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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
diesem Sinne ist Geist nicht, wie in jenem andern, dem Genie
entgegengesetzt.

Wenn diese Bilder oft unfertig oder improvisirt aussehn,
(wie die Comödie seines Zeitgenossen Calderon) 1), so würde man
sich doch sehr täuschen, wollte man sie für weniger durchdacht
halten, bevor sie rasch ausgeführt wurden, als andre vollendetere;
oder als sei das Gewollte mit diesen abgekürzten und zufälligen
Mitteln nicht bis in die letzten Accente verwirklicht. Grade aus
der Klarheit der Intention, der Deutlichkeit des inneren Schauens
fliesst ja die Sicherheit der Hand, die mittelst scheinbar regel-
loser Proceduren so rasch und endgültig sagt was sie meint 2).

Nur fade Phrasenhaftigkeit konnte behaupten, dass diese
Gemälde nur Skizzen seien, ja blosse Decorationsbilder (lienzos
de mera decoracion
), und dass demzufolge Velazquez "der erste
Theatermaler seiner Zeit gewesen sei" (!) "Sein Stil, sagt eine
vielgerühmte Autorität, war das höchste in Anmassung ver-
wegener Licenz eines selbstbewussten Künstlers, der seines
blinden, gedankenlosen Erfolgs gewiss war" 3). So wird also hier
auf das was sonst als besondere, unnachahmliche Qualität des Mei-
sters galt, seine Herabsetzung begründet. Als ob Breite und
Berechnung auf Fernansicht ein Gemälde zur Decoration machte,
als ob das Merkmal der letzteren nicht in der Erfindung läge!
Skizze ist vorbereitende Malerei, sei es im Kleinen zur Fest-
haltung und Erprobung der Motive, sei es als Untermalung, als
vorläufige Anlage der Werthe und Lokalfarben. Aber einen
Franz Hals würde man mit nicht mehr Recht Skizze nennen,
wie einen Holbein etwa. Worauf es ankommt ist, dass er mit
so flüchtigen Strichen seinen Gestalten Leben und Charakter,
Haltung und Körper verliehen hat. "Wo ein andrer ange-
fangen zu haben glaubt, sagt Charles Blanc, da meint Velazquez
die letzte Hand angelegt zu haben; kaum hat er die Natur ge-
streift (effleure), so greift er sie bereits, besitzt sie, stellt sie dar,

1) Un siglo y una corte de poetas improvisantes. Cean Bermudez, Dic-
cionario IV, 203.
2) He never put brush to canvass without an intention and meaning. R. Ford.
3) V. etait le premier peintre de theatre de son siecle ... C'est tout ce
que peut s'arroger, en fait de licence hardie, un artiste confiant de son genie, et
saur du succes aveugle et irreflechi reserve a l'oeuvre de ses pinceaux ... Toutes
ces oeuvres executees entre les annees 1652 et 60, sont purement et simplement
des ebauches. P. Madrazo in L'Art 1878. IV. und in den Joyas.

Siebentes Buch.
diesem Sinne ist Geist nicht, wie in jenem andern, dem Genie
entgegengesetzt.

Wenn diese Bilder oft unfertig oder improvisirt aussehn,
(wie die Comödie seines Zeitgenossen Calderon) 1), so würde man
sich doch sehr täuschen, wollte man sie für weniger durchdacht
halten, bevor sie rasch ausgeführt wurden, als andre vollendetere;
oder als sei das Gewollte mit diesen abgekürzten und zufälligen
Mitteln nicht bis in die letzten Accente verwirklicht. Grade aus
der Klarheit der Intention, der Deutlichkeit des inneren Schauens
fliesst ja die Sicherheit der Hand, die mittelst scheinbar regel-
loser Proceduren so rasch und endgültig sagt was sie meint 2).

