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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
zu sagen, jedes Gemälde, neben diese Leinwand gestellt, wird,
indem die Befangenheit in der Malerei an ihm hervortritt, die
Thatsache, dass hier die Wahrheit ist, ins Licht setzen."

Dieses merkwürdige Künstlerurtheil, das allein die Darstel-
lungskraft schätzt und die Interpretation des Gegenstandes,
die dem Laien eins und alles ist, gar nicht bemerkt, kann zugleich
als Bekenntniss des Malers über sein eigenes Ideal betrachtet
werden, das er vielleicht durch Tintoretto bestätigt fand. Die
Dehnung des Raums in die Tiefe, die Luft zwischen den Dingen,
die Wahrheit der Gegenstände, die Leichtigkeit und Lockerheit
der Pinselführung, die caprichos der Stellungen, die Durchsichtig-
keit des Ausdrucks, die Scene nicht wie ein Werk der Berech-
nung, sondern wie das Ding selbst erscheinend, d. h. ohne Phrase
und überlieferten Apparat -- diese Merkmale sind ja wie ge-
münzt auf den spätern Stil unsres Malers.

Diese Virtuosität der Raumbeherrschung wird ihm auch an
der grossen Kreuzigung imponirt haben. Hier ist er wie der
Kapellmeister, der ein Riesenorchester überhört und beherrscht.
Die Bändigung dieser Versammlung, deren verschiedenwerthige
Gruppen in Blicken, Bewegungen, Linien, in concentrischen Krei-
sen geordnet, alle nach dem in einsamer Höhe ragenden Kreuz
konvergiren, die Bewegung, durch Vorführung dreier Zeitmomente
in den drei Kreuzen noch verstärkt -- das alles erfüllt doch zu-
gleich den Beschauer mit der Ahnung eines sich vollziehenden
Vorgangs der Geistergeschichte, des Weltopfers, um das sich,
bewusst und unbewusst, ein Universum typischer Menschen, Er-
regungen, Gedanken als Zeugen schaart.

Das Studium der Compositionsweise des Venezianers könnte
man in den wenigen grossen Historien des Spaniers wol vermu-
then. Man findet seine Contraposte vorgebeugter und abgewandter
Stellungen, mit den geneigten, verkürzten, beschatteten Gesich-
tern. Tintoretto legte augenscheinlich selbst am meisten Gewicht
auf diese Disposition bewegter Gestalten nach Gesichtspunkten
der Entgegensetzung und mit Betonung der Richtung in die
Tiefe. Seine Werke wirken so stark von dieser Seite, dass man
(zumal bei der Verschlechterung vieler) meist übersieht, was für
ein bedeutender Colorist er war. Neben dem farbenreichen
Paolo vertrat er dort die Tonmalerei, darin ein Verwandter
Rembrandt's. So sind im Wunder des hl. Marcus alle Farben
da, aber wie gebettet in Helldunkel, getaucht in jenen grünlich
goldigen Ton, dessen ruhiger Harmonie manches Auge vor der

Drittes Buch.
zu sagen, jedes Gemälde, neben diese Leinwand gestellt, wird,
indem die Befangenheit in der Malerei an ihm hervortritt, die
Thatsache, dass hier die Wahrheit ist, ins Licht setzen.“

Dieses merkwürdige Künstlerurtheil, das allein die Darstel-
lungskraft schätzt und die Interpretation des Gegenstandes,
die dem Laien eins und alles ist, gar nicht bemerkt, kann zugleich
als Bekenntniss des Malers über sein eigenes Ideal betrachtet
werden, das er vielleicht durch Tintoretto bestätigt fand. Die
Dehnung des Raums in die Tiefe, die Luft zwischen den Dingen,
die Wahrheit der Gegenstände, die Leichtigkeit und Lockerheit
der Pinselführung, die caprichos der Stellungen, die Durchsichtig-
keit des Ausdrucks, die Scene nicht wie ein Werk der Berech-
nung, sondern wie das Ding selbst erscheinend, d. h. ohne Phrase
und überlieferten Apparat — diese Merkmale sind ja wie ge-
münzt auf den spätern Stil unsres Malers.

Diese Virtuosität der Raumbeherrschung wird ihm auch an
der grossen Kreuzigung imponirt haben. Hier ist er wie der
Kapellmeister, der ein Riesenorchester überhört und beherrscht.
Die Bändigung dieser Versammlung, deren verschiedenwerthige
Gruppen in Blicken, Bewegungen, Linien, in concentrischen Krei-
sen geordnet, alle nach dem in einsamer Höhe ragenden Kreuz
konvergiren, die Bewegung, durch Vorführung dreier Zeitmomente
in den drei Kreuzen noch verstärkt — das alles erfüllt doch zu-
gleich den Beschauer mit der Ahnung eines sich vollziehenden
Vorgangs der Geistergeschichte, des Weltopfers, um das sich,
bewusst und unbewusst, ein Universum typischer Menschen, Er-
regungen, Gedanken als Zeugen schaart.

Das Studium der Compositionsweise des Venezianers könnte
man in den wenigen grossen Historien des Spaniers wol vermu-
then. Man findet seine Contraposte vorgebeugter und abgewandter
Stellungen, mit den geneigten, verkürzten, beschatteten Gesich-
tern. Tintoretto legte augenscheinlich selbst am meisten Gewicht
auf diese Disposition bewegter Gestalten nach Gesichtspunkten
der Entgegensetzung und mit Betonung der Richtung in die
Tiefe. Seine Werke wirken so stark von dieser Seite, dass man
(zumal bei der Verschlechterung vieler) meist übersieht, was für
ein bedeutender Colorist er war. Neben dem farbenreichen
Paolo vertrat er dort die Tonmalerei, darin ein Verwandter
Rembrandt’s. So sind im Wunder des hl. Marcus alle Farben
da, aber wie gebettet in Helldunkel, getaucht in jenen grünlich
goldigen Ton, dessen ruhiger Harmonie manches Auge vor der

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[276/0302] Drittes Buch. zu sagen, jedes Gemälde, neben diese Leinwand gestellt, wird, indem die Befangenheit in der Malerei an ihm hervortritt, die Thatsache, dass hier die Wahrheit ist, ins Licht setzen.“ Dieses merkwürdige Künstlerurtheil, das allein die Darstel- lungskraft schätzt und die Interpretation des Gegenstandes, die dem Laien eins und alles ist, gar nicht bemerkt, kann zugleich als Bekenntniss des Malers über sein eigenes Ideal betrachtet werden, das er vielleicht durch Tintoretto bestätigt fand. Die Dehnung des Raums in die Tiefe, die Luft zwischen den Dingen, die Wahrheit der Gegenstände, die Leichtigkeit und Lockerheit der Pinselführung, die caprichos der Stellungen, die Durchsichtig- keit des Ausdrucks, die Scene nicht wie ein Werk der Berech- nung, sondern wie das Ding selbst erscheinend, d. h. ohne Phrase und überlieferten Apparat — diese Merkmale sind ja wie ge- münzt auf den spätern Stil unsres Malers. Diese Virtuosität der Raumbeherrschung wird ihm auch an der grossen Kreuzigung imponirt haben. Hier ist er wie der Kapellmeister, der ein Riesenorchester überhört und beherrscht. Die Bändigung dieser Versammlung, deren verschiedenwerthige Gruppen in Blicken, Bewegungen, Linien, in concentrischen Krei- sen geordnet, alle nach dem in einsamer Höhe ragenden Kreuz konvergiren, die Bewegung, durch Vorführung dreier Zeitmomente in den drei Kreuzen noch verstärkt — das alles erfüllt doch zu- gleich den Beschauer mit der Ahnung eines sich vollziehenden Vorgangs der Geistergeschichte, des Weltopfers, um das sich, bewusst und unbewusst, ein Universum typischer Menschen, Er- regungen, Gedanken als Zeugen schaart. Das Studium der Compositionsweise des Venezianers könnte man in den wenigen grossen Historien des Spaniers wol vermu- then. Man findet seine Contraposte vorgebeugter und abgewandter Stellungen, mit den geneigten, verkürzten, beschatteten Gesich- tern. Tintoretto legte augenscheinlich selbst am meisten Gewicht auf diese Disposition bewegter Gestalten nach Gesichtspunkten der Entgegensetzung und mit Betonung der Richtung in die Tiefe. Seine Werke wirken so stark von dieser Seite, dass man (zumal bei der Verschlechterung vieler) meist übersieht, was für ein bedeutender Colorist er war. Neben dem farbenreichen Paolo vertrat er dort die Tonmalerei, darin ein Verwandter Rembrandt’s. So sind im Wunder des hl. Marcus alle Farben da, aber wie gebettet in Helldunkel, getaucht in jenen grünlich goldigen Ton, dessen ruhiger Harmonie manches Auge vor der

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/302>, abgerufen am 17.09.2024.