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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Memoria.
von einem Schulbild Raphaels gebraucht werden (los pannos son verdad I),
sie finden sich schon in Sigüenza's Buch1), und es ist zu gefällig, sie
als, "Kriterium des feurigsten Realismus" zu bezeichnen (Menendez
Pelayo a. a. O. II, 640).

Ein grosser Theil und gerade die besten Bilder waren zugleich
Geschenke einiger der ersten Grossen und Würdenträger des Hofs an
S. M., auch diese Herren durften nicht vergessen werden. Deshalb wur-
den die Gemälde nicht in der Folge der Aufstellung, oder nach den
Meistern, sondern nach den Gebern aufgeführt. Obenan musste der
Minister D. Luis de Haro stehn, dessen Stücke überdies aus der ersten
fürstlichen Sammlung der Zeit stammten und auch in dieser, in London
für die besten gegolten hatten. Diese Schätzung, heisst es, bestätigte
sich als sie in Madrid ankamen. "Sie wurden für würdig erkannt, den
Anblick des Königs, unseres Herrn (der als Kenner so hochsteht) zu
verdienen, und so legte sie ihm Haro zu Füssen, und sie erhielten den
ihnen gebührenden Ehrenplatz im königlichen Palast, dieser alten Schatz-
kammer und nobeln Schaustellung wo, folgsam Jupiters Geheiss, die Künste
das wunderbarste und köstlichste ihres Besitzes, ihrer Arbeit und der
Ehre von vielen Jahrhunderten aufgespeichert haben"2).

Wenn die Aufeinanderfolge und Anordnung der Stücke in der Denk-
schrift hiernach im allgemeinen auch der Abstufung des Werthes ent-
sprach, wie denn mit den beiden nach des Autors Meinung vorzüglichsten
begonnen wurde: so konnte der Schein entstehn, als ob auch die ein-
zelnen Nummern, wie die Plätze der Schulbuben, genau den Stufen des
Verdienstes entsprächen. Gegen die Unterschiebung einer solchen Ge-
schmacklosigkeit ist folgende bei Santos fehlende Bemerkung gerichtet:

"Sintemal die Gemälde sich selbst ihren Rang geben (se graduan)
durch ihre Vorzüglichkeit und offenkundige Beschaffenheit (noloriedad),
(und die der hier aufgeführten ist ja so gross): so wird wol gewiss
Niemand sich einbilden, dass durch diese Schrift ihnen Stufe und Vor-
rang angewiesen werden soll". Eine Warnung, die auch heute noch nicht
überflüssig ist: Ranglisten waren ja zu allen Zeiten ein Hauptvergnügen
philosophischer und unphilosophischer Pedanten. --

Wie man sieht, fehlt es nicht an Sonderbarkeiten in der

1) Jose Sigüenza, Historia del orden de S. Geronimo. Parte III. Madrid 1605.
Im Refectorium, vor dem Abendmahl Tizian's, erscheinen dessen Apostel "leben-
dig", und die unten schmausenden lebenden Mönche "pintados".
2) Auch diese Stelle hat de los Santos ins Vernünftige gemässigt: "Da man
in Madrid ihre Vortrefflichkeit aus der Nähe erkannte, so legte D. Luis sie dem
Könige zu Füssen, der nach seiner hohen Kennerschaft sie werth achtete dieses
Wunderwerks und dieses Orts".

Die Memoria.
von einem Schulbild Raphaels gebraucht werden (los paños son verdad I),
sie finden sich schon in Sigüenza’s Buch1), und es ist zu gefällig, sie
als, „Kriterium des feurigsten Realismus“ zu bezeichnen (Menendez
Pelayo a. a. O. II, 640).

Ein grosser Theil und gerade die besten Bilder waren zugleich
Geschenke einiger der ersten Grossen und Würdenträger des Hofs an
S. M., auch diese Herren durften nicht vergessen werden. Deshalb wur-
den die Gemälde nicht in der Folge der Aufstellung, oder nach den
Meistern, sondern nach den Gebern aufgeführt. Obenan musste der
Minister D. Luis de Haro stehn, dessen Stücke überdies aus der ersten
fürstlichen Sammlung der Zeit stammten und auch in dieser, in London
für die besten gegolten hatten. Diese Schätzung, heisst es, bestätigte
sich als sie in Madrid ankamen. „Sie wurden für würdig erkannt, den
Anblick des Königs, unseres Herrn (der als Kenner so hochsteht) zu
verdienen, und so legte sie ihm Haro zu Füssen, und sie erhielten den
ihnen gebührenden Ehrenplatz im königlichen Palast, dieser alten Schatz-
kammer und nobeln Schaustellung wo, folgsam Jupiters Geheiss, die Künste
das wunderbarste und köstlichste ihres Besitzes, ihrer Arbeit und der
Ehre von vielen Jahrhunderten aufgespeichert haben“2).

