Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite
Innocenz X.

Warum ist Velazquez von den ihm so geläufigen licht-
schwachen Nuancen des Roth hier abgegangen? Vielleicht war
das der Geschmack des alten Herrn, und der Herzogin von San
Martino, die ja auch der Garderobe des Schwagers, bis auf
die monatliche Wäsche (nicht umsonst) sich annahm.

Der Maler hätte diese Wirkung durch ein kräftiges Hell-
dunkel bekämpfen können; aber er malte die Gestalt fast ganz
schattenlos. Neutrales tiefes Dunkelbraun wäre in diesem Unisono
der Farbe ein willkommener Ruhepunkt gewesen; das Roth
der Stoffe, durch schwärzliche Schatten eingeschränkt und nur
in den Lichtern rein hervorkommend, hätte den gewünschten
prächtigen Eindruck nicht herabgesetzt. Auch schwarze Augen,
Brauen und Bart hätten in jenen Gesichtston einige kräftige
Accente gebracht. Aber der 76jährige Mann war längst ergraut.
Hoffte er durch diese bei ihm ungewöhnlichen Sättigungs-
grade der Umgebung das Roth des Gesichts zu mildern? Darin
hätte er sich verrechnet; eher ist das Umgekehrte der Fall.
Auch das blendende Weiss des camice ist dem Gesicht und dessen
Lichtern auf Stirn, Nase, Wange nachtheilig, die mehr Glanz als
Relief geben. Dass es vom Gesicht ablenkt, hat schon Richardson
bemerkt. Er tadelt, dass die Leinwand des Chorhemds nicht
durchsichtig gemalt sei 1).

Auch Rubens hat wohl, z. B. in dem Bildnisse des Prämonstra-
tenserabts Matthäus Irselius (Galerie zu Kopenhagen 304), das
Antlitz auf dem rothen Grund des Tuchs fast ausschliesslich mit
demselben leuchtenden Roth modellirt. Allein offenbar nur, um
in diesem nach der Leiche aufgenommenen Bildniss die Todten-
farbe durch die Reflexe zu verdrängen.

Es ist interessant zu vergleichen, wie andere Pabstmaler
sich in demselben Falle geholfen haben. Raphael war wie Ve-
lazquez der hässlichste Pabst seines Jahrhunderts zugefallen.
Sein Bildniss Leo X gilt als klassisches Beispiel, wie man, ohne
unwahr zu sein, Hässlichkeit verschleiern und durch Würde und
Majestät aufheben kann. Aber ihm war in einem Punkt die
Aufgabe leichter gemacht. Bei dem gelbbräunlichen Teint, den
schwarzen Haaren und Augen des Mediceers wirkte das tiefe

1) Ce Maeitre n'a pas eu soin de peindre le linge transparent; ce qui est
non-seulement naturel, mais aussi qui l'unit par-la au reste: au-lieu que dans
celui-ci ce n'est qu'une tache choquante, qui detourne necessairement la vue de
dessus le visage. Traite de la peinture III, 562. Amsterdam 1724.
Innocenz X.

Warum ist Velazquez von den ihm so geläufigen licht-
schwachen Nuancen des Roth hier abgegangen? Vielleicht war
das der Geschmack des alten Herrn, und der Herzogin von San
Martino, die ja auch der Garderobe des Schwagers, bis auf
die monatliche Wäsche (nicht umsonst) sich annahm.

Der Maler hätte diese Wirkung durch ein kräftiges Hell-
dunkel bekämpfen können; aber er malte die Gestalt fast ganz
schattenlos. Neutrales tiefes Dunkelbraun wäre in diesem Unisono
der Farbe ein willkommener Ruhepunkt gewesen; das Roth
der Stoffe, durch schwärzliche Schatten eingeschränkt und nur
in den Lichtern rein hervorkommend, hätte den gewünschten
prächtigen Eindruck nicht herabgesetzt. Auch schwarze Augen,
Brauen und Bart hätten in jenen Gesichtston einige kräftige
Accente gebracht. Aber der 76jährige Mann war längst ergraut.
Hoffte er durch diese bei ihm ungewöhnlichen Sättigungs-
grade der Umgebung das Roth des Gesichts zu mildern? Darin
hätte er sich verrechnet; eher ist das Umgekehrte der Fall.
Auch das blendende Weiss des camice ist dem Gesicht und dessen
Lichtern auf Stirn, Nase, Wange nachtheilig, die mehr Glanz als
Relief geben. Dass es vom Gesicht ablenkt, hat schon Richardson
bemerkt. Er tadelt, dass die Leinwand des Chorhemds nicht
durchsichtig gemalt sei 1).

