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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
frühen Bildnissen deutet manchmal nur ein kahler Sessel oder Tisch
an, dass die Gestalt in einem Zimmer steht: oder ein kurzer schrä-
ger Schlagschatten der Beine, dass sie nicht in der Luft schwebt.
Die leere Fläche zerfällt meist diagonal in eine dunklere und
hellere Hälfte, die in contrastirendem Verhältniss steht zur Be-
leuchtung des Kopfs. Oder ein schwerer, carmoisinrother Vor-
hang senkt sich herab, wieder in der Diagonale; zuweilen den
Grund des Kopfs hergebend; aber auch waagerecht überhangend
und seitlich herabfallend, eine drei- oder viereckige dunkle Fläche
einschliessend als Folie für die Figur. Eine vornehme Nach-
lässigkeit verräth sich zuweilen in dem Fehlen gefälliger Linien,
den nichtssagenden Motiven und Figuren dieser Einrahmun-
gen. Auch öffnet sich wol ein Zimmer nach hinten. Selten
gewährt eine breite Balkonthür den Blick in's Freie; ein wunder-
licher spitzer Zipfel hängt in den Himmel hinein.

Von diesem System des Einfachsten, Mindesten conven-
tioneller Umgebung musste er bei den Jäger- und Reiterbildnissen
abgehn. Diese haben ihn zum Landschaftsmaler gemacht. Etwa
ein Dutzend solcher Porträts sind vorhanden, Wiederholungen
abgerechnet; dazu kommen noch die verwandten Umgebungen
in den Trinkern und in der Einsiedlerscene. Auf diese Scenerien
gründet sich hauptsächlich des Meisters Ruf als Landschafter,
obwol sie ganz für die Zwecke der Figur erfunden, und gewisse
Grundzüge ihnen allen gemeinsam sind.

Die Maler jenes Jahrhunderts pflegten in solchen Fällen die
Landschaft gegen die Figur zur blossen Folie herabzudrücken,
ja zu opfern. Sie führten letztere aus dem Dunkel ans Licht
heraus und konstruirten eine Lichtvertheilung ad hoc, das Por-
trät im Atelierlicht, die Landschaft ein Dämmerungs- oder Nacht-
stück, -- das man kaum beachtet. Velazquez fragt sich, ob man
die Concentrirung und Einheit des Interesses an der Gestalt nicht
mit dem eigenen Werth, der Schönheit, vor allem der Klarheit
des landschaftlichen Grundes verbinden könne. Diese Frage
kam ihm gleichzeitig mit dem Streben sich von den Schatten
unabhängig zu machen. Er substituirt den Gegensätzen der Be-
leuchtung die der Farbe, er löst die Funktion von Hell und Dunkel
ab durch den Gegensatz von Kalt und Warm. Hierdurch rettete
er die Einheit, welche ältern Malern bei ihren reichen Tages-
landschaften oft verloren ging: die Natur stand bei ihnen nur in
lockerer Beziehung zur Gestalt, besonders da der Mittelgrund
fehlte; letztere erschien wie ein Gemälde für sich, hingesetzt
vor ein zweites Gemälde.

Fünftes Buch.
frühen Bildnissen deutet manchmal nur ein kahler Sessel oder Tisch
an, dass die Gestalt in einem Zimmer steht: oder ein kurzer schrä-
ger Schlagschatten der Beine, dass sie nicht in der Luft schwebt.
Die leere Fläche zerfällt meist diagonal in eine dunklere und
hellere Hälfte, die in contrastirendem Verhältniss steht zur Be-
leuchtung des Kopfs. Oder ein schwerer, carmoisinrother Vor-
hang senkt sich herab, wieder in der Diagonale; zuweilen den
Grund des Kopfs hergebend; aber auch waagerecht überhangend
und seitlich herabfallend, eine drei- oder viereckige dunkle Fläche
einschliessend als Folie für die Figur. Eine vornehme Nach-
lässigkeit verräth sich zuweilen in dem Fehlen gefälliger Linien,
den nichtssagenden Motiven und Figuren dieser Einrahmun-
gen. Auch öffnet sich wol ein Zimmer nach hinten. Selten
gewährt eine breite Balkonthür den Blick in’s Freie; ein wunder-
licher spitzer Zipfel hängt in den Himmel hinein.

Von diesem System des Einfachsten, Mindesten conven-
tioneller Umgebung musste er bei den Jäger- und Reiterbildnissen
abgehn. Diese haben ihn zum Landschaftsmaler gemacht. Etwa
ein Dutzend solcher Porträts sind vorhanden, Wiederholungen
abgerechnet; dazu kommen noch die verwandten Umgebungen
in den Trinkern und in der Einsiedlerscene. Auf diese Scenerien
gründet sich hauptsächlich des Meisters Ruf als Landschafter,
obwol sie ganz für die Zwecke der Figur erfunden, und gewisse
Grundzüge ihnen allen gemeinsam sind.

