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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
Halbschatten nicht vermuthen, dass er je über die Ateliers von
Granada hinausgekommen sei1).

Wie dem auch sei, der Besuch Moya's brachte den Stein
ins Rollen. Der schon lange mit sich Krieg führende Murillo
überzeugte sich, dass es so nicht weiter fortgehn könne. Aber
in Sevilla fand er keinen Weg, den Kreis, in den er sich ge-
bannt sah, zu durchbrechen. Er wollte nach Madrid. Was er
dort gesucht hat, ist ihm vielleicht selbst nicht ganz klar ge-
wesen. Aber ein solcher Entschluss in Folge einer aufregenden
Unterhaltung ist ganz im Charakter dieser Menschen des ersten
Eindrucks. Vielleicht hörte er, dass sich dort Originale van Dycks
befanden. Es lebte sogar ein Niederländer dort, Philipp Deriksen,
der im Rubens'schen Stil malte2). Aber bei seiner Dürftigkeit,
ohne Gönner, von seinen Kunstgenossen vielleicht gar nicht als
ebenbürtig angesehn, wie sollte er hinkommen? Hier war
die Schnellmalerei seine Retterin in der Noth. Er kaufte ein
grosses Stück Leinwand, spannte sie in einen Rahmen und be-
malte sie mit vielen kleinen pinturas de devocion, die er den
cargadores de las Indias brachte. So diente er der Erbauung
vieler Gläubigen in Mexico und Peru und gewann für sich den
Reisepfennig. Niemanden sagte er etwas von der Reise.

So erschien denn Bartolome, vierundzwanzigjährig, eines
Tages im ersten Patio des Alcazar zu Madrid, vom wochen-
langen Ritt hinlänglich sonnenverbrannt, und mit seinen dichten
schwarzen Haaren und dem etwas mitgenommenen Mantel und
Hut, von leidlich zigeunerhafter Erscheinung, und fragte nach dem
cuarto del principe. Hier stellte er sich dem "Sevillano" vor.
Die Situation hat dramatischen Reiz. Wäre der Kammermaler
S. M. einer jener grossen Männer gewesen, bei denen der junge
Mensch wol schon öfters angeklopft hatte, so würde er Bartolome
nach mehrmaligen Bestellungen auf einen passendern Tag, und
nach langem Warten mit einer seiner wichtigeren und be-
schäftigteren Mienen angenommen haben, oder vielmehr im Vor-
beigehn, im Vorzimmer bei ihm stehen geblieben sein. Nachdem
er ihn von unten bis oben mit dem Blick gestreift, besonders auf

1) Dass man sich von ihm einen ganz verfehlten Begriff machen würde, wenn
man im Vertrauen auf die Kenntniss spanischer Maler im Madrider Katalog ihn
nach dem Cyklus der Geschichte Josephs (von Antonio del Castillo) beurtheilen wollte,
wurde schon erwähnt (S. 140).
2) A. Ponz, Viage I, 59, sah ein Gemälde von ihm aus diesen Jahren in den
Carmelitas descalzas zu Toledo.

Viertes Buch.
Halbschatten nicht vermuthen, dass er je über die Ateliers von
Granada hinausgekommen sei1).

Wie dem auch sei, der Besuch Moya’s brachte den Stein
ins Rollen. Der schon lange mit sich Krieg führende Murillo
überzeugte sich, dass es so nicht weiter fortgehn könne. Aber
in Sevilla fand er keinen Weg, den Kreis, in den er sich ge-
bannt sah, zu durchbrechen. Er wollte nach Madrid. Was er
dort gesucht hat, ist ihm vielleicht selbst nicht ganz klar ge-
wesen. Aber ein solcher Entschluss in Folge einer aufregenden
Unterhaltung ist ganz im Charakter dieser Menschen des ersten
Eindrucks. Vielleicht hörte er, dass sich dort Originale van Dycks
befanden. Es lebte sogar ein Niederländer dort, Philipp Deriksen,
der im Rubens’schen Stil malte2). Aber bei seiner Dürftigkeit,
ohne Gönner, von seinen Kunstgenossen vielleicht gar nicht als
ebenbürtig angesehn, wie sollte er hinkommen? Hier war
die Schnellmalerei seine Retterin in der Noth. Er kaufte ein
grosses Stück Leinwand, spannte sie in einen Rahmen und be-
malte sie mit vielen kleinen pinturas de devocion, die er den
cargadores de las Indias brachte. So diente er der Erbauung
vieler Gläubigen in Mexico und Peru und gewann für sich den
Reisepfennig. Niemanden sagte er etwas von der Reise.

So erschien denn Bartolomé, vierundzwanzigjährig, eines
Tages im ersten Patio des Alcazar zu Madrid, vom wochen-
langen Ritt hinlänglich sonnenverbrannt, und mit seinen dichten
schwarzen Haaren und dem etwas mitgenommenen Mantel und
Hut, von leidlich zigeunerhafter Erscheinung, und fragte nach dem
cuarto del principe. Hier stellte er sich dem „Sevillano“ vor.
Die Situation hat dramatischen Reiz. Wäre der Kammermaler
S. M. einer jener grossen Männer gewesen, bei denen der junge
Mensch wol schon öfters angeklopft hatte, so würde er Bartolomé
nach mehrmaligen Bestellungen auf einen passendern Tag, und
nach langem Warten mit einer seiner wichtigeren und be-
schäftigteren Mienen angenommen haben, oder vielmehr im Vor-
beigehn, im Vorzimmer bei ihm stehen geblieben sein. Nachdem
er ihn von unten bis oben mit dem Blick gestreift, besonders auf

1) Dass man sich von ihm einen ganz verfehlten Begriff machen würde, wenn
man im Vertrauen auf die Kenntniss spanischer Maler im Madrider Katalog ihn
nach dem Cyklus der Geschichte Josephs (von Antonio del Castillo) beurtheilen wollte,
wurde schon erwähnt (S. 140).
2) A. Ponz, Viage I, 59, sah ein Gemälde von ihm aus diesen Jahren in den
Carmelitas descalzas zu Toledo.
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[408/0436] Viertes Buch. Halbschatten nicht vermuthen, dass er je über die Ateliers von Granada hinausgekommen sei 1). Wie dem auch sei, der Besuch Moya’s brachte den Stein ins Rollen. Der schon lange mit sich Krieg führende Murillo überzeugte sich, dass es so nicht weiter fortgehn könne. Aber in Sevilla fand er keinen Weg, den Kreis, in den er sich ge- bannt sah, zu durchbrechen. Er wollte nach Madrid. Was er dort gesucht hat, ist ihm vielleicht selbst nicht ganz klar ge- wesen. Aber ein solcher Entschluss in Folge einer aufregenden Unterhaltung ist ganz im Charakter dieser Menschen des ersten Eindrucks. Vielleicht hörte er, dass sich dort Originale van Dycks befanden. Es lebte sogar ein Niederländer dort, Philipp Deriksen, der im Rubens’schen Stil malte 2). Aber bei seiner Dürftigkeit, ohne Gönner, von seinen Kunstgenossen vielleicht gar nicht als ebenbürtig angesehn, wie sollte er hinkommen? Hier war die Schnellmalerei seine Retterin in der Noth. Er kaufte ein grosses Stück Leinwand, spannte sie in einen Rahmen und be- malte sie mit vielen kleinen pinturas de devocion, die er den cargadores de las Indias brachte. So diente er der Erbauung vieler Gläubigen in Mexico und Peru und gewann für sich den Reisepfennig. Niemanden sagte er etwas von der Reise. So erschien denn Bartolomé, vierundzwanzigjährig, eines Tages im ersten Patio des Alcazar zu Madrid, vom wochen- langen Ritt hinlänglich sonnenverbrannt, und mit seinen dichten schwarzen Haaren und dem etwas mitgenommenen Mantel und Hut, von leidlich zigeunerhafter Erscheinung, und fragte nach dem cuarto del principe. Hier stellte er sich dem „Sevillano“ vor. Die Situation hat dramatischen Reiz. Wäre der Kammermaler S. M. einer jener grossen Männer gewesen, bei denen der junge Mensch wol schon öfters angeklopft hatte, so würde er Bartolomé nach mehrmaligen Bestellungen auf einen passendern Tag, und nach langem Warten mit einer seiner wichtigeren und be- schäftigteren Mienen angenommen haben, oder vielmehr im Vor- beigehn, im Vorzimmer bei ihm stehen geblieben sein. Nachdem er ihn von unten bis oben mit dem Blick gestreift, besonders auf 1) Dass man sich von ihm einen ganz verfehlten Begriff machen würde, wenn man im Vertrauen auf die Kenntniss spanischer Maler im Madrider Katalog ihn nach dem Cyklus der Geschichte Josephs (von Antonio del Castillo) beurtheilen wollte, wurde schon erwähnt (S. 140). 2) A. Ponz, Viage I, 59, sah ein Gemälde von ihm aus diesen Jahren in den Carmelitas descalzas zu Toledo.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/436>, abgerufen am 25.11.2024.