worbene Gemälde der Fusswaschung, welches noch jetzt im Ka- pitelsaal hängt. Diese Beschreibung des Theologen sieht aus wie vorgesagt von einem Maler, und der Pater hat auch in der Vor- rede bemerkt, dass er sich fachmännischer Hülfe bei seiner Ar- beit bediente. Velazquez hatte eben dieses und andre Gemälde dort neu aufgestellt.
Tintoretto's Darstellung dieser rührenden, von einer Todes- ahnung eingegebenen Handlung Jesu wird heute wol Jedermann abstossend, fast frivol erscheinen. Es sieht aus als ob eine Gesell- schaft am heissen Sommertag, nach einem Gelage, sich ins Bad stürzen wolle und nicht schnell genug der Schuhe, Strümpfe, Hosen entledigen könne. Der Künstler, hingerissen von dem Gedanken eines blendenden Dekorationsstücks, hat mit den Mitteln einer alles- vermögenden Kunst auf die täuschendste und zugleich reizendste Art die Wandfläche geöffnet, das Auge durch eine schimmernde Perspective von Prachtbauten, auf Marmorflächen und Wasser- spiegeln in die Ferne gelockt. Die in der offnen Halle zer- streuten Figuren scheinen hauptsächlich da, um zur Anschauung der Tiefenverhältnisse des prächtigen Architekturbilds eine Hülfe zu geben. Nichts gleicht dem Zauber dieses offnen, sonnen- beschienenen Saals mit den roth und blauen Schachbrettflächen, der Palastflucht mit den Arkaden dahinter, den Säulenreihen um den Canal, den im Grund ein Thorbau abschliesst.
Von diesem Bild, bei dem Pacheco die Haare zu Berge ge- standen hätten, sagt jene Beschreibung, nachdem eben von der "Perle" Raphaels die Rede gewesen: "Es folge an zweiter Stelle, doch nicht als etwas geringeres, die Leinwand von Christi Fusswaschung seiner Jünger in der Nacht des Abendmahls. Sich selbst übertraf hier der grosse Jacopo Tintoretto! Es enthält die herrlichsten Motive (caprichos), und ist in Erfindung und Ausführung staunenswerth. Schwer überzeugt sich der Beschauer, dass es bloss Malerei ist. So gross ist die Kraft der Farbe und die Anordnung der Perspective, dass er glaubt, man könne da eintreten und herumgehn auf dem mit verschiedenfarbigen Platten belegten Boden, durch deren Verjüngung die räumliche Tiefe so gross erscheint; und dass zwischen den Gestalten die Luft cirkulire. Alle sind von der lebendigsten Angemessenheit an die ihnen gegebene Handlung. Der Tisch, die Stühle, ein Hund der da hingesetzt ist, sind Wahrheit, keine Malerei. Die Leichtig- keit und Eleganz (gala) mit der es gearbeitet ist, wird den ge- wandtesten Praktiker erschrecken, und um es mit einem Worte
In Venedig.
worbene Gemälde der Fusswaschung, welches noch jetzt im Ka- pitelsaal hängt. Diese Beschreibung des Theologen sieht aus wie vorgesagt von einem Maler, und der Pater hat auch in der Vor- rede bemerkt, dass er sich fachmännischer Hülfe bei seiner Ar- beit bediente. Velazquez hatte eben dieses und andre Gemälde dort neu aufgestellt.
Tintoretto’s Darstellung dieser rührenden, von einer Todes- ahnung eingegebenen Handlung Jesu wird heute wol Jedermann abstossend, fast frivol erscheinen. Es sieht aus als ob eine Gesell- schaft am heissen Sommertag, nach einem Gelage, sich ins Bad stürzen wolle und nicht schnell genug der Schuhe, Strümpfe, Hosen entledigen könne. Der Künstler, hingerissen von dem Gedanken eines blendenden Dekorationsstücks, hat mit den Mitteln einer alles- vermögenden Kunst auf die täuschendste und zugleich reizendste Art die Wandfläche geöffnet, das Auge durch eine schimmernde Perspective von Prachtbauten, auf Marmorflächen und Wasser- spiegeln in die Ferne gelockt. Die in der offnen Halle zer- streuten Figuren scheinen hauptsächlich da, um zur Anschauung der Tiefenverhältnisse des prächtigen Architekturbilds eine Hülfe zu geben. Nichts gleicht dem Zauber dieses offnen, sonnen- beschienenen Saals mit den roth und blauen Schachbrettflächen, der Palastflucht mit den Arkaden dahinter, den Säulenreihen um den Canal, den im Grund ein Thorbau abschliesst.
Von diesem Bild, bei dem Pacheco die Haare zu Berge ge- standen hätten, sagt jene Beschreibung, nachdem eben von der „Perle“ Raphaels die Rede gewesen: „Es folge an zweiter Stelle, doch nicht als etwas geringeres, die Leinwand von Christi Fusswaschung seiner Jünger in der Nacht des Abendmahls. Sich selbst übertraf hier der grosse Jacopo Tintoretto! Es enthält die herrlichsten Motive (caprichos), und ist in Erfindung und Ausführung staunenswerth. Schwer überzeugt sich der Beschauer, dass es bloss Malerei ist. So gross ist die Kraft der Farbe und die Anordnung der Perspective, dass er glaubt, man könne da eintreten und herumgehn auf dem mit verschiedenfarbigen Platten belegten Boden, durch deren Verjüngung die räumliche Tiefe so gross erscheint; und dass zwischen den Gestalten die Luft cirkulire. Alle sind von der lebendigsten Angemessenheit an die ihnen gegebene Handlung. Der Tisch, die Stühle, ein Hund der da hