heiliger Dinge zu besichtigen, von den bei öffentlich ausge- stellten (in der Feria, auf den Stufen der Lonja) vorkommenden Vergehen oder Versehen (descuidos) dem heiligen Amt Anzeige zu machen.
Kein Mensch war gleichwol weniger zum Inquisitor geboren. Er hielt Dürer, mit dessen Leben, Person und Werken er sich aufs eingehendste beschäftigt hatte, für einen Mann seines Glaubens, ja er stellte ihn den ascetisch angehauchten Vargas und Juanes an die Seite. An etwa dreissig Stellen des Werkes erwähnt er Meister Albrecht, er nennt ihn mehrmals den Grossen, ja er führt die Sterne in folgender Reihenfolge auf: Bonarroti, Raphael, Durero. Es hat wol überhaupt keinen wärmeren und ehrfurchts- volleren Verehrer des Nürnbergers gegeben, als Francisco Pacheco, obwol er ihm natürlich die buena manera abspricht. Dieser Cultus gründete sich ebenso auf die in seinen Blättern sichtbare Erfindungs- und Darstellungskraft als auf den Eindruck der Grösse und Reinheit des Menschen, die er ebenfalls noch mehr als aus Büchern, aus dem Studium der Werke gewonnen hatte. Wol ein Beweis dass für den aufrichtig frommen Menschen in jeder Religion das Criterium der Religiosität (hier der Katholicität) stets innerlicher Art sein wird. Der Kern aller Religion, das Gefühl des Ewigen, ist unter allen Gebräuchen und Kunst- sprachen der Kirchen und Sekten derselbe; das können die Heisssporne des Streits nicht fassen, weil sie selten über die Vorhöfe des Tempels hinauskommen. Deshalb konnte der treue Anhänger Martin Luthers dem Freund der Jesuiten und Klienten der Inquisition als catolico y santo gelten, und die äussern Zeug- nisse fielen gegenüber dieser erlebten Thatsache der Geistes- einheit nicht ins Gewicht. --
Weit erfreulicher waren Pacheco's Bemühungen im Fach des Bildnisses. Durch Talent, Sinn für Individualität und Liebe zur Heimath war er auf diesen Zweig gekommen, er hat ihn auf verschiedenartige Anlässe gepflegt. Seine wenigen erhaltenen Oelbildchen zeigen die Bekanntschaft mit den Hofporträtisten; dem ihm geistesverwandten Sanchez Coello hat er zugesehen, wie er seine Bildnisse in Abwesenheit der Personen ausmalte (II, 139). Ferner erzählt er von 150 Miniaturbildnissen, von denen er das seiner Frau Maria de Parama auf einem Rundtäfelchen für das beste hielt. Der schätzbarste Theil seines ganzen Lebens- werkes aber besteht in den Büsten bedeutender Sevillaner, von denen er eine Auswahl, hundert, zu veröffentlichen gedachte.
Erstes Buch.
heiliger Dinge zu besichtigen, von den bei öffentlich ausge- stellten (in der Feria, auf den Stufen der Lonja) vorkommenden Vergehen oder Versehen (descuidos) dem heiligen Amt Anzeige zu machen.
