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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
entlehnten und den von dem Pater aus eignen Mitteln hergestell-
ten, sehr zahlreichen Gemäldebeschreibungen seines Buchs ein
ganz ausserordentlicher ist. In jenen ist nach Adolfo de Castro
eine höhere Kraft des Geists und der Rede, die dem Pater ganz
fremd war und sich in seinen eignen Arbeiten verbirgt. Neben
jenem gedankenschweren, graphischen, schwungvollen Lakonismus
sei sein Stil "matt und weitschweifig". Diese Schilderung scheint
mir etwas stark gefärbt. Es sollte ja allerdings der Unterschied
der Schreibweise des in einem Colleg oder Seminar erzo-
genen Mönchs und Theologen von derjenigen des Malers, Hof-
manns und Naturalisten ohne gelehrte Bildung, nach Form und
Inhalt so gross wie nur möglich sein; aber das unbefangene
Auge vermag diesen Grad des Abstands nicht zu finden. Die
Beschreibungen, welche Fray Francisco in den späteren Auflagen
seines Buchs hinzufügte, sind allerdings meist ausführlicher, was
sich aber daraus erklärt, dass er sie mit aller Musse ausarbeiten
konnte, indem er die Bilder Jahre lang täglich vor Augen hatte;
während die Beschreibungen jener 24 in der Eile, gleich nach
Aufstellung der Bilder, niedergeschrieben wurden. Es kommen
aber auch in der ersten Auflage Beschreibungen von Bildern
vor, die nicht zu den 41 gehörten, und diese sind in denselben
kurzen Sätzen und ebenso lebhaft geschrieben.

In Betreff des Stils wäre es von einem Ausländer gewiss
kühn, den Auktoritäten der Academia Espannola zu widersprechen.
Das aber kann Jedermann sehen, dass die Terminologie in den
Artikeln beider Autoren ganz dieselbe ist. Man findet in den
eigenhändigen des Paters theils gleichlautende, theils verwandte
Bezeichnungen für Idealschönheit der Marien- und Christusköpfe,
für Ausdruck, Composition und Anordnung (wobei auch mehr-
mals auf den Werth einzelner Nebenfiguren für die Totalhar-
monie hingewiesen wird); dasselbe Lob des landschaftlichen
Hintergrunds, dieselben Kennerausdrücke "in der besten Manier
des Meisters". Am häufigsten begegnet der angeblich für den
"Patriarchen des spanischen Naturalismus" so bezeichnende hyper-
bolische Preis täuschender Naturwahrheit. Die Gestalten er-
scheinen "nicht gemalt, sondern die Wahrheit selbst"; man kann
sie mit Händen fassen, umarmen (abrazar); man hört das Rau-
schen des Wassers; kurz "es ist gar kein Unterschied zwischen
dem wirklichen und dem gemalten Vorgang".

Man wird sagen, der Pater habe in den paar Monaten, die zwischen
seiner Bekanntschaft mit der Memorie und der Abfassung seines Buchs

Siebentes Buch.
entlehnten und den von dem Pater aus eignen Mitteln hergestell-
ten, sehr zahlreichen Gemäldebeschreibungen seines Buchs ein
ganz ausserordentlicher ist. In jenen ist nach Adolfo de Castro
eine höhere Kraft des Geists und der Rede, die dem Pater ganz
fremd war und sich in seinen eignen Arbeiten verbirgt. Neben
jenem gedankenschweren, graphischen, schwungvollen Lakonismus
sei sein Stil „matt und weitschweifig“. Diese Schilderung scheint
mir etwas stark gefärbt. Es sollte ja allerdings der Unterschied
der Schreibweise des in einem Colleg oder Seminar erzo-
genen Mönchs und Theologen von derjenigen des Malers, Hof-
manns und Naturalisten ohne gelehrte Bildung, nach Form und
Inhalt so gross wie nur möglich sein; aber das unbefangene
Auge vermag diesen Grad des Abstands nicht zu finden. Die
Beschreibungen, welche Fray Francisco in den späteren Auflagen
seines Buchs hinzufügte, sind allerdings meist ausführlicher, was
sich aber daraus erklärt, dass er sie mit aller Musse ausarbeiten
konnte, indem er die Bilder Jahre lang täglich vor Augen hatte;
während die Beschreibungen jener 24 in der Eile, gleich nach
Aufstellung der Bilder, niedergeschrieben wurden. Es kommen
aber auch in der ersten Auflage Beschreibungen von Bildern
vor, die nicht zu den 41 gehörten, und diese sind in denselben
kurzen Sätzen und ebenso lebhaft geschrieben.

