men meist krank in Saragossa und Madrid an, und selbst Spanier bedürfen einiger Tage Ruhe, ehe sie an Besuche und Geschäfte denken können. Giustiniani hatte fünfzig Tage im November und December von Toulouse bis Madrid gebraucht, er starb bald nach seiner Ankunft (3. Februar 1660). Keine Privatbörse, sagt ein Venezianer, ist im Stande dem Könige in die Campagne zu folgen. Kein Stück des Lebensunterhalts das nicht drei bis viermal soviel kostet als in Italien. Die blosse Reise nach Ma- drid verschlingt die Provision eines Jahres (1624). Im Winter blieben die Wagen oft die Nacht über mitten im Feld im Schnee stecken.
"Wer seine Geduld üben will, sagt jener Venezianer, der komme hierher; er wird mehr Förderung finden, als im Orden des heil. Franciscus."
Das schlimmste dünken uns für einen Künstler die unauf- hörlichen, aufreibenden Verdriesslichkeiten, die mit der finanziellen Zerrüttung der Hofhaltung zusammenhingen. Wie oft versiegt das Geld in den Kassen, da werden die Gehaltszahlungen ein- gestellt, die kleinen Leute versagen Lieferungen und Arbeiten; man friert in den königlichen Gemächern, die Hofdamen müssen, um nicht zu fasten, das Essen aus der Stadt holen lassen, man geht in abgetragenen Anzügen; Flickschneider müssen am Hof S. Ka- tholischen Majestät ein blühendes Gewerbe gewesen sein. Die Folge waren Schulden; einmal beklagt er sich, dass ihm 60000 Realen Jahrgehalt nicht ausgezahlt seien, und bloss für 1653, 30000. Diese Art Sorgen möchte man sich als chronischen Druck auf den Gemüthszustand des Maler-Hofmarschalls vorstellen. Da muss indess der Leichtsinn des Spaniers in finanziellen Dingen in Anschlag gebracht werden. Bei dem Tode des Velazquez ergab sich, dass er seinen Fond um eine erhebliche Summe über- schritten hatte: das Palastmarschallamt war mit einer Schuld von 1220770 maravedis (35905 Realen oder 3264 Dukaten) bela- stet. In Folge davon wurde über des Malers Nachlass der ge- richtliche Verschluss verhängt. Nach den geschilderten Zuständen wird man wissen, wie das zu beurtheilen ist. Im Lauf der fünf Jahre dauernden Untersuchung stellte sich heraus, dass auch er sehr hohe Forderungen an den Fiscus hatte; und das Urtheil lautete dahin, dass die Hälfte der Schulden durch sein persön- liches Guthaben als getilgt angesehen werden solle, die andere Hälfte musste freilich der Schwiegersohn und Testamentsvoll- strecker Juan Bautista del Mazo, Vater vieler Kinder, ersetzen
Siebentes Buch.
men meist krank in Saragossa und Madrid an, und selbst Spanier bedürfen einiger Tage Ruhe, ehe sie an Besuche und Geschäfte denken können. Giustiniani hatte fünfzig Tage im November und December von Toulouse bis Madrid gebraucht, er starb bald nach seiner Ankunft (3. Februar 1660). Keine Privatbörse, sagt ein Venezianer, ist im Stande dem Könige in die Campagne zu folgen. Kein Stück des Lebensunterhalts das nicht drei bis viermal soviel kostet als in Italien. Die blosse Reise nach Ma- drid verschlingt die Provision eines Jahres (1624). Im Winter blieben die Wagen oft die Nacht über mitten im Feld im Schnee stecken.
