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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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machte, dass man diese Madrider Schule als die letzten Epigonen
des Tizian'schen Zeitalters ansehen könnte. Aber diese azurnen,
von orangegelben Wölkchen durchwobenen Nachmittagshimmel
mit den glühenden Abendrothstreifen, diese in heiter farbige Ge-
wänder gehüllten, von goldnen Reflexen und Randlichtern schim-
mernden Gestalten, das visionäre Halblicht, gibt ihnen einen un-
läugbaren Reiz fürs Auge, mehr als den damaligen Italienern,
denen sie in Stoffen und Auffassung nahestehn, während sie in
Zeichnung und Wissen weit hinter ihnen zurückbleiben.

Selbst im Bildniss scheint ihnen die vornehme aber nüch-
terne Wahrhaftigkeit des Velazquez weniger zugesagt zu haben,
als die Eleganz und malerische Grazie des van Dyck.

Nur mit seiner berückenden Freiheit und Leichtigkeit der
Handschrift hatte er es allen angethan, und diese Eigenschaft
gefiel ihm auch an Andern. Seine lebhafte Belobung des "Mannah
in der Wüste" von Diego Polo war aufgefallen und notirt wor-
den. Diess Bild befand sich nebst andern in der Galerie Don Se-
bastians zu Pau (Nr. 887). Durch Wärme des Tons, durch die feurig
unverschmolzene, wild und doch mit koloristischem Takt verwo-
benen Striche fesselte es das Auge bei aller Dürftigkeit der Er-
findung und Plattheit der Hauptfigur. --

Derjenige unter seinen Schülern, welcher Velazquez in minde-
stens sechsundzwanzigjähriger Verbindung am meisten abgesehn
hat, der einzige unter allen, der ihm ganz ähnlich gemalt hat,
war Juan Bautista del Mazo, gebürtig aus Madrid, seit 1634 sein
Schwiegersohn.

Mazo gehörte zu den Talenten von vorwiegender An-
passungs- und Aneignungsfähigkeit. Seine Kopien nach Velaz-
quez waren, wie Palomino versichert, von den Originalen nicht
zu unterscheiden, und die nach Tizian, Tintoretto und Paolo
sollten selbst Italiener getäuscht haben. Wirklich haben die zwei
Dianenbäder im Prado (482 f.) bis auf unsre Tage für Originale
gegolten und würden es vielleicht noch heute, wenn das Alibi
der echten Tizians nicht bekannt wäre. Als der König sich
sehnte, die ihm für sein Jagdschloss gemalten Rubensbilder auch
in Madrid geniessen zu können, hat ihm Mazo nicht weniger als
42 Historien und Jagdstücke wiederholt, alle übrigens in kleinem
Maasstab.

Im Bildniss (dem einzigen Fach wo er sich an lebensgrosse
Figuren gewagt hat) war er, wie W. Burger sagt, nur ein Reflex
seines Lehrers, wie er dessen Nachfolger als Kammermaler ge-

Siebentes Buch.
machte, dass man diese Madrider Schule als die letzten Epigonen
des Tizian’schen Zeitalters ansehen könnte. Aber diese azurnen,
von orangegelben Wölkchen durchwobenen Nachmittagshimmel
mit den glühenden Abendrothstreifen, diese in heiter farbige Ge-
wänder gehüllten, von goldnen Reflexen und Randlichtern schim-
mernden Gestalten, das visionäre Halblicht, gibt ihnen einen un-
läugbaren Reiz fürs Auge, mehr als den damaligen Italienern,
denen sie in Stoffen und Auffassung nahestehn, während sie in
Zeichnung und Wissen weit hinter ihnen zurückbleiben.

Selbst im Bildniss scheint ihnen die vornehme aber nüch-
terne Wahrhaftigkeit des Velazquez weniger zugesagt zu haben,
als die Eleganz und malerische Grazie des van Dyck.

Nur mit seiner berückenden Freiheit und Leichtigkeit der
Handschrift hatte er es allen angethan, und diese Eigenschaft
gefiel ihm auch an Andern. Seine lebhafte Belobung des „Mannah
in der Wüste“ von Diego Polo war aufgefallen und notirt wor-
den. Diess Bild befand sich nebst andern in der Galerie Don Se-
bastians zu Pau (Nr. 887). Durch Wärme des Tons, durch die feurig
unverschmolzene, wild und doch mit koloristischem Takt verwo-
benen Striche fesselte es das Auge bei aller Dürftigkeit der Er-
findung und Plattheit der Hauptfigur. —

Derjenige unter seinen Schülern, welcher Velazquez in minde-
stens sechsundzwanzigjähriger Verbindung am meisten abgesehn
hat, der einzige unter allen, der ihm ganz ähnlich gemalt hat,
war Juan Bautista del Mazo, gebürtig aus Madrid, seit 1634 sein
Schwiegersohn.