Die Maler jenes Jahrhunderts pflegten in solchen Fällen die
Landschaft gegen die Figur zur blossen Folie herabzudrücken,
ja zu opfern. Sie führten letztere aus dem Dunkel ans Licht
heraus und konstruirten eine Lichtvertheilung ad hoc, das Por-
trät im Atelierlicht, die Landschaft ein Dämmerungs- oder Nacht-
stück, — das man kaum beachtet. Velazquez fragt sich, ob man
die Concentrirung und Einheit des Interesses an der Gestalt nicht
mit dem eigenen Werth, der Schönheit, vor allem der Klarheit
des landschaftlichen Grundes verbinden könne. Diese Frage
kam ihm gleichzeitig mit dem Streben sich von den Schatten
unabhängig zu machen. Er substituirt den Gegensätzen der Be-
leuchtung die der Farbe, er löst die Funktion von Hell und Dunkel
ab durch den Gegensatz von Kalt und Warm. Hierdurch rettete
er die Einheit, welche ältern Malern bei ihren reichen Tages-
landschaften oft verloren ging: die Natur stand bei ihnen nur in
lockerer Beziehung zur Gestalt, besonders da der Mittelgrund
fehlte; letztere erschien wie ein Gemälde für sich, hingesetzt
vor ein zweites Gemälde.

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[10/0030] Fünftes Buch. frühen Bildnissen deutet manchmal nur ein kahler Sessel oder Tisch an, dass die Gestalt in einem Zimmer steht: oder ein kurzer schrä- ger Schlagschatten der Beine, dass sie nicht in der Luft schwebt. Die leere Fläche zerfällt meist diagonal in eine dunklere und hellere Hälfte, die in contrastirendem Verhältniss steht zur Be- leuchtung des Kopfs. Oder ein schwerer, carmoisinrother Vor- hang senkt sich herab, wieder in der Diagonale; zuweilen den Grund des Kopfs hergebend; aber auch waagerecht überhangend und seitlich herabfallend, eine drei- oder viereckige dunkle Fläche einschliessend als Folie für die Figur. Eine vornehme Nach- lässigkeit verräth sich zuweilen in dem Fehlen gefälliger Linien, den nichtssagenden Motiven und Figuren dieser Einrahmun- gen. Auch öffnet sich wol ein Zimmer nach hinten. Selten gewährt eine breite Balkonthür den Blick in’s Freie; ein wunder- licher spitzer Zipfel hängt in den Himmel hinein. Von diesem System des Einfachsten, Mindesten conven- tioneller Umgebung musste er bei den Jäger- und Reiterbildnissen abgehn. Diese haben ihn zum Landschaftsmaler gemacht. Etwa ein Dutzend solcher Porträts sind vorhanden, Wiederholungen abgerechnet; dazu kommen noch die verwandten Umgebungen in den Trinkern und in der Einsiedlerscene. Auf diese Scenerien gründet sich hauptsächlich des Meisters Ruf als Landschafter, obwol sie ganz für die Zwecke der Figur erfunden, und gewisse Grundzüge ihnen allen gemeinsam sind. Die Maler jenes Jahrhunderts pflegten in solchen Fällen die Landschaft gegen die Figur zur blossen Folie herabzudrücken, ja zu opfern. Sie führten letztere aus dem Dunkel ans Licht heraus und konstruirten eine Lichtvertheilung ad hoc, das Por- trät im Atelierlicht, die Landschaft ein Dämmerungs- oder Nacht- stück, — das man kaum beachtet. Velazquez fragt sich, ob man die Concentrirung und Einheit des Interesses an der Gestalt nicht mit dem eigenen Werth, der Schönheit, vor allem der Klarheit des landschaftlichen Grundes verbinden könne. Diese Frage kam ihm gleichzeitig mit dem Streben sich von den Schatten unabhängig zu machen. Er substituirt den Gegensätzen der Be- leuchtung die der Farbe, er löst die Funktion von Hell und Dunkel ab durch den Gegensatz von Kalt und Warm. Hierdurch rettete er die Einheit, welche ältern Malern bei ihren reichen Tages- landschaften oft verloren ging: die Natur stand bei ihnen nur in lockerer Beziehung zur Gestalt, besonders da der Mittelgrund fehlte; letztere erschien wie ein Gemälde für sich, hingesetzt vor ein zweites Gemälde.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/30>, abgerufen am 22.11.2024.