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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.

So wenig es nun leicht und selbst rathsam ist Velazquez
nachzuahmen, so stark reizt er zur Nachahmung. Doch hat er
enthusiastische Jünger weniger zu seiner Zeit als viel später, in
unserm Jahrhundert gefunden. Seine Manier wirkt auf den
Mann von Metier aufregend; man nennt sie amusant. Sprezzatura
scheint Ueberlegenheit, sie schmeichelt der Eitelkeit; Leichtig-
keit und Prägnanz ist das Siegel der Meisterschaft, Unvollen-
dung giebt den Eindruck, dass man weniger gesagt hat als man
gekonnt hätte.

Aber wo hinter diesen (nicht immer) geistreichen Manipula-
tionen keine Werthe der Darstellung zu entdecken sind, da sind
sie eben ohne Werth. Mit chafarrinadas, manchado-malen,
colpeggiare, ist es nicht gethan. Man sollte nicht vergessen, dass
feurige Hand, flotte Mache, bravura di tocco, verve und brio
des Pinsels in keiner engern Beziehung zum Genie stehn als
Gründlichkeit und Phlegma der Vollendung. Denjenigen welche
hysterisch fiebernde und sprungweise Gedankenbildung für genial
halten, muss gesagt werden, dass ebensoviel Wahrheit der Satz
hat: genius is patience. Hat es nicht Zeiten gegeben, z. B. die
des Barockstils, wo Jedermann diese Furie, diese Bravour in
sich fand? Und auch heute noch begegnen uns unter ihren
Adepten sehr langsame und mechanische Talente, die keinen
Schritt thun können, den sie nicht andern abgelernt haben.
Sie ist eben Sache der Mode und Uebung. Waren Albrecht
Dürer und Jan van Eyck weniger Maler, als Tintoretto und
Franz Hals, weniger genial, weil sie malten wie Goldschmiede
ciseliren? Man braucht ja nur etwas Kohlensäure in die Flasche
zu pressen, und sie wird ebenso aufschäumen, mag der Wein in
der Champagne oder im Laboratorium gewachsen sein, im letz-
teren Fall folgt nur ein augenblickliches Prickeln und ein ver-
dorbener Magen.

Achtungswerthe, ja glänzende Namen giebt es in der neuesten
Malerei, in Frankreich, Spanien und Deutschland, die Velazquez mit
Glück studirt haben; sie sind meinen Lesern zu bekannt, als dass
ich sie hier zu nennen brauchte. Aber für Andere ist seine Ver-
ehrung verhängnissvoll gewesen. Ohne sein feines Auge, ohne
sein methodisches Wissen, ohne darüber im Klaren zu sein, was
er eigentlich gewollt hat, hielt man das was ihm bloss Mittel
war, für Kern und Geist seiner Malerei. Man glaubte, es sei
gethan mit brutaler Breite, wildem Pinselfuchteln, affektirtem
Nichtfertigmachen, immer natürlich im grössten Format und

Siebentes Buch.

So wenig es nun leicht und selbst rathsam ist Velazquez
nachzuahmen, so stark reizt er zur Nachahmung. Doch hat er
enthusiastische Jünger weniger zu seiner Zeit als viel später, in
unserm Jahrhundert gefunden. Seine Manier wirkt auf den
Mann von Metier aufregend; man nennt sie amusant. Sprezzatura
scheint Ueberlegenheit, sie schmeichelt der Eitelkeit; Leichtig-
keit und Prägnanz ist das Siegel der Meisterschaft, Unvollen-
dung giebt den Eindruck, dass man weniger gesagt hat als man
gekonnt hätte.

Aber wo hinter diesen (nicht immer) geistreichen Manipula-
tionen keine Werthe der Darstellung zu entdecken sind, da sind
sie eben ohne Werth. Mit chafarrinadas, manchado-malen,
colpeggiare, ist es nicht gethan. Man sollte nicht vergessen, dass
feurige Hand, flotte Mache, bravura di tocco, verve und brio
des Pinsels in keiner engern Beziehung zum Genie stehn als
Gründlichkeit und Phlegma der Vollendung. Denjenigen welche
hysterisch fiebernde und sprungweise Gedankenbildung für genial
halten, muss gesagt werden, dass ebensoviel Wahrheit der Satz
hat: genius is patience. Hat es nicht Zeiten gegeben, z. B. die
des Barockstils, wo Jedermann diese Furie, diese Bravour in
sich fand? Und auch heute noch begegnen uns unter ihren
Adepten sehr langsame und mechanische Talente, die keinen
Schritt thun können, den sie nicht andern abgelernt haben.
Sie ist eben Sache der Mode und Uebung. Waren Albrecht
Dürer und Jan van Eyck weniger Maler, als Tintoretto und
Franz Hals, weniger genial, weil sie malten wie Goldschmiede
ciseliren? Man braucht ja nur etwas Kohlensäure in die Flasche
zu pressen, und sie wird ebenso aufschäumen, mag der Wein in
der Champagne oder im Laboratorium gewachsen sein, im letz-
teren Fall folgt nur ein augenblickliches Prickeln und ein ver-
dorbener Magen.

