte der zwanzig, an der Grenze des Alters der Reize nach Lope: — una mujer hermosa desde quince á veinte y cinco. Bei dieser Einfachheit ist besondere Aufmerksamkeit auf die Haare verwandt. Sie scheinen allerdings eine Künstlerin zu verrathen; aber welche Spanierin ist hierin nicht Künstlerin?

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/44>, abgerufen am 23.11.2024.