„Wer seine Geduld üben will, sagt jener Venezianer, der komme hierher; er wird mehr Förderung finden, als im Orden des heil. Franciscus.“
Das schlimmste dünken uns für einen Künstler die unauf- hörlichen, aufreibenden Verdriesslichkeiten, die mit der finanziellen Zerrüttung der Hofhaltung zusammenhingen. Wie oft versiegt das Geld in den Kassen, da werden die Gehaltszahlungen ein- gestellt, die kleinen Leute versagen Lieferungen und Arbeiten; man friert in den königlichen Gemächern, die Hofdamen müssen, um nicht zu fasten, das Essen aus der Stadt holen lassen, man geht in abgetragenen Anzügen; Flickschneider müssen am Hof S. Ka- tholischen Majestät ein blühendes Gewerbe gewesen sein. Die Folge waren Schulden; einmal beklagt er sich, dass ihm 60000 Realen Jahrgehalt nicht ausgezahlt seien, und bloss für 1653, 30000. Diese Art Sorgen möchte man sich als chronischen Druck auf den Gemüthszustand des Maler-Hofmarschalls vorstellen. Da muss indess der Leichtsinn des Spaniers in finanziellen Dingen in Anschlag gebracht werden. Bei dem Tode des Velazquez ergab sich, dass er seinen Fond um eine erhebliche Summe über- schritten hatte: das Palastmarschallamt war mit einer Schuld von 1220770 maravedis (35905 Realen oder 3264 Dukaten) bela- stet. In Folge davon wurde über des Malers Nachlass der ge- richtliche Verschluss verhängt. Nach den geschilderten Zuständen wird man wissen, wie das zu beurtheilen ist. Im Lauf der fünf Jahre dauernden Untersuchung stellte sich heraus, dass auch er sehr hohe Forderungen an den Fiscus hatte; und das Urtheil lautete dahin, dass die Hälfte der Schulden durch sein persön- liches Guthaben als getilgt angesehen werden solle, die andere Hälfte musste freilich der Schwiegersohn und Testamentsvoll- strecker Juan Bautista del Mazo, Vater vieler Kinder, ersetzen
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Siebentes Buch.
men meist krank in Saragossa und Madrid an, und selbst Spanier
bedürfen einiger Tage Ruhe, ehe sie an Besuche und Geschäfte
denken können. Giustiniani hatte fünfzig Tage im November
und December von Toulouse bis Madrid gebraucht, er starb bald
nach seiner Ankunft (3. Februar 1660). Keine Privatbörse, sagt
ein Venezianer, ist im Stande dem Könige in die Campagne zu
folgen. Kein Stück des Lebensunterhalts das nicht drei bis
viermal soviel kostet als in Italien. Die blosse Reise nach Ma-
drid verschlingt die Provision eines Jahres (1624). Im Winter
blieben die Wagen oft die Nacht über mitten im Feld im Schnee
stecken.
„Wer seine Geduld üben will, sagt jener Venezianer, der
komme hierher; er wird mehr Förderung finden, als im Orden
des heil. Franciscus.“
Das schlimmste dünken uns für einen Künstler die unauf-
hörlichen, aufreibenden Verdriesslichkeiten, die mit der finanziellen
Zerrüttung der Hofhaltung zusammenhingen. Wie oft versiegt
das Geld in den Kassen, da werden die Gehaltszahlungen ein-
gestellt, die kleinen Leute versagen Lieferungen und Arbeiten;
man friert in den königlichen Gemächern, die Hofdamen müssen, um
nicht zu fasten, das Essen aus der Stadt holen lassen, man geht
in abgetragenen Anzügen; Flickschneider müssen am Hof S. Ka-
tholischen Majestät ein blühendes Gewerbe gewesen sein. Die
Folge waren Schulden; einmal beklagt er sich, dass ihm 60000
Realen Jahrgehalt nicht ausgezahlt seien, und bloss für 1653, 30000.
Diese Art Sorgen möchte man sich als chronischen Druck auf
den Gemüthszustand des Maler-Hofmarschalls vorstellen. Da
muss indess der Leichtsinn des Spaniers in finanziellen Dingen
in Anschlag gebracht werden. Bei dem Tode des Velazquez
ergab sich, dass er seinen Fond um eine erhebliche Summe über-
schritten hatte: das Palastmarschallamt war mit einer Schuld
von 1220770 maravedis (35905 Realen oder 3264 Dukaten) bela-
stet. In Folge davon wurde über des Malers Nachlass der ge-
richtliche Verschluss verhängt. Nach den geschilderten Zuständen
wird man wissen, wie das zu beurtheilen ist. Im Lauf der fünf
Jahre dauernden Untersuchung stellte sich heraus, dass auch er
sehr hohe Forderungen an den Fiscus hatte; und das Urtheil
lautete dahin, dass die Hälfte der Schulden durch sein persön-
liches Guthaben als getilgt angesehen werden solle, die andere
Hälfte musste freilich der Schwiegersohn und Testamentsvoll-
strecker Juan Bautista del Mazo, Vater vieler Kinder, ersetzen
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/242>, abgerufen am 17.02.2025.
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