Kein Mensch war gleichwol weniger zum Inquisitor geboren. Er hielt Dürer, mit dessen Leben, Person und Werken er sich aufs eingehendste beschäftigt hatte, für einen Mann seines Glaubens, ja er stellte ihn den ascetisch angehauchten Vargas und Juanes an die Seite. An etwa dreissig Stellen des Werkes erwähnt er Meister Albrecht, er nennt ihn mehrmals den Grossen, ja er führt die Sterne in folgender Reihenfolge auf: Bonarroti, Raphael, Durero. Es hat wol überhaupt keinen wärmeren und ehrfurchts- volleren Verehrer des Nürnbergers gegeben, als Francisco Pacheco, obwol er ihm natürlich die buena manera abspricht. Dieser Cultus gründete sich ebenso auf die in seinen Blättern sichtbare Erfindungs- und Darstellungskraft als auf den Eindruck der Grösse und Reinheit des Menschen, die er ebenfalls noch mehr als aus Büchern, aus dem Studium der Werke gewonnen hatte. Wol ein Beweis dass für den aufrichtig frommen Menschen in jeder Religion das Criterium der Religiosität (hier der Katholicität) stets innerlicher Art sein wird. Der Kern aller Religion, das Gefühl des Ewigen, ist unter allen Gebräuchen und Kunst- sprachen der Kirchen und Sekten derselbe; das können die Heisssporne des Streits nicht fassen, weil sie selten über die Vorhöfe des Tempels hinauskommen. Deshalb konnte der treue Anhänger Martin Luthers dem Freund der Jesuiten und Klienten der Inquisition als católico y santo gelten, und die äussern Zeug- nisse fielen gegenüber dieser erlebten Thatsache der Geistes- einheit nicht ins Gewicht. —
Weit erfreulicher waren Pacheco’s Bemühungen im Fach des Bildnisses. Durch Talent, Sinn für Individualität und Liebe zur Heimath war er auf diesen Zweig gekommen, er hat ihn auf verschiedenartige Anlässe gepflegt. Seine wenigen erhaltenen Oelbildchen zeigen die Bekanntschaft mit den Hofporträtisten; dem ihm geistesverwandten Sanchez Coello hat er zugesehen, wie er seine Bildnisse in Abwesenheit der Personen ausmalte (II, 139). Ferner erzählt er von 150 Miniaturbildnissen, von denen er das seiner Frau Maria de Parama auf einem Rundtäfelchen für das beste hielt. Der schätzbarste Theil seines ganzen Lebens- werkes aber besteht in den Büsten bedeutender Sevillaner, von denen er eine Auswahl, hundert, zu veröffentlichen gedachte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0092"n="72"/><fwplace="top"type="header">Erstes Buch.</fw><lb/>
heiliger Dinge zu besichtigen, von den bei öffentlich ausge-<lb/>
stellten (in der Feria, auf den Stufen der Lonja) vorkommenden<lb/>
Vergehen oder Versehen (<hirendition="#i">descuidos</hi>) dem heiligen Amt Anzeige<lb/>
zu machen.</p><lb/><p>Kein Mensch war gleichwol weniger zum Inquisitor geboren.<lb/>
Er hielt Dürer, mit dessen Leben, Person und Werken er sich aufs<lb/>
eingehendste beschäftigt hatte, für einen Mann seines Glaubens,<lb/>
ja er stellte ihn den ascetisch angehauchten Vargas und Juanes<lb/>
an die Seite. An etwa dreissig Stellen des Werkes erwähnt er<lb/>
Meister Albrecht, er nennt ihn mehrmals den Grossen, ja er<lb/>
führt die Sterne in folgender Reihenfolge auf: Bonarroti, Raphael,<lb/>
Durero. Es hat wol überhaupt keinen wärmeren und ehrfurchts-<lb/>
volleren Verehrer des Nürnbergers gegeben, als Francisco Pacheco,<lb/>
obwol er ihm natürlich die <hirendition="#i">buena manera</hi> abspricht. Dieser<lb/>
Cultus gründete sich ebenso auf die in seinen Blättern sichtbare<lb/>
Erfindungs- und Darstellungskraft als auf den Eindruck der<lb/>
Grösse und Reinheit des Menschen, die er ebenfalls noch mehr<lb/>
als aus Büchern, aus dem Studium der Werke gewonnen hatte.<lb/>
Wol ein Beweis dass für den aufrichtig frommen Menschen in<lb/>
jeder Religion das Criterium der Religiosität (hier der Katholicität)<lb/>
stets innerlicher Art sein wird. Der Kern aller Religion,<lb/>
das Gefühl des Ewigen, ist unter allen Gebräuchen und Kunst-<lb/>
sprachen der Kirchen und Sekten derselbe; das können die<lb/>
Heisssporne des Streits nicht fassen, weil sie selten über die<lb/>
Vorhöfe des Tempels hinauskommen. Deshalb konnte der treue<lb/>
Anhänger Martin Luthers dem Freund der Jesuiten und Klienten<lb/>
der Inquisition als <hirendition="#i">católico y santo</hi> gelten, und die äussern Zeug-<lb/>
nisse fielen gegenüber dieser erlebten Thatsache der Geistes-<lb/>
einheit nicht ins Gewicht. —</p><lb/><p>Weit erfreulicher waren Pacheco’s Bemühungen im Fach<lb/>
des Bildnisses. Durch Talent, Sinn für Individualität und Liebe<lb/>
zur Heimath war er auf diesen Zweig gekommen, er hat ihn auf<lb/>
verschiedenartige Anlässe gepflegt. Seine wenigen erhaltenen<lb/>
Oelbildchen zeigen die Bekanntschaft mit den Hofporträtisten;<lb/>
dem ihm geistesverwandten Sanchez Coello hat er zugesehen,<lb/>
wie er seine Bildnisse in Abwesenheit der Personen ausmalte<lb/>
(II, 139). Ferner erzählt er von 150 Miniaturbildnissen, von denen<lb/>
er das seiner Frau Maria de Parama auf einem Rundtäfelchen<lb/>
für das beste hielt. Der schätzbarste Theil seines ganzen Lebens-<lb/>
werkes aber besteht in den Büsten bedeutender Sevillaner, von<lb/>
denen er eine Auswahl, hundert, zu veröffentlichen gedachte.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[72/0092]
Erstes Buch.
heiliger Dinge zu besichtigen, von den bei öffentlich ausge-
stellten (in der Feria, auf den Stufen der Lonja) vorkommenden
Vergehen oder Versehen (descuidos) dem heiligen Amt Anzeige
zu machen.
Kein Mensch war gleichwol weniger zum Inquisitor geboren.
Er hielt Dürer, mit dessen Leben, Person und Werken er sich aufs
eingehendste beschäftigt hatte, für einen Mann seines Glaubens,
ja er stellte ihn den ascetisch angehauchten Vargas und Juanes
an die Seite. An etwa dreissig Stellen des Werkes erwähnt er
Meister Albrecht, er nennt ihn mehrmals den Grossen, ja er
führt die Sterne in folgender Reihenfolge auf: Bonarroti, Raphael,
Durero. Es hat wol überhaupt keinen wärmeren und ehrfurchts-
volleren Verehrer des Nürnbergers gegeben, als Francisco Pacheco,
obwol er ihm natürlich die buena manera abspricht. Dieser
Cultus gründete sich ebenso auf die in seinen Blättern sichtbare
Erfindungs- und Darstellungskraft als auf den Eindruck der
Grösse und Reinheit des Menschen, die er ebenfalls noch mehr
als aus Büchern, aus dem Studium der Werke gewonnen hatte.
Wol ein Beweis dass für den aufrichtig frommen Menschen in
jeder Religion das Criterium der Religiosität (hier der Katholicität)
stets innerlicher Art sein wird. Der Kern aller Religion,
das Gefühl des Ewigen, ist unter allen Gebräuchen und Kunst-
sprachen der Kirchen und Sekten derselbe; das können die
Heisssporne des Streits nicht fassen, weil sie selten über die
Vorhöfe des Tempels hinauskommen. Deshalb konnte der treue
Anhänger Martin Luthers dem Freund der Jesuiten und Klienten
der Inquisition als católico y santo gelten, und die äussern Zeug-
nisse fielen gegenüber dieser erlebten Thatsache der Geistes-
einheit nicht ins Gewicht. —
Weit erfreulicher waren Pacheco’s Bemühungen im Fach
des Bildnisses. Durch Talent, Sinn für Individualität und Liebe
zur Heimath war er auf diesen Zweig gekommen, er hat ihn auf
verschiedenartige Anlässe gepflegt. Seine wenigen erhaltenen
Oelbildchen zeigen die Bekanntschaft mit den Hofporträtisten;
dem ihm geistesverwandten Sanchez Coello hat er zugesehen,
wie er seine Bildnisse in Abwesenheit der Personen ausmalte
(II, 139). Ferner erzählt er von 150 Miniaturbildnissen, von denen
er das seiner Frau Maria de Parama auf einem Rundtäfelchen
für das beste hielt. Der schätzbarste Theil seines ganzen Lebens-
werkes aber besteht in den Büsten bedeutender Sevillaner, von
denen er eine Auswahl, hundert, zu veröffentlichen gedachte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/92>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.