Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch.
befanden sich in seinem Schlaf- und Sterbezimmer. Ein Mann
wie Philipp IV musste mehr Geschmack an mythologischen Ma-
lereien finden als an religiöser Kunst, für die er wenig Empfin-
dung besessen zu haben scheint.

In Bezug auf Tizian behauptete der Alcazar sein Privileg;
von diesem grössten unter den Malern, welche auf Spaniens
Schlösser ihren Glanz geworfen haben, hatte man den Takt,
alles mit Ausnahme einiger Kirchenbilder, dem Schlosse Carl V
vorzubehalten. Philipp IV war so glücklich das Erbe seines
Grossvaters in den "Bovedas de Ticiano" mit den alles noch über-
strahlenden Jugendbildern, den beiden ferraresischen Bacchanalien
des Fürsten Ludovisi vermehren zu können; er stellte diesen alten,
mythologischen Tiziangemächern ein neues, einen Bildnissaal an
die Seite. Zu diesem wurde die grosse Südgalerie, auch Galerie
der Königin genannt, umgewandelt. Sie lag über jenem Kaiser-
garten und den Tiziangewölben1). Noch im Jahre 1636 zeigt
dieser Raum die Ausstattung in dem veralteten, künstlerischer
Gesichtspunkte baaren Kuriositätengeschmack des sechszehnten
Jahrhunderts. Im Jahre 1665 erscheint er völlig umgeschaffen;
man sah dort die zwölf Imperatoren aus der Galerie von Mantua,
in Carl I Versteigerung erworben; Carl V mit der irischen
Dogge, seine Gemahlin die Kaiserin Isabella, Kaiser Ferdinand,
Philipp II im Harnisch, die Herzogin von Alba, die Frau des
Secretärs Cobos, den Herzog Alphons von Ferrara, den Herzog
von Urbino, den Landgrafen, die heil. Margaretha, das Mädchen
im Pelz, endlich Tizians eignes Bildniss, zusammen 35 Stück.
Sie waren umgeben von einer homogenen Gesellschaft zahlreicher
Tintorettos und Paolos.

Und damit waren die Vorräthe noch nicht erschöpft. In
dem Gang, welcher aus diesem Saal nach der Tribuna führte
(pasillo de la Madonna), waren neben Correggio's Christus in
Gethsemane (auf 4000 Ducaten geschätzt) und einer heiligen Fa-
milie, die Herodias Tizians, das Bildniss des Sekretärs Cobos u. a.,
nebst zehn Bildnissen Tintoretto's.

Das Inventar von 1686 weist 79 Originale Tizians auf und

1) Cerca della [la galeria de Mediodia] esta un jardin adornado de fuentes,
y estatuas de Emperadores Romanos, y la del gran Carlos Quinto. En el ay unas
quadras, acompannadas de pinturas a diferentes fabulas, de mano del gran Ticiano,
y mesas de jaspes de diferentes colores. Gil Goncalez Davila, Teatro de las Gran-
dezas de Madrid. 1623. p. 310.

Siebentes Buch.
befanden sich in seinem Schlaf- und Sterbezimmer. Ein Mann
wie Philipp IV musste mehr Geschmack an mythologischen Ma-
lereien finden als an religiöser Kunst, für die er wenig Empfin-
dung besessen zu haben scheint.

In Bezug auf Tizian behauptete der Alcazar sein Privileg;
von diesem grössten unter den Malern, welche auf Spaniens
Schlösser ihren Glanz geworfen haben, hatte man den Takt,
alles mit Ausnahme einiger Kirchenbilder, dem Schlosse Carl V
vorzubehalten. Philipp IV war so glücklich das Erbe seines
Grossvaters in den „Bóvedas de Ticiano“ mit den alles noch über-
strahlenden Jugendbildern, den beiden ferraresischen Bacchanalien
des Fürsten Ludovisi vermehren zu können; er stellte diesen alten,
mythologischen Tiziangemächern ein neues, einen Bildnissaal an
die Seite. Zu diesem wurde die grosse Südgalerie, auch Galerie
der Königin genannt, umgewandelt. Sie lag über jenem Kaiser-
garten und den Tiziangewölben1). Noch im Jahre 1636 zeigt
dieser Raum die Ausstattung in dem veralteten, künstlerischer
Gesichtspunkte baaren Kuriositätengeschmack des sechszehnten
Jahrhunderts. Im Jahre 1665 erscheint er völlig umgeschaffen;
man sah dort die zwölf Imperatoren aus der Galerie von Mantua,
in Carl I Versteigerung erworben; Carl V mit der irischen
Dogge, seine Gemahlin die Kaiserin Isabella, Kaiser Ferdinand,
Philipp II im Harnisch, die Herzogin von Alba, die Frau des
Secretärs Cobos, den Herzog Alphons von Ferrara, den Herzog
von Urbino, den Landgrafen, die heil. Margaretha, das Mädchen
im Pelz, endlich Tizians eignes Bildniss, zusammen 35 Stück.
Sie waren umgeben von einer homogenen Gesellschaft zahlreicher
Tintorettos und Paolos.

Und damit waren die Vorräthe noch nicht erschöpft. In
dem Gang, welcher aus diesem Saal nach der Tribuna führte
(pasillo de la Madonna), waren neben Correggio’s Christus in
Gethsemane (auf 4000 Ducaten geschätzt) und einer heiligen Fa-
milie, die Herodias Tizians, das Bildniss des Sekretärs Cobos u. a.,
nebst zehn Bildnissen Tintoretto’s.

Das Inventar von 1686 weist 79 Originale Tizians auf und

1) Cerca della [la galeria de Mediodia] está un jardin adornado de fuentes,
y estatuas de Emperadores Romanos, y la del gran Carlos Quinto. En el ay unas
quadras, acompañadas de pinturas a diferentes fabulas, de mano del gran Ticiano,
y mesas de jaspes de diferentes colores. Gil Gonçalez Davila, Teatro de las Gran-
dezas de Madrid. 1623. p. 310.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0248" n="228"/><fw place="top" type="header">Siebentes Buch.</fw><lb/>
befanden sich in seinem Schlaf- und Sterbezimmer. Ein Mann<lb/>
wie Philipp IV musste mehr Geschmack an mythologischen Ma-<lb/>
lereien finden als an religiöser Kunst, für die er wenig Empfin-<lb/>
dung besessen zu haben scheint.</p><lb/>
            <p>In Bezug auf Tizian behauptete der Alcazar sein Privileg;<lb/>
von diesem grössten unter den Malern, welche auf Spaniens<lb/>
Schlösser ihren Glanz geworfen haben, hatte man den Takt,<lb/>
alles mit Ausnahme einiger Kirchenbilder, dem Schlosse Carl V<lb/>
vorzubehalten. Philipp IV war so glücklich das Erbe seines<lb/>
Grossvaters in den &#x201E;<hi rendition="#i">Bóvedas de Ticiano</hi>&#x201C; mit den alles noch über-<lb/>
strahlenden Jugendbildern, den beiden ferraresischen Bacchanalien<lb/>
des Fürsten Ludovisi vermehren zu können; er stellte diesen alten,<lb/>
mythologischen Tiziangemächern ein neues, einen Bildnissaal an<lb/>
die Seite. Zu diesem wurde die grosse Südgalerie, auch Galerie<lb/>
der Königin genannt, umgewandelt. Sie lag über jenem Kaiser-<lb/>
garten und den Tiziangewölben<note place="foot" n="1)">Cerca della [la galeria de Mediodia] está un jardin adornado de fuentes,<lb/>
y estatuas de Emperadores Romanos, y la del gran Carlos Quinto. En el ay unas<lb/>
quadras, acompañadas de pinturas a diferentes fabulas, de mano del gran Ticiano,<lb/>
y mesas de jaspes de diferentes colores. Gil Gonçalez Davila, Teatro de las Gran-<lb/>
dezas de Madrid. 1623. p. 310.</note>. Noch im Jahre 1636 zeigt<lb/>
dieser Raum die Ausstattung in dem veralteten, künstlerischer<lb/>
Gesichtspunkte baaren Kuriositätengeschmack des sechszehnten<lb/>
Jahrhunderts. Im Jahre 1665 erscheint er völlig umgeschaffen;<lb/>
man sah dort die zwölf Imperatoren aus der Galerie von Mantua,<lb/>
in Carl I Versteigerung erworben; Carl V mit der irischen<lb/>
Dogge, seine Gemahlin die Kaiserin Isabella, Kaiser Ferdinand,<lb/>
Philipp II im Harnisch, die Herzogin von Alba, die Frau des<lb/>
Secretärs Cobos, den Herzog Alphons von Ferrara, den Herzog<lb/>
von Urbino, den Landgrafen, die heil. Margaretha, das Mädchen<lb/>
im Pelz, endlich Tizians eignes Bildniss, zusammen 35 Stück.<lb/>
Sie waren umgeben von einer homogenen Gesellschaft zahlreicher<lb/>
Tintorettos und Paolos.</p><lb/>
