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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Vollendung des Escorial.
abzulenken, durch ein Fenster in der Kirchenwand Licht nach
den Lunetten zu leiten und eine bequeme Treppe zu construiren.
Die noch fehlenden Ornamente der Kuppel wurden ebenfalls
von zwei Brüdern des Hauses ausgeführt, und so war, zum grossen
Trost des Königs die Frage des Pantheon endlich aus der Welt
geschafft. Der Bruder Nicolas wurde dafür zum Prior und Bi-
schof von Astorga gemacht. Das bronzene Crucifix für den
Altar wurde in Italien bestellt; der Herzog von Terranova liess
es durch Domenico Guidi anfertigen; es kam im November 1659
in Madrid an und wurde von Velazquez hingebracht und auf-
gestellt.

Vor der Ueberführung wurden die Särge der Vorfahren ge-
öffnet. Man fand die Leiche des Kaisers fast unverändert. Am
15. März kam der König und stieg in jenes Gewölbe herab.
Beim Anblick seines Urgrossvaters sagte er zu Haro: "Don Luis,
honrado cuerpo
", worauf jener erwiderte: Si sennor, muy honrado.
Der venezianische Gesandte Quirini, der die Mumie Carl V genau
untersuchte, schreibt: "Man erkennt sehr gut die Aehnlichkeit
mit seinem Bildnisse. Er hatte einen ziemlich grossen blonden
Bart; der Körper war unter gewöhnlicher Grösse, die Knochen
dünn (minute), das Fleisch mager und vertrocknet (adusta). Nase
und Lippen, Finger und Zehen waren entstellt von der Gicht,
die auch die Todten nicht verschont; nach einem Jahrhundert
sah man noch die Zeichen der erlittenen Schmerzen" 1).

In der Mitte der Kirche wurden fünf Katafalke errichtet,
ausgeschlagen mit goldgesticktem Sammet und Kronen darauf;
in der ersten Reihe Philipp II und III, dann erhöht der Kaiser,
endlich nach dem Altar zu die vier Königinnen, Elisabeth von
Portugal und Margaretha von Oesterreich, Elisabeth von Bourbon
und Anna von Oesterreich. Die Beisetzung der Urnen (bei der
des Kaisers legte Philipp IV selbst Hand an) geschah am
16. März 1654. --

Dieser Akt hatte auf den fünfzigjährigen Monarchen tiefen
Eindruck gemacht. Die Vorstellung, dass auch er in nicht gar
langer Frist eine Nische dieses Pantheon beziehen werde (er soll
sich selbst einmal hineingelegt haben), das Wort seiner Hof-
theologen, dass er dem Wunderwerk Philipp II erst die Krone
aufgesetzt habe 2), erweckte den Wunsch, in noch anderer Weise

1) Depesche vom 25. März, Frari.
2) Corona de esta maravilla, nennt Santos das Pantheon.

Die Vollendung des Escorial.
abzulenken, durch ein Fenster in der Kirchenwand Licht nach
den Lunetten zu leiten und eine bequeme Treppe zu construiren.
Die noch fehlenden Ornamente der Kuppel wurden ebenfalls
von zwei Brüdern des Hauses ausgeführt, und so war, zum grossen
Trost des Königs die Frage des Pantheon endlich aus der Welt
geschafft. Der Bruder Nicolas wurde dafür zum Prior und Bi-
schof von Astorga gemacht. Das bronzene Crucifix für den
Altar wurde in Italien bestellt; der Herzog von Terranova liess
es durch Domenico Guidi anfertigen; es kam im November 1659
in Madrid an und wurde von Velazquez hingebracht und auf-
gestellt.

Vor der Ueberführung wurden die Särge der Vorfahren ge-
öffnet. Man fand die Leiche des Kaisers fast unverändert. Am
15. März kam der König und stieg in jenes Gewölbe herab.
Beim Anblick seines Urgrossvaters sagte er zu Haro: „Don Luis,
honrado cuerpo
“, worauf jener erwiderte: Si señor, muy honrado.
Der venezianische Gesandte Quirini, der die Mumie Carl V genau
untersuchte, schreibt: „Man erkennt sehr gut die Aehnlichkeit
mit seinem Bildnisse. Er hatte einen ziemlich grossen blonden
Bart; der Körper war unter gewöhnlicher Grösse, die Knochen
dünn (minute), das Fleisch mager und vertrocknet (adusta). Nase
und Lippen, Finger und Zehen waren entstellt von der Gicht,
die auch die Todten nicht verschont; nach einem Jahrhundert
sah man noch die Zeichen der erlittenen Schmerzen“ 1).