In Betreff des Stils wäre es von einem Ausländer gewiss
kühn, den Auktoritäten der Academia Española zu widersprechen.
Das aber kann Jedermann sehen, dass die Terminologie in den
Artikeln beider Autoren ganz dieselbe ist. Man findet in den
eigenhändigen des Paters theils gleichlautende, theils verwandte
Bezeichnungen für Idealschönheit der Marien- und Christusköpfe,
für Ausdruck, Composition und Anordnung (wobei auch mehr-
mals auf den Werth einzelner Nebenfiguren für die Totalhar-
monie hingewiesen wird); dasselbe Lob des landschaftlichen
Hintergrunds, dieselben Kennerausdrücke „in der besten Manier
des Meisters“. Am häufigsten begegnet der angeblich für den
„Patriarchen des spanischen Naturalismus“ so bezeichnende hyper-
bolische Preis täuschender Naturwahrheit. Die Gestalten er-
scheinen „nicht gemalt, sondern die Wahrheit selbst“; man kann
sie mit Händen fassen, umarmen (abrazar); man hört das Rau-
schen des Wassers; kurz „es ist gar kein Unterschied zwischen
dem wirklichen und dem gemalten Vorgang“.

Man wird sagen, der Pater habe in den paar Monaten, die zwischen
seiner Bekanntschaft mit der Memorie und der Abfassung seines Buchs

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[258/0278] Siebentes Buch. entlehnten und den von dem Pater aus eignen Mitteln hergestell- ten, sehr zahlreichen Gemäldebeschreibungen seines Buchs ein ganz ausserordentlicher ist. In jenen ist nach Adolfo de Castro eine höhere Kraft des Geists und der Rede, die dem Pater ganz fremd war und sich in seinen eignen Arbeiten verbirgt. Neben jenem gedankenschweren, graphischen, schwungvollen Lakonismus sei sein Stil „matt und weitschweifig“. Diese Schilderung scheint mir etwas stark gefärbt. Es sollte ja allerdings der Unterschied der Schreibweise des in einem Colleg oder Seminar erzo- genen Mönchs und Theologen von derjenigen des Malers, Hof- manns und Naturalisten ohne gelehrte Bildung, nach Form und Inhalt so gross wie nur möglich sein; aber das unbefangene Auge vermag diesen Grad des Abstands nicht zu finden. Die Beschreibungen, welche Fray Francisco in den späteren Auflagen seines Buchs hinzufügte, sind allerdings meist ausführlicher, was sich aber daraus erklärt, dass er sie mit aller Musse ausarbeiten konnte, indem er die Bilder Jahre lang täglich vor Augen hatte; während die Beschreibungen jener 24 in der Eile, gleich nach Aufstellung der Bilder, niedergeschrieben wurden. Es kommen aber auch in der ersten Auflage Beschreibungen von Bildern vor, die nicht zu den 41 gehörten, und diese sind in denselben kurzen Sätzen und ebenso lebhaft geschrieben. In Betreff des Stils wäre es von einem Ausländer gewiss kühn, den Auktoritäten der Academia Española zu widersprechen. Das aber kann Jedermann sehen, dass die Terminologie in den Artikeln beider Autoren ganz dieselbe ist. Man findet in den eigenhändigen des Paters theils gleichlautende, theils verwandte Bezeichnungen für Idealschönheit der Marien- und Christusköpfe, für Ausdruck, Composition und Anordnung (wobei auch mehr- mals auf den Werth einzelner Nebenfiguren für die Totalhar- monie hingewiesen wird); dasselbe Lob des landschaftlichen Hintergrunds, dieselben Kennerausdrücke „in der besten Manier des Meisters“. Am häufigsten begegnet der angeblich für den „Patriarchen des spanischen Naturalismus“ so bezeichnende hyper- bolische Preis täuschender Naturwahrheit. Die Gestalten er- scheinen „nicht gemalt, sondern die Wahrheit selbst“; man kann sie mit Händen fassen, umarmen (abrazar); man hört das Rau- schen des Wassers; kurz „es ist gar kein Unterschied zwischen dem wirklichen und dem gemalten Vorgang“. Man wird sagen, der Pater habe in den paar Monaten, die zwischen seiner Bekanntschaft mit der Memorie und der Abfassung seines Buchs

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/278>, abgerufen am 18.04.2024.