            <p>Und damit waren die Vorräthe noch nicht erschöpft. In<lb/>
dem Gang, welcher aus diesem Saal nach der Tribuna führte<lb/>
(<hi rendition="#i">pasillo de la Madonna</hi>), waren neben Correggio&#x2019;s Christus in<lb/>
Gethsemane (auf 4000 Ducaten geschätzt) und einer heiligen Fa-<lb/>
milie, die Herodias Tizians, das Bildniss des Sekretärs Cobos u. a.,<lb/>
nebst zehn Bildnissen Tintoretto&#x2019;s.</p><lb/>
            <p>Das Inventar von 1686 weist 79 Originale Tizians auf und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0248] Siebentes Buch. befanden sich in seinem Schlaf- und Sterbezimmer. Ein Mann wie Philipp IV musste mehr Geschmack an mythologischen Ma- lereien finden als an religiöser Kunst, für die er wenig Empfin- dung besessen zu haben scheint. In Bezug auf Tizian behauptete der Alcazar sein Privileg; von diesem grössten unter den Malern, welche auf Spaniens Schlösser ihren Glanz geworfen haben, hatte man den Takt, alles mit Ausnahme einiger Kirchenbilder, dem Schlosse Carl V vorzubehalten. Philipp IV war so glücklich das Erbe seines Grossvaters in den „Bóvedas de Ticiano“ mit den alles noch über- strahlenden Jugendbildern, den beiden ferraresischen Bacchanalien des Fürsten Ludovisi vermehren zu können; er stellte diesen alten, mythologischen Tiziangemächern ein neues, einen Bildnissaal an die Seite. Zu diesem wurde die grosse Südgalerie, auch Galerie der Königin genannt, umgewandelt. Sie lag über jenem Kaiser- garten und den Tiziangewölben 1). Noch im Jahre 1636 zeigt dieser Raum die Ausstattung in dem veralteten, künstlerischer Gesichtspunkte baaren Kuriositätengeschmack des sechszehnten Jahrhunderts. Im Jahre 1665 erscheint er völlig umgeschaffen; man sah dort die zwölf Imperatoren aus der Galerie von Mantua, in Carl I Versteigerung erworben; Carl V mit der irischen Dogge, seine Gemahlin die Kaiserin Isabella, Kaiser Ferdinand, Philipp II im Harnisch, die Herzogin von Alba, die Frau des Secretärs Cobos, den Herzog Alphons von Ferrara, den Herzog von Urbino, den Landgrafen, die heil. Margaretha, das Mädchen im Pelz, endlich Tizians eignes Bildniss, zusammen 35 Stück. Sie waren umgeben von einer homogenen Gesellschaft zahlreicher Tintorettos und Paolos. Und damit waren die Vorräthe noch nicht erschöpft. In dem Gang, welcher aus diesem Saal nach der Tribuna führte (pasillo de la Madonna), waren neben Correggio’s Christus in Gethsemane (auf 4000 Ducaten geschätzt) und einer heiligen Fa- milie, die Herodias Tizians, das Bildniss des Sekretärs Cobos u. a., nebst zehn Bildnissen Tintoretto’s. Das Inventar von 1686 weist 79 Originale Tizians auf und 1) Cerca della [la galeria de Mediodia] está un jardin adornado de fuentes, y estatuas de Emperadores Romanos, y la del gran Carlos Quinto. En el ay unas quadras, acompañadas de pinturas a diferentes fabulas, de mano del gran Ticiano, y mesas de jaspes de diferentes colores. Gil Gonçalez Davila, Teatro de las Gran- dezas de Madrid. 1623. p. 310.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/248
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/248>, abgerufen am 29.03.2024.