Wenn die Aufeinanderfolge und Anordnung der Stücke in der Denk-
schrift hiernach im allgemeinen auch der Abstufung des Werthes ent-
sprach, wie denn mit den beiden nach des Autors Meinung vorzüglichsten
begonnen wurde: so konnte der Schein entstehn, als ob auch die ein-
zelnen Nummern, wie die Plätze der Schulbuben, genau den Stufen des
Verdienstes entsprächen. Gegen die Unterschiebung einer solchen Ge-
schmacklosigkeit ist folgende bei Santos fehlende Bemerkung gerichtet:

„Sintemal die Gemälde sich selbst ihren Rang geben (se graduan)
durch ihre Vorzüglichkeit und offenkundige Beschaffenheit (noloriedad),
(und die der hier aufgeführten ist ja so gross): so wird wol gewiss
Niemand sich einbilden, dass durch diese Schrift ihnen Stufe und Vor-
rang angewiesen werden soll“. Eine Warnung, die auch heute noch nicht
überflüssig ist: Ranglisten waren ja zu allen Zeiten ein Hauptvergnügen
philosophischer und unphilosophischer Pedanten. —

Wie man sieht, fehlt es nicht an Sonderbarkeiten in der

1) José Sigüenza, Historia del órden de S. Gerónimo. Parte III. Madrid 1605.
Im Refectorium, vor dem Abendmahl Tizian’s, erscheinen dessen Apostel „leben-
dig“, und die unten schmausenden lebenden Mönche „pintados“.
2) Auch diese Stelle hat de los Santos ins Vernünftige gemässigt: „Da man
in Madrid ihre Vortrefflichkeit aus der Nähe erkannte, so legte D. Luis sie dem
Könige zu Füssen, der nach seiner hohen Kennerschaft sie werth achtete dieses
Wunderwerks und dieses Orts“.
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[255/0275] Die Memoria. von einem Schulbild Raphaels gebraucht werden (los paños son verdad I), sie finden sich schon in Sigüenza’s Buch 1), und es ist zu gefällig, sie als, „Kriterium des feurigsten Realismus“ zu bezeichnen (Menendez Pelayo a. a. O. II, 640). Ein grosser Theil und gerade die besten Bilder waren zugleich Geschenke einiger der ersten Grossen und Würdenträger des Hofs an S. M., auch diese Herren durften nicht vergessen werden. Deshalb wur- den die Gemälde nicht in der Folge der Aufstellung, oder nach den Meistern, sondern nach den Gebern aufgeführt. Obenan musste der Minister D. Luis de Haro stehn, dessen Stücke überdies aus der ersten fürstlichen Sammlung der Zeit stammten und auch in dieser, in London für die besten gegolten hatten. Diese Schätzung, heisst es, bestätigte sich als sie in Madrid ankamen. „Sie wurden für würdig erkannt, den Anblick des Königs, unseres Herrn (der als Kenner so hochsteht) zu verdienen, und so legte sie ihm Haro zu Füssen, und sie erhielten den ihnen gebührenden Ehrenplatz im königlichen Palast, dieser alten Schatz- kammer und nobeln Schaustellung wo, folgsam Jupiters Geheiss, die Künste das wunderbarste und köstlichste ihres Besitzes, ihrer Arbeit und der Ehre von vielen Jahrhunderten aufgespeichert haben“ 2). Wenn die Aufeinanderfolge und Anordnung der Stücke in der Denk- schrift hiernach im allgemeinen auch der Abstufung des Werthes ent- sprach, wie denn mit den beiden nach des Autors Meinung vorzüglichsten begonnen wurde: so konnte der Schein entstehn, als ob auch die ein- zelnen Nummern, wie die Plätze der Schulbuben, genau den Stufen des Verdienstes entsprächen. Gegen die Unterschiebung einer solchen Ge- schmacklosigkeit ist folgende bei Santos fehlende Bemerkung gerichtet: „Sintemal die Gemälde sich selbst ihren Rang geben (se graduan) durch ihre Vorzüglichkeit und offenkundige Beschaffenheit (noloriedad), (und die der hier aufgeführten ist ja so gross): so wird wol gewiss Niemand sich einbilden, dass durch diese Schrift ihnen Stufe und Vor- rang angewiesen werden soll“. Eine Warnung, die auch heute noch nicht überflüssig ist: Ranglisten waren ja zu allen Zeiten ein Hauptvergnügen philosophischer und unphilosophischer Pedanten. — Wie man sieht, fehlt es nicht an Sonderbarkeiten in der 1) José Sigüenza, Historia del órden de S. Gerónimo. Parte III. Madrid 1605. Im Refectorium, vor dem Abendmahl Tizian’s, erscheinen dessen Apostel „leben- dig“, und die unten schmausenden lebenden Mönche „pintados“. 2) Auch diese Stelle hat de los Santos ins Vernünftige gemässigt: „Da man in Madrid ihre Vortrefflichkeit aus der Nähe erkannte, so legte D. Luis sie dem Könige zu Füssen, der nach seiner hohen Kennerschaft sie werth achtete dieses Wunderwerks und dieses Orts“.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/275>, abgerufen am 19.04.2024.