Nur fade Phrasenhaftigkeit konnte behaupten, dass diese
Gemälde nur Skizzen seien, ja blosse Decorationsbilder (lienzos
de mera decoracion
), und dass demzufolge Velazquez „der erste
Theatermaler seiner Zeit gewesen sei“ (!) „Sein Stil, sagt eine
vielgerühmte Autorität, war das höchste in Anmassung ver-
wegener Licenz eines selbstbewussten Künstlers, der seines
blinden, gedankenlosen Erfolgs gewiss war“ 3). So wird also hier
auf das was sonst als besondere, unnachahmliche Qualität des Mei-
sters galt, seine Herabsetzung begründet. Als ob Breite und
Berechnung auf Fernansicht ein Gemälde zur Decoration machte,
als ob das Merkmal der letzteren nicht in der Erfindung läge!
Skizze ist vorbereitende Malerei, sei es im Kleinen zur Fest-
haltung und Erprobung der Motive, sei es als Untermalung, als
vorläufige Anlage der Werthe und Lokalfarben. Aber einen
Franz Hals würde man mit nicht mehr Recht Skizze nennen,
wie einen Holbein etwa. Worauf es ankommt ist, dass er mit
so flüchtigen Strichen seinen Gestalten Leben und Charakter,
Haltung und Körper verliehen hat. „Wo ein andrer ange-
fangen zu haben glaubt, sagt Charles Blanc, da meint Velazquez
die letzte Hand angelegt zu haben; kaum hat er die Natur ge-
streift (effleuré), so greift er sie bereits, besitzt sie, stellt sie dar,

1) Un siglo y una corte de poetas improvisantes. Cean Bermudez, Dic-
cionario IV, 203.
2) He never put brush to canvass without an intention and meaning. R. Ford.
3) V. était le premier peintre de théâtre de son siècle … C’est tout ce
que peut s’arroger, en fait de licence hardie, un artiste confiant de son génie, et
sûr du succès aveugle et irréfléchi réservé à l’œuvre de ses pinceaux … Toutes
ces œuvres exécutées entre les années 1652 et 60, sont purement et simplement
des ébauches. P. Madrazo in L’Art 1878. IV. und in den Joyas.
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[274/0294] Siebentes Buch. diesem Sinne ist Geist nicht, wie in jenem andern, dem Genie entgegengesetzt. Wenn diese Bilder oft unfertig oder improvisirt aussehn, (wie die Comödie seines Zeitgenossen Calderon) 1), so würde man sich doch sehr täuschen, wollte man sie für weniger durchdacht halten, bevor sie rasch ausgeführt wurden, als andre vollendetere; oder als sei das Gewollte mit diesen abgekürzten und zufälligen Mitteln nicht bis in die letzten Accente verwirklicht. Grade aus der Klarheit der Intention, der Deutlichkeit des inneren Schauens fliesst ja die Sicherheit der Hand, die mittelst scheinbar regel- loser Proceduren so rasch und endgültig sagt was sie meint 2). Nur fade Phrasenhaftigkeit konnte behaupten, dass diese Gemälde nur Skizzen seien, ja blosse Decorationsbilder (lienzos de mera decoracion), und dass demzufolge Velazquez „der erste Theatermaler seiner Zeit gewesen sei“ (!) „Sein Stil, sagt eine vielgerühmte Autorität, war das höchste in Anmassung ver- wegener Licenz eines selbstbewussten Künstlers, der seines blinden, gedankenlosen Erfolgs gewiss war“ 3). So wird also hier auf das was sonst als besondere, unnachahmliche Qualität des Mei- sters galt, seine Herabsetzung begründet. Als ob Breite und Berechnung auf Fernansicht ein Gemälde zur Decoration machte, als ob das Merkmal der letzteren nicht in der Erfindung läge! Skizze ist vorbereitende Malerei, sei es im Kleinen zur Fest- haltung und Erprobung der Motive, sei es als Untermalung, als vorläufige Anlage der Werthe und Lokalfarben. Aber einen Franz Hals würde man mit nicht mehr Recht Skizze nennen, wie einen Holbein etwa. Worauf es ankommt ist, dass er mit so flüchtigen Strichen seinen Gestalten Leben und Charakter, Haltung und Körper verliehen hat. „Wo ein andrer ange- fangen zu haben glaubt, sagt Charles Blanc, da meint Velazquez die letzte Hand angelegt zu haben; kaum hat er die Natur ge- streift (effleuré), so greift er sie bereits, besitzt sie, stellt sie dar, 1) Un siglo y una corte de poetas improvisantes. Cean Bermudez, Dic- cionario IV, 203. 2) He never put brush to canvass without an intention and meaning. R. Ford. 3) V. était le premier peintre de théâtre de son siècle … C’est tout ce que peut s’arroger, en fait de licence hardie, un artiste confiant de son génie, et sûr du succès aveugle et irréfléchi réservé à l’œuvre de ses pinceaux … Toutes ces œuvres exécutées entre les années 1652 et 60, sont purement et simplement des ébauches. P. Madrazo in L’Art 1878. IV. und in den Joyas.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/294>, abgerufen am 23.11.2024.