Mazo gehörte zu den Talenten von vorwiegender An-
passungs- und Aneignungsfähigkeit. Seine Kopien nach Velaz-
quez waren, wie Palomino versichert, von den Originalen nicht
zu unterscheiden, und die nach Tizian, Tintoretto und Paolo
sollten selbst Italiener getäuscht haben. Wirklich haben die zwei
Dianenbäder im Prado (482 f.) bis auf unsre Tage für Originale
gegolten und würden es vielleicht noch heute, wenn das Alibi
der echten Tizians nicht bekannt wäre. Als der König sich
sehnte, die ihm für sein Jagdschloss gemalten Rubensbilder auch
in Madrid geniessen zu können, hat ihm Mazo nicht weniger als
42 Historien und Jagdstücke wiederholt, alle übrigens in kleinem
Maasstab.

Im Bildniss (dem einzigen Fach wo er sich an lebensgrosse
Figuren gewagt hat) war er, wie W. Burger sagt, nur ein Reflex
seines Lehrers, wie er dessen Nachfolger als Kammermaler ge-

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[264/0284] Siebentes Buch. machte, dass man diese Madrider Schule als die letzten Epigonen des Tizian’schen Zeitalters ansehen könnte. Aber diese azurnen, von orangegelben Wölkchen durchwobenen Nachmittagshimmel mit den glühenden Abendrothstreifen, diese in heiter farbige Ge- wänder gehüllten, von goldnen Reflexen und Randlichtern schim- mernden Gestalten, das visionäre Halblicht, gibt ihnen einen un- läugbaren Reiz fürs Auge, mehr als den damaligen Italienern, denen sie in Stoffen und Auffassung nahestehn, während sie in Zeichnung und Wissen weit hinter ihnen zurückbleiben. Selbst im Bildniss scheint ihnen die vornehme aber nüch- terne Wahrhaftigkeit des Velazquez weniger zugesagt zu haben, als die Eleganz und malerische Grazie des van Dyck. Nur mit seiner berückenden Freiheit und Leichtigkeit der Handschrift hatte er es allen angethan, und diese Eigenschaft gefiel ihm auch an Andern. Seine lebhafte Belobung des „Mannah in der Wüste“ von Diego Polo war aufgefallen und notirt wor- den. Diess Bild befand sich nebst andern in der Galerie Don Se- bastians zu Pau (Nr. 887). Durch Wärme des Tons, durch die feurig unverschmolzene, wild und doch mit koloristischem Takt verwo- benen Striche fesselte es das Auge bei aller Dürftigkeit der Er- findung und Plattheit der Hauptfigur. — Derjenige unter seinen Schülern, welcher Velazquez in minde- stens sechsundzwanzigjähriger Verbindung am meisten abgesehn hat, der einzige unter allen, der ihm ganz ähnlich gemalt hat, war Juan Bautista del Mazo, gebürtig aus Madrid, seit 1634 sein Schwiegersohn. Mazo gehörte zu den Talenten von vorwiegender An- passungs- und Aneignungsfähigkeit. Seine Kopien nach Velaz- quez waren, wie Palomino versichert, von den Originalen nicht zu unterscheiden, und die nach Tizian, Tintoretto und Paolo sollten selbst Italiener getäuscht haben. Wirklich haben die zwei Dianenbäder im Prado (482 f.) bis auf unsre Tage für Originale gegolten und würden es vielleicht noch heute, wenn das Alibi der echten Tizians nicht bekannt wäre. Als der König sich sehnte, die ihm für sein Jagdschloss gemalten Rubensbilder auch in Madrid geniessen zu können, hat ihm Mazo nicht weniger als 42 Historien und Jagdstücke wiederholt, alle übrigens in kleinem Maasstab. Im Bildniss (dem einzigen Fach wo er sich an lebensgrosse Figuren gewagt hat) war er, wie W. Burger sagt, nur ein Reflex seines Lehrers, wie er dessen Nachfolger als Kammermaler ge-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/284>, abgerufen am 25.04.2024.