Achtungswerthe, ja glänzende Namen giebt es in der neuesten
Malerei, in Frankreich, Spanien und Deutschland, die Velazquez mit
Glück studirt haben; sie sind meinen Lesern zu bekannt, als dass
ich sie hier zu nennen brauchte. Aber für Andere ist seine Ver-
ehrung verhängnissvoll gewesen. Ohne sein feines Auge, ohne
sein methodisches Wissen, ohne darüber im Klaren zu sein, was
er eigentlich gewollt hat, hielt man das was ihm bloss Mittel
war, für Kern und Geist seiner Malerei. Man glaubte, es sei
gethan mit brutaler Breite, wildem Pinselfuchteln, affektirtem
Nichtfertigmachen, immer natürlich im grössten Format und

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[284/0304] Siebentes Buch. So wenig es nun leicht und selbst rathsam ist Velazquez nachzuahmen, so stark reizt er zur Nachahmung. Doch hat er enthusiastische Jünger weniger zu seiner Zeit als viel später, in unserm Jahrhundert gefunden. Seine Manier wirkt auf den Mann von Metier aufregend; man nennt sie amusant. Sprezzatura scheint Ueberlegenheit, sie schmeichelt der Eitelkeit; Leichtig- keit und Prägnanz ist das Siegel der Meisterschaft, Unvollen- dung giebt den Eindruck, dass man weniger gesagt hat als man gekonnt hätte. Aber wo hinter diesen (nicht immer) geistreichen Manipula- tionen keine Werthe der Darstellung zu entdecken sind, da sind sie eben ohne Werth. Mit chafarrinadas, manchado-malen, colpeggiare, ist es nicht gethan. Man sollte nicht vergessen, dass feurige Hand, flotte Mache, bravura di tocco, verve und brio des Pinsels in keiner engern Beziehung zum Genie stehn als Gründlichkeit und Phlegma der Vollendung. Denjenigen welche hysterisch fiebernde und sprungweise Gedankenbildung für genial halten, muss gesagt werden, dass ebensoviel Wahrheit der Satz hat: genius is patience. Hat es nicht Zeiten gegeben, z. B. die des Barockstils, wo Jedermann diese Furie, diese Bravour in sich fand? Und auch heute noch begegnen uns unter ihren Adepten sehr langsame und mechanische Talente, die keinen Schritt thun können, den sie nicht andern abgelernt haben. Sie ist eben Sache der Mode und Uebung. Waren Albrecht Dürer und Jan van Eyck weniger Maler, als Tintoretto und Franz Hals, weniger genial, weil sie malten wie Goldschmiede ciseliren? Man braucht ja nur etwas Kohlensäure in die Flasche zu pressen, und sie wird ebenso aufschäumen, mag der Wein in der Champagne oder im Laboratorium gewachsen sein, im letz- teren Fall folgt nur ein augenblickliches Prickeln und ein ver- dorbener Magen. Achtungswerthe, ja glänzende Namen giebt es in der neuesten Malerei, in Frankreich, Spanien und Deutschland, die Velazquez mit Glück studirt haben; sie sind meinen Lesern zu bekannt, als dass ich sie hier zu nennen brauchte. Aber für Andere ist seine Ver- ehrung verhängnissvoll gewesen. Ohne sein feines Auge, ohne sein methodisches Wissen, ohne darüber im Klaren zu sein, was er eigentlich gewollt hat, hielt man das was ihm bloss Mittel war, für Kern und Geist seiner Malerei. Man glaubte, es sei gethan mit brutaler Breite, wildem Pinselfuchteln, affektirtem Nichtfertigmachen, immer natürlich im grössten Format und

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/304>, abgerufen am 19.04.2024.