Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Tela real.
Hundejungen neben dem Rüdemann (montero de trahilla), ge-
schaart um den schönen, von einer jener Sauen aufgerissenen
Saupacker. Man glaubt nicht, dass es soviele sind, wie sie da
verstreut stehn, ohne eine Spur von Gruppirungsrecepten, oder
Ausfüllfiguren; doch zählt man, selbst nach Abzug der nur an-
gedeuteten Köpfe, über hundert Figuren, draussen etwa sechszig,
fünfzig innerhalb der Tücher.

Unter allen ist durch Beleuchtung, Farbe und Isolirung be-
tont die Gruppe der zwei (oder drei) Hofleute in grauem und
scharlachnem Mantel mit dem Geistlichen, vielleicht dem Jagd-
kaplan. Sie stehn abgewandt von der Jagd, sie haben wichtigere
Dinge zu besprechen, sie sind Meilen entfernt von den Leuten
in ihrer Hörweite. Ueberhaupt kann der Kontrast dieser in allen
Klassen sich verständig und würdig benehmenden Jagdgenossen
mit heutigen Scenen des Publikums beim Turf in seiner hyste-
rischen Aufgeregtheit nicht grösser gedacht werden.

Es ist unmöglich in so kleinem Raum soviel Inhalt zusam-
menzudrängen 1). In diesem Streifen ist mehr von Costüm- und
Charakterfiguren, Typen von Stand und Metier, Motiven male-
rischer Stellungen, als im ganzen Oeuvre gefeierter Genremaler,
die als ihres Publikums sichere Regisseure stets dasselbe Pup-
penpersonal tanzen lassen. --

Ferdinand VII schenkte das Bild, nachdem Goya eine Kopie
davon gemacht (Prado 1116), dem englischen Gesandten Sir Henry
Wellesley (1810--13), dem späteren Lord Cowley. Dieser verkaufte
es 1846 für 2200 £ an die Nationalgalerie. Es hatte sehr gelitten,
wahrscheinlich bei dem Palastbrand, und musste nun gründlich
restaurirt werden, d. h. an schadhaften Stellen übermalt, rentoilirt
und gebügelt. Eine phantastische Schilderung, die der Maler
Lance, der es sechs Wochen lang in der Cur gehabt, von seiner
Neuschöpfung gab, veranlasste eine parlamentarische Untersu-
chung. "Sechs Wochen lang bearbeitete der englische Künstler
die castilische Ruine, hier eine Wunde heilend, dort ein Loch
zuflickend, Bäume, Gras, Himmel und Figuren hervorholend,
Rossen zu Reitern und Reitern zu Rossen verhelfend, ja aus
eigener Phantasie eine Mauleselgruppe vorn hervorzaubernd, auf
einer Stelle von der Grösse eines Blattes Schellenpapier." Indess
bei der Confrontirung des Bildes musste er gestehn, dass er in

1) E. Landseer sagte, er habe noch nie gesehn "so much large art on so
small a scale". Stirling Annals 1373.

Tela real.
Hundejungen neben dem Rüdemann (montero de trahilla), ge-
schaart um den schönen, von einer jener Sauen aufgerissenen
Saupacker. Man glaubt nicht, dass es soviele sind, wie sie da
verstreut stehn, ohne eine Spur von Gruppirungsrecepten, oder
Ausfüllfiguren; doch zählt man, selbst nach Abzug der nur an-
gedeuteten Köpfe, über hundert Figuren, draussen etwa sechszig,
fünfzig innerhalb der Tücher.

Unter allen ist durch Beleuchtung, Farbe und Isolirung be-
tont die Gruppe der zwei (oder drei) Hofleute in grauem und
scharlachnem Mantel mit dem Geistlichen, vielleicht dem Jagd-
kaplan. Sie stehn abgewandt von der Jagd, sie haben wichtigere
Dinge zu besprechen, sie sind Meilen entfernt von den Leuten
in ihrer Hörweite. Ueberhaupt kann der Kontrast dieser in allen
Klassen sich verständig und würdig benehmenden Jagdgenossen
mit heutigen Scenen des Publikums beim Turf in seiner hyste-
rischen Aufgeregtheit nicht grösser gedacht werden.

Es ist unmöglich in so kleinem Raum soviel Inhalt zusam-
menzudrängen 1). In diesem Streifen ist mehr von Costüm- und
Charakterfiguren, Typen von Stand und Metier, Motiven male-
rischer Stellungen, als im ganzen Oeuvre gefeierter Genremaler,
die als ihres Publikums sichere Regisseure stets dasselbe Pup-
penpersonal tanzen lassen. —

Ferdinand VII schenkte das Bild, nachdem Goya eine Kopie
davon gemacht (Prado 1116), dem englischen Gesandten Sir Henry
Wellesley (1810—13), dem späteren Lord Cowley. Dieser verkaufte
es 1846 für 2200 £ an die Nationalgalerie. Es hatte sehr gelitten,
wahrscheinlich bei dem Palastbrand, und musste nun gründlich
restaurirt werden, d. h. an schadhaften Stellen übermalt, rentoilirt
und gebügelt. Eine phantastische Schilderung, die der Maler
Lance, der es sechs Wochen lang in der Cur gehabt, von seiner
Neuschöpfung gab, veranlasste eine parlamentarische Untersu-
chung. „Sechs Wochen lang bearbeitete der englische Künstler
die castilische Ruine, hier eine Wunde heilend, dort ein Loch
zuflickend, Bäume, Gras, Himmel und Figuren hervorholend,
Rossen zu Reitern und Reitern zu Rossen verhelfend, ja aus
eigener Phantasie eine Mauleselgruppe vorn hervorzaubernd, auf
einer Stelle von der Grösse eines Blattes Schellenpapier.“ Indess
bei der Confrontirung des Bildes musste er gestehn, dass er in

1) E. Landseer sagte, er habe noch nie gesehn „so much large art on so
small a scale“. Stirling Annals 1373.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0411" n="383"/><fw place="top" type="header">Tela real.</fw><lb/>
Hundejungen neben dem Rüdemann (<hi rendition="#i">montero de trahilla</hi>), ge-<lb/>
schaart um den schönen, von einer jener Sauen aufgerissenen<lb/>
Saupacker. Man glaubt nicht, dass es soviele sind, wie sie da<lb/>
verstreut stehn, ohne eine Spur von Gruppirungsrecepten, oder<lb/>
Ausfüllfiguren; doch zählt man, selbst nach Abzug der nur an-<lb/>
gedeuteten Köpfe, über hundert Figuren, draussen etwa sechszig,<lb/>
fünfzig innerhalb der Tücher.</p><lb/>
          <p>Unter allen ist durch Beleuchtung, Farbe und Isolirung be-<lb/>
tont die Gruppe der zwei (oder drei) Hofleute in grauem und<lb/>
scharlachnem Mantel mit dem Geistlichen, vielleicht dem Jagd-<lb/>
kaplan. Sie stehn abgewandt von der Jagd, sie haben wichtigere<lb/>
Dinge zu besprechen, sie sind Meilen entfernt von den Leuten<lb/>
in ihrer Hörweite. Ueberhaupt kann der Kontrast dieser in allen<lb/>
Klassen sich verständig und würdig benehmenden Jagdgenossen<lb/>
mit heutigen Scenen des Publikums beim Turf in seiner hyste-<lb/>
rischen Aufgeregtheit nicht grösser gedacht werden.</p><lb/>
          <p>Es ist unmöglich in so kleinem Raum soviel Inhalt zusam-<lb/>
menzudrängen <note place="foot" n="1)">E. Landseer sagte, er habe noch nie gesehn &#x201E;so much large art on so<lb/>
small a scale&#x201C;. Stirling Annals 1373.</note>. In diesem Streifen ist mehr von Costüm- und<lb/>
Charakterfiguren, Typen von Stand und Metier, Motiven male-<lb/>
rischer Stellungen, als im ganzen <hi rendition="#i">Oeuvre</hi> gefeierter Genremaler,<lb/>
die als ihres Publikums sichere Regisseure stets dasselbe Pup-<lb/>
penpersonal tanzen lassen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ferdinand VII schenkte das Bild, nachdem Goya eine Kopie<lb/>
davon gemacht (Prado 1116), dem englischen Gesandten Sir Henry<lb/>
Wellesley (1810&#x2014;13), dem späteren Lord Cowley. Dieser verkaufte<lb/>
es 1846 für 2200 £ an die Nationalgalerie. Es hatte sehr gelitten,<lb/>
wahrscheinlich bei dem Palastbrand, und musste nun gründlich<lb/>
restaurirt werden, d. h. an schadhaften Stellen übermalt, rentoilirt<lb/>
und gebügelt. Eine phantastische Schilderung, die der Maler<lb/>
Lance, der es sechs Wochen lang in der Cur gehabt, von seiner<lb/>
Neuschöpfung gab, veranlasste eine parlamentarische Untersu-<lb/>
chung. &#x201E;Sechs Wochen lang bearbeitete der englische Künstler<lb/>
die castilische Ruine, hier eine Wunde heilend, dort ein Loch<lb/>
zuflickend, Bäume, Gras, Himmel und Figuren hervorholend,<lb/>
Rossen zu Reitern und Reitern zu Rossen verhelfend, ja aus<lb/>
eigener Phantasie eine Mauleselgruppe vorn hervorzaubernd, auf<lb/>
einer Stelle von der Grösse eines Blattes Schellenpapier.&#x201C; Indess<lb/>
bei der Confrontirung des Bildes musste er gestehn, dass er in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0411] Tela real. Hundejungen neben dem Rüdemann (montero de trahilla), ge- schaart um den schönen, von einer jener Sauen aufgerissenen Saupacker. Man glaubt nicht, dass es soviele sind, wie sie da verstreut stehn, ohne eine Spur von Gruppirungsrecepten, oder Ausfüllfiguren; doch zählt man, selbst nach Abzug der nur an- gedeuteten Köpfe, über hundert Figuren, draussen etwa sechszig, fünfzig innerhalb der Tücher. Unter allen ist durch Beleuchtung, Farbe und Isolirung be- tont die Gruppe der zwei (oder drei) Hofleute in grauem und scharlachnem Mantel mit dem Geistlichen, vielleicht dem Jagd- kaplan. Sie stehn abgewandt von der Jagd, sie haben wichtigere Dinge zu besprechen, sie sind Meilen entfernt von den Leuten in ihrer Hörweite. Ueberhaupt kann der Kontrast dieser in allen Klassen sich verständig und würdig benehmenden Jagdgenossen mit heutigen Scenen des Publikums beim Turf in seiner hyste- rischen Aufgeregtheit nicht grösser gedacht werden. Es ist unmöglich in so kleinem Raum soviel Inhalt zusam- menzudrängen 1). In diesem Streifen ist mehr von Costüm- und Charakterfiguren, Typen von Stand und Metier, Motiven male- rischer Stellungen, als im ganzen Oeuvre gefeierter Genremaler, die als ihres Publikums sichere Regisseure stets dasselbe Pup- penpersonal tanzen lassen. — Ferdinand VII schenkte das Bild, nachdem Goya eine Kopie davon gemacht (Prado 1116), dem englischen Gesandten Sir Henry Wellesley (1810—13), dem späteren Lord Cowley. Dieser verkaufte es 1846 für 2200 £ an die Nationalgalerie. Es hatte sehr gelitten, wahrscheinlich bei dem Palastbrand, und musste nun gründlich restaurirt werden, d. h. an schadhaften Stellen übermalt, rentoilirt und gebügelt. Eine phantastische Schilderung, die der Maler Lance, der es sechs Wochen lang in der Cur gehabt, von seiner Neuschöpfung gab, veranlasste eine parlamentarische Untersu- chung. „Sechs Wochen lang bearbeitete der englische Künstler die castilische Ruine, hier eine Wunde heilend, dort ein Loch zuflickend, Bäume, Gras, Himmel und Figuren hervorholend, Rossen zu Reitern und Reitern zu Rossen verhelfend, ja aus eigener Phantasie eine Mauleselgruppe vorn hervorzaubernd, auf einer Stelle von der Grösse eines Blattes Schellenpapier.“ Indess bei der Confrontirung des Bildes musste er gestehn, dass er in 1) E. Landseer sagte, er habe noch nie gesehn „so much large art on so small a scale“. Stirling Annals 1373.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/411
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/411>, abgerufen am 23.11.2024.