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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Bildnisskunst des Meisters.

Diess ist der augenfälligste, Jedermann zugängliche Zug in
seinen Porträts. Von malerisch-technischen Faktoren ihrer
Wirkung ist der wichtigste das Helldunkel. Hier sind die Wand-
lungen der Manier dieses sonst sich selbst so gleichen, äussern
Einflüssen so wenig zugänglichen Malers am deutlichsten. Einst
hatte er, im Eifer der Jugend und im Ueberdruss gegen die
herrschende Art, bei der alles aus zweiter Hand war, die ganze
Kunst auf einen Punkt gestellt: mit dem Modell vor Augen in
einseitigem Licht mit reinen, scharfabgegrenzten Schatten zu
malen. Die plastische Wirkung wurde noch verstärkt durch den
leeren, neutralen Grund. Er und die gleichstrebenden Genossen
wurden dabei weniger von einer pessimistischen Liebe zum Fin-
stern geleitet, als von der Abneigung gegen das Flache, Kraftlose,
Zerstreute. Er bemerkte aber sehr bald, dass jene plastische
Wirkung oft mit einem Zuviel von Quantität des Dunkels er-
zielt sei, dass man mit kleinsten Theilen dasselbe erreichen könne.
Blosse Punkte und Linien, von dünnem, warmem, durchsichtigem
Braun, im Gesicht verstreut, genügten dem Kopf Flachheit zu
nehmen, ein dunkler, ein Lichtfleck hinter der Figur, sie vom
Grund abzulösen.

Von diesem Gesichtspunkt aus behandelt er das Ohr. Die
an der hellen, dem Betrachter zugewandten Seite befindliche
Ohrmuschel ist sorgfältig und nachdrücklich modellirt, ja
individualisirt, wahrscheinlich weil sie zur Plasticität des Ge-
sammteindrucks beiträgt. Dagegen sind die Hände oft stief-
mütterlich behandelt. (I. 202 f.)

Als er dieser Manier die Wirkungen abgewonnen hatte,
deren sie fähig war, kam sein malerisches Gefühl zum Wort, er
sah, wie viele Elemente des Pittoresken hier doch übersehen
waren. Gemälde sollen plastisch sein durch den Schein körper-
licher Rundung und Tiefe, nicht plastisch in dem Sinn, dass
ihre Gestalten hart und steinern erscheinen und im Leeren stehn.
Sie sollten nur Glieder eines Ganzen von Licht und Luft sein.

Es waren die Bildnisse, welche in einen Schauplatz der freien
Luft versetzt werden mussten, durch die er auf sein neues System
der Beleuchtung kam. Diess führt auf ein Element, dessen
Studium für den Porträtisten von besonderem Interesse ist: die
Hintergründe.

Velazquez hat alle möglichen Hintergründe, von den einfach-
sten an: dem Nichts einer fast schwarzen oder hellen Fläche, bis zu
reich ausgestatteten Innenräumen und Landschaftsaussicht. In den

Die Bildnisskunst des Meisters.

Diess ist der augenfälligste, Jedermann zugängliche Zug in
seinen Porträts. Von malerisch-technischen Faktoren ihrer
Wirkung ist der wichtigste das Helldunkel. Hier sind die Wand-
lungen der Manier dieses sonst sich selbst so gleichen, äussern
Einflüssen so wenig zugänglichen Malers am deutlichsten. Einst
hatte er, im Eifer der Jugend und im Ueberdruss gegen die
herrschende Art, bei der alles aus zweiter Hand war, die ganze
Kunst auf einen Punkt gestellt: mit dem Modell vor Augen in
einseitigem Licht mit reinen, scharfabgegrenzten Schatten zu
malen. Die plastische Wirkung wurde noch verstärkt durch den
leeren, neutralen Grund. Er und die gleichstrebenden Genossen
wurden dabei weniger von einer pessimistischen Liebe zum Fin-
stern geleitet, als von der Abneigung gegen das Flache, Kraftlose,
Zerstreute. Er bemerkte aber sehr bald, dass jene plastische
Wirkung oft mit einem Zuviel von Quantität des Dunkels er-
zielt sei, dass man mit kleinsten Theilen dasselbe erreichen könne.
Blosse Punkte und Linien, von dünnem, warmem, durchsichtigem
Braun, im Gesicht verstreut, genügten dem Kopf Flachheit zu
nehmen, ein dunkler, ein Lichtfleck hinter der Figur, sie vom
Grund abzulösen.

Von diesem Gesichtspunkt aus behandelt er das Ohr. Die
an der hellen, dem Betrachter zugewandten Seite befindliche
Ohrmuschel ist sorgfältig und nachdrücklich modellirt, ja
individualisirt, wahrscheinlich weil sie zur Plasticität des Ge-
sammteindrucks beiträgt. Dagegen sind die Hände oft stief-
mütterlich behandelt. (I. 202 f.)

Als er dieser Manier die Wirkungen abgewonnen hatte,
deren sie fähig war, kam sein malerisches Gefühl zum Wort, er
sah, wie viele Elemente des Pittoresken hier doch übersehen
waren. Gemälde sollen plastisch sein durch den Schein körper-
licher Rundung und Tiefe, nicht plastisch in dem Sinn, dass
ihre Gestalten hart und steinern erscheinen und im Leeren stehn.
Sie sollten nur Glieder eines Ganzen von Licht und Luft sein.

Es waren die Bildnisse, welche in einen Schauplatz der freien
Luft versetzt werden mussten, durch die er auf sein neues System
der Beleuchtung kam. Diess führt auf ein Element, dessen
Studium für den Porträtisten von besonderem Interesse ist: die
Hintergründe.

Velazquez hat alle möglichen Hintergründe, von den einfach-
sten an: dem Nichts einer fast schwarzen oder hellen Fläche, bis zu
reich ausgestatteten Innenräumen und Landschaftsaussicht. In den

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[9/0029] Die Bildnisskunst des Meisters. Diess ist der augenfälligste, Jedermann zugängliche Zug in seinen Porträts. Von malerisch-technischen Faktoren ihrer Wirkung ist der wichtigste das Helldunkel. Hier sind die Wand- lungen der Manier dieses sonst sich selbst so gleichen, äussern Einflüssen so wenig zugänglichen Malers am deutlichsten. Einst hatte er, im Eifer der Jugend und im Ueberdruss gegen die herrschende Art, bei der alles aus zweiter Hand war, die ganze Kunst auf einen Punkt gestellt: mit dem Modell vor Augen in einseitigem Licht mit reinen, scharfabgegrenzten Schatten zu malen. Die plastische Wirkung wurde noch verstärkt durch den leeren, neutralen Grund. Er und die gleichstrebenden Genossen wurden dabei weniger von einer pessimistischen Liebe zum Fin- stern geleitet, als von der Abneigung gegen das Flache, Kraftlose, Zerstreute. Er bemerkte aber sehr bald, dass jene plastische Wirkung oft mit einem Zuviel von Quantität des Dunkels er- zielt sei, dass man mit kleinsten Theilen dasselbe erreichen könne. Blosse Punkte und Linien, von dünnem, warmem, durchsichtigem Braun, im Gesicht verstreut, genügten dem Kopf Flachheit zu nehmen, ein dunkler, ein Lichtfleck hinter der Figur, sie vom Grund abzulösen. Von diesem Gesichtspunkt aus behandelt er das Ohr. Die an der hellen, dem Betrachter zugewandten Seite befindliche Ohrmuschel ist sorgfältig und nachdrücklich modellirt, ja individualisirt, wahrscheinlich weil sie zur Plasticität des Ge- sammteindrucks beiträgt. Dagegen sind die Hände oft stief- mütterlich behandelt. (I. 202 f.) Als er dieser Manier die Wirkungen abgewonnen hatte, deren sie fähig war, kam sein malerisches Gefühl zum Wort, er sah, wie viele Elemente des Pittoresken hier doch übersehen waren. Gemälde sollen plastisch sein durch den Schein körper- licher Rundung und Tiefe, nicht plastisch in dem Sinn, dass ihre Gestalten hart und steinern erscheinen und im Leeren stehn. Sie sollten nur Glieder eines Ganzen von Licht und Luft sein. Es waren die Bildnisse, welche in einen Schauplatz der freien Luft versetzt werden mussten, durch die er auf sein neues System der Beleuchtung kam. Diess führt auf ein Element, dessen Studium für den Porträtisten von besonderem Interesse ist: die Hintergründe. Velazquez hat alle möglichen Hintergründe, von den einfach- sten an: dem Nichts einer fast schwarzen oder hellen Fläche, bis zu reich ausgestatteten Innenräumen und Landschaftsaussicht. In den

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/29>, abgerufen am 29.03.2024.