Auch Rubens hat wohl, z. B. in dem Bildnisse des Prämonstra-
tenserabts Matthäus Irselius (Galerie zu Kopenhagen 304), das
Antlitz auf dem rothen Grund des Tuchs fast ausschliesslich mit
demselben leuchtenden Roth modellirt. Allein offenbar nur, um
in diesem nach der Leiche aufgenommenen Bildniss die Todten-
farbe durch die Reflexe zu verdrängen.

Es ist interessant zu vergleichen, wie andere Pabstmaler
sich in demselben Falle geholfen haben. Raphael war wie Ve-
lazquez der hässlichste Pabst seines Jahrhunderts zugefallen.
Sein Bildniss Leo X gilt als klassisches Beispiel, wie man, ohne
unwahr zu sein, Hässlichkeit verschleiern und durch Würde und
Majestät aufheben kann. Aber ihm war in einem Punkt die
Aufgabe leichter gemacht. Bei dem gelbbräunlichen Teint, den
schwarzen Haaren und Augen des Mediceers wirkte das tiefe

1) Ce Maître n’a pas eu soin de peindre le linge transparent; ce qui est
non-seulement naturel, mais aussi qui l’unit par-là au reste: au-lieu que dans
celui-ci ce n’est qu’une tache choquante, qui détourne nécessairement la vue de
dessus le visage. Traité de la peinture III, 562. Amsterdam 1724.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0207" n="187"/>
          <fw place="top" type="header">Innocenz X.</fw><lb/>
          <p>Warum ist Velazquez von den ihm so geläufigen licht-<lb/>
schwachen Nuancen des Roth hier abgegangen? Vielleicht war<lb/>
das der Geschmack des alten Herrn, und der Herzogin von San<lb/>
Martino, die ja auch der Garderobe des Schwagers, bis auf<lb/>
die monatliche Wäsche (nicht umsonst) sich annahm.</p><lb/>
          <p>Der Maler hätte diese Wirkung durch ein kräftiges Hell-<lb/>
dunkel bekämpfen können; aber er malte die Gestalt fast ganz<lb/>
schattenlos. Neutrales tiefes Dunkelbraun wäre in diesem Unisono<lb/>
der Farbe ein willkommener Ruhepunkt gewesen; das Roth<lb/>
der Stoffe, durch schwärzliche Schatten eingeschränkt und nur<lb/>
in den Lichtern rein hervorkommend, hätte den gewünschten<lb/>
prächtigen Eindruck nicht herabgesetzt. Auch schwarze Augen,<lb/>
Brauen und Bart hätten in jenen Gesichtston einige kräftige<lb/>
Accente gebracht. Aber der 76jährige Mann war längst ergraut.<lb/>
Hoffte er durch diese bei ihm ungewöhnlichen Sättigungs-<lb/>
grade der Umgebung das Roth des Gesichts zu mildern? Darin<lb/>
hätte er sich verrechnet; eher ist das Umgekehrte der Fall.<lb/>
Auch das blendende Weiss des <hi rendition="#i">camice</hi> ist dem Gesicht und dessen<lb/>
Lichtern auf Stirn, Nase, Wange nachtheilig, die mehr Glanz als<lb/>
Relief geben. Dass es vom Gesicht ablenkt, hat schon Richardson<lb/>
bemerkt. Er tadelt, dass die Leinwand des Chorhemds nicht<lb/>
durchsichtig gemalt sei <note place="foot" n="1)">Ce Maître n&#x2019;a pas eu soin de peindre le linge transparent; ce qui est<lb/>
non-seulement naturel, mais aussi qui l&#x2019;unit par-là au reste: au-lieu que dans<lb/>
celui-ci ce n&#x2019;est qu&#x2019;une tache choquante, qui détourne nécessairement la vue de<lb/>
dessus le visage. Traité de la peinture III, 562. Amsterdam 1724.</note>.</p><lb/>
          <p>Auch Rubens hat wohl, z. B. in dem Bildnisse des Prämonstra-<lb/>
tenserabts Matthäus Irselius (Galerie zu Kopenhagen 304), das<lb/>
Antlitz auf dem rothen Grund des Tuchs fast ausschliesslich mit<lb/>
demselben leuchtenden Roth modellirt. Allein offenbar nur, um<lb/>
in diesem nach der Leiche aufgenommenen Bildniss die Todten-<lb/>
farbe durch die Reflexe zu verdrängen.</p><lb/>
          <p>Es ist interessant zu vergleichen, wie andere Pabstmaler<lb/>
sich in demselben Falle geholfen haben. Raphael war wie Ve-<lb/>
lazquez der hässlichste Pabst seines Jahrhunderts zugefallen.<lb/>
Sein Bildniss Leo X gilt als klassisches Beispiel, wie man, ohne<lb/>
unwahr zu sein, Hässlichkeit verschleiern und durch Würde und<lb/>
Majestät aufheben kann. Aber ihm war in einem Punkt die<lb/>
Aufgabe leichter gemacht. Bei dem gelbbräunlichen Teint, den<lb/>
schwarzen Haaren und Augen des Mediceers wirkte das tiefe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0207] Innocenz X. Warum ist Velazquez von den ihm so geläufigen licht- schwachen Nuancen des Roth hier abgegangen? Vielleicht war das der Geschmack des alten Herrn, und der Herzogin von San Martino, die ja auch der Garderobe des Schwagers, bis auf die monatliche Wäsche (nicht umsonst) sich annahm. Der Maler hätte diese Wirkung durch ein kräftiges Hell- dunkel bekämpfen können; aber er malte die Gestalt fast ganz schattenlos. Neutrales tiefes Dunkelbraun wäre in diesem Unisono der Farbe ein willkommener Ruhepunkt gewesen; das Roth der Stoffe, durch schwärzliche Schatten eingeschränkt und nur in den Lichtern rein hervorkommend, hätte den gewünschten prächtigen Eindruck nicht herabgesetzt. Auch schwarze Augen, Brauen und Bart hätten in jenen Gesichtston einige kräftige Accente gebracht. Aber der 76jährige Mann war längst ergraut. Hoffte er durch diese bei ihm ungewöhnlichen Sättigungs- grade der Umgebung das Roth des Gesichts zu mildern? Darin hätte er sich verrechnet; eher ist das Umgekehrte der Fall. Auch das blendende Weiss des camice ist dem Gesicht und dessen Lichtern auf Stirn, Nase, Wange nachtheilig, die mehr Glanz als Relief geben. Dass es vom Gesicht ablenkt, hat schon Richardson bemerkt. Er tadelt, dass die Leinwand des Chorhemds nicht durchsichtig gemalt sei 1). Auch Rubens hat wohl, z. B. in dem Bildnisse des Prämonstra- tenserabts Matthäus Irselius (Galerie zu Kopenhagen 304), das Antlitz auf dem rothen Grund des Tuchs fast ausschliesslich mit demselben leuchtenden Roth modellirt. Allein offenbar nur, um in diesem nach der Leiche aufgenommenen Bildniss die Todten- farbe durch die Reflexe zu verdrängen. Es ist interessant zu vergleichen, wie andere Pabstmaler sich in demselben Falle geholfen haben. Raphael war wie Ve- lazquez der hässlichste Pabst seines Jahrhunderts zugefallen. Sein Bildniss Leo X gilt als klassisches Beispiel, wie man, ohne unwahr zu sein, Hässlichkeit verschleiern und durch Würde und Majestät aufheben kann. Aber ihm war in einem Punkt die Aufgabe leichter gemacht. Bei dem gelbbräunlichen Teint, den schwarzen Haaren und Augen des Mediceers wirkte das tiefe 1) Ce Maître n’a pas eu soin de peindre le linge transparent; ce qui est non-seulement naturel, mais aussi qui l’unit par-là au reste: au-lieu que dans celui-ci ce n’est qu’une tache choquante, qui détourne nécessairement la vue de dessus le visage. Traité de la peinture III, 562. Amsterdam 1724.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/207
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/207>, abgerufen am 19.04.2024.