In der Mitte der Kirche wurden fünf Katafalke errichtet,
ausgeschlagen mit goldgesticktem Sammet und Kronen darauf;
in der ersten Reihe Philipp II und III, dann erhöht der Kaiser,
endlich nach dem Altar zu die vier Königinnen, Elisabeth von
Portugal und Margaretha von Oesterreich, Elisabeth von Bourbon
und Anna von Oesterreich. Die Beisetzung der Urnen (bei der
des Kaisers legte Philipp IV selbst Hand an) geschah am
16. März 1654. —

Dieser Akt hatte auf den fünfzigjährigen Monarchen tiefen
Eindruck gemacht. Die Vorstellung, dass auch er in nicht gar
langer Frist eine Nische dieses Pantheon beziehen werde (er soll
sich selbst einmal hineingelegt haben), das Wort seiner Hof-
theologen, dass er dem Wunderwerk Philipp II erst die Krone
aufgesetzt habe 2), erweckte den Wunsch, in noch anderer Weise

1) Depesche vom 25. März, Frari.
2) Corona de esta maravilla, nennt Santos das Pantheon.
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[237/0257] Die Vollendung des Escorial. abzulenken, durch ein Fenster in der Kirchenwand Licht nach den Lunetten zu leiten und eine bequeme Treppe zu construiren. Die noch fehlenden Ornamente der Kuppel wurden ebenfalls von zwei Brüdern des Hauses ausgeführt, und so war, zum grossen Trost des Königs die Frage des Pantheon endlich aus der Welt geschafft. Der Bruder Nicolas wurde dafür zum Prior und Bi- schof von Astorga gemacht. Das bronzene Crucifix für den Altar wurde in Italien bestellt; der Herzog von Terranova liess es durch Domenico Guidi anfertigen; es kam im November 1659 in Madrid an und wurde von Velazquez hingebracht und auf- gestellt. Vor der Ueberführung wurden die Särge der Vorfahren ge- öffnet. Man fand die Leiche des Kaisers fast unverändert. Am 15. März kam der König und stieg in jenes Gewölbe herab. Beim Anblick seines Urgrossvaters sagte er zu Haro: „Don Luis, honrado cuerpo“, worauf jener erwiderte: Si señor, muy honrado. Der venezianische Gesandte Quirini, der die Mumie Carl V genau untersuchte, schreibt: „Man erkennt sehr gut die Aehnlichkeit mit seinem Bildnisse. Er hatte einen ziemlich grossen blonden Bart; der Körper war unter gewöhnlicher Grösse, die Knochen dünn (minute), das Fleisch mager und vertrocknet (adusta). Nase und Lippen, Finger und Zehen waren entstellt von der Gicht, die auch die Todten nicht verschont; nach einem Jahrhundert sah man noch die Zeichen der erlittenen Schmerzen“ 1). In der Mitte der Kirche wurden fünf Katafalke errichtet, ausgeschlagen mit goldgesticktem Sammet und Kronen darauf; in der ersten Reihe Philipp II und III, dann erhöht der Kaiser, endlich nach dem Altar zu die vier Königinnen, Elisabeth von Portugal und Margaretha von Oesterreich, Elisabeth von Bourbon und Anna von Oesterreich. Die Beisetzung der Urnen (bei der des Kaisers legte Philipp IV selbst Hand an) geschah am 16. März 1654. — Dieser Akt hatte auf den fünfzigjährigen Monarchen tiefen Eindruck gemacht. Die Vorstellung, dass auch er in nicht gar langer Frist eine Nische dieses Pantheon beziehen werde (er soll sich selbst einmal hineingelegt haben), das Wort seiner Hof- theologen, dass er dem Wunderwerk Philipp II erst die Krone aufgesetzt habe 2), erweckte den Wunsch, in noch anderer Weise 1) Depesche vom 25. März, Frari. 2) Corona de esta maravilla, nennt Santos das Pantheon.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/257>, abgerufen am 19.04.2024.