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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Murillo in Madrid.
dem Anzug mit Interesse verweilend, würde er ihn zunächst zur
Aufschliessung seines Herzens durch die Mittheilung ermuntert
haben, dass er in einer Viertelstunde S. Excellenz dem Mayor-
domo S. M. einen Vortrag zu halten habe über irgend welche
im Retrete S. M. aufzulegende neue Kissen, worauf er ihn mit
allen Geberden absoluter Zerstreutheit anzuhören geschienen,
dann aber der Audienz ein Ende gemacht habe, indem er unter-
brach: "Ja, mein lieber Freund, ich sehe da freilich, dass Euch
alle Vorbildung fehlt, und was Ihr bisher getrieben habt, ist
schlimmer als nichts; und (nach Vorrechnung der Jahre der
erforderlichen Curse) bei Euerm Alter und Euern Verhältnissen
möchte ich Euch doch rathen wol zu bedenken, quid humeri
valeant
".

Unser Kammermaler aber hat in dem jungen Menschen
(der ihm mit andalusischer Beredsamkeit seine Sehnsucht, seine
Noth, seinen guten Willen schilderte) nur gesehn, was nicht alle
Tage vorkommt, und Gedanken der Eifersucht lagen ihm so
fern, dass er über die Entdeckung ganz glücklich war. Er gab
ihm das Beste was er zu geben hatte, Rathschläge, die sich auf
sorgfältige persönliche Information gründeten, Winke die das
Geheimniss seiner eigenen Künstlerlaufbahn enthielten. Er er-
öffnete ihm den Zutritt zu den Schlössern, wo damals bei den
langen Abwesenheiten des Königs in Zaragoza selten gute Ge-
legenheit zum Studiren war.

Velazquez konnte die Lage des Landsmanns verstehen. Dessen
Lehrer war ja ein Maler ungefähr vom Schlag seines Schwieger-
vaters. Er selbst hatte neben der Schule versucht sich seine
Wege zu bahnen; das war grade zu der Zeit als Murillo geboren
wurde. Wo fehlte es nun? Talent, Leichtigkeit, Geschmack, Ein-
gebung, Wille, selbst Schule war da, so viel man wollte. Nicht
Flügel (wie Bacon sagt), sondern Blei war ihm nöthig; d. h. die
"Unterwerfung des Geistes unter die Dinge". So erklärte ihm
der Hofmaler seine eigene frühere Methode, zeigte ihm den
Wassermann von Sevilla, predigte ihm das Evangelium der
Natur, in deren Buch auch die Seligen des Paradieses und die
Wunder der Heiligen verborgen seien; man müsse sie bloss
herauszuholen wissen. Das Wunder der Malerei aber sei nach
den alten Meistern das Relief: seine Gestalten seien bunte Schatten.
Das Relief müsse er um jeden Preis suchen, zuerst meinetwegen
mit den einfachsten und kräftigen Mitteln: schwarz und weiss.
Wenn er sich eine Vorstellung davon machen wolle, wie man

Murillo in Madrid.
dem Anzug mit Interesse verweilend, würde er ihn zunächst zur
Aufschliessung seines Herzens durch die Mittheilung ermuntert
haben, dass er in einer Viertelstunde S. Excellenz dem Mayor-
domo S. M. einen Vortrag zu halten habe über irgend welche
im Retrete S. M. aufzulegende neue Kissen, worauf er ihn mit
allen Geberden absoluter Zerstreutheit anzuhören geschienen,
dann aber der Audienz ein Ende gemacht habe, indem er unter-
brach: „Ja, mein lieber Freund, ich sehe da freilich, dass Euch
alle Vorbildung fehlt, und was Ihr bisher getrieben habt, ist
schlimmer als nichts; und (nach Vorrechnung der Jahre der
erforderlichen Curse) bei Euerm Alter und Euern Verhältnissen
möchte ich Euch doch rathen wol zu bedenken, quid humeri
valeant
“.

Unser Kammermaler aber hat in dem jungen Menschen
(der ihm mit andalusischer Beredsamkeit seine Sehnsucht, seine
Noth, seinen guten Willen schilderte) nur gesehn, was nicht alle
Tage vorkommt, und Gedanken der Eifersucht lagen ihm so
fern, dass er über die Entdeckung ganz glücklich war. Er gab
ihm das Beste was er zu geben hatte, Rathschläge, die sich auf
sorgfältige persönliche Information gründeten, Winke die das
Geheimniss seiner eigenen Künstlerlaufbahn enthielten. Er er-
öffnete ihm den Zutritt zu den Schlössern, wo damals bei den
langen Abwesenheiten des Königs in Zaragoza selten gute Ge-
legenheit zum Studiren war.

Velazquez konnte die Lage des Landsmanns verstehen. Dessen
Lehrer war ja ein Maler ungefähr vom Schlag seines Schwieger-
vaters. Er selbst hatte neben der Schule versucht sich seine
Wege zu bahnen; das war grade zu der Zeit als Murillo geboren
wurde. Wo fehlte es nun? Talent, Leichtigkeit, Geschmack, Ein-
gebung, Wille, selbst Schule war da, so viel man wollte. Nicht
Flügel (wie Bacon sagt), sondern Blei war ihm nöthig; d. h. die
„Unterwerfung des Geistes unter die Dinge“. So erklärte ihm
der Hofmaler seine eigene frühere Methode, zeigte ihm den
Wassermann von Sevilla, predigte ihm das Evangelium der
Natur, in deren Buch auch die Seligen des Paradieses und die
Wunder der Heiligen verborgen seien; man müsse sie bloss
herauszuholen wissen. Das Wunder der Malerei aber sei nach
den alten Meistern das Relief: seine Gestalten seien bunte Schatten.
Das Relief müsse er um jeden Preis suchen, zuerst meinetwegen
mit den einfachsten und kräftigen Mitteln: schwarz und weiss.
Wenn er sich eine Vorstellung davon machen wolle, wie man

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[409/0437] Murillo in Madrid. dem Anzug mit Interesse verweilend, würde er ihn zunächst zur Aufschliessung seines Herzens durch die Mittheilung ermuntert haben, dass er in einer Viertelstunde S. Excellenz dem Mayor- domo S. M. einen Vortrag zu halten habe über irgend welche im Retrete S. M. aufzulegende neue Kissen, worauf er ihn mit allen Geberden absoluter Zerstreutheit anzuhören geschienen, dann aber der Audienz ein Ende gemacht habe, indem er unter- brach: „Ja, mein lieber Freund, ich sehe da freilich, dass Euch alle Vorbildung fehlt, und was Ihr bisher getrieben habt, ist schlimmer als nichts; und (nach Vorrechnung der Jahre der erforderlichen Curse) bei Euerm Alter und Euern Verhältnissen möchte ich Euch doch rathen wol zu bedenken, quid humeri valeant“. Unser Kammermaler aber hat in dem jungen Menschen (der ihm mit andalusischer Beredsamkeit seine Sehnsucht, seine Noth, seinen guten Willen schilderte) nur gesehn, was nicht alle Tage vorkommt, und Gedanken der Eifersucht lagen ihm so fern, dass er über die Entdeckung ganz glücklich war. Er gab ihm das Beste was er zu geben hatte, Rathschläge, die sich auf sorgfältige persönliche Information gründeten, Winke die das Geheimniss seiner eigenen Künstlerlaufbahn enthielten. Er er- öffnete ihm den Zutritt zu den Schlössern, wo damals bei den langen Abwesenheiten des Königs in Zaragoza selten gute Ge- legenheit zum Studiren war. Velazquez konnte die Lage des Landsmanns verstehen. Dessen Lehrer war ja ein Maler ungefähr vom Schlag seines Schwieger- vaters. Er selbst hatte neben der Schule versucht sich seine Wege zu bahnen; das war grade zu der Zeit als Murillo geboren wurde. Wo fehlte es nun? Talent, Leichtigkeit, Geschmack, Ein- gebung, Wille, selbst Schule war da, so viel man wollte. Nicht Flügel (wie Bacon sagt), sondern Blei war ihm nöthig; d. h. die „Unterwerfung des Geistes unter die Dinge“. So erklärte ihm der Hofmaler seine eigene frühere Methode, zeigte ihm den Wassermann von Sevilla, predigte ihm das Evangelium der Natur, in deren Buch auch die Seligen des Paradieses und die Wunder der Heiligen verborgen seien; man müsse sie bloss herauszuholen wissen. Das Wunder der Malerei aber sei nach den alten Meistern das Relief: seine Gestalten seien bunte Schatten. Das Relief müsse er um jeden Preis suchen, zuerst meinetwegen mit den einfachsten und kräftigen Mitteln: schwarz und weiss. Wenn er sich eine Vorstellung davon machen wolle, wie man

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/437>, abgerufen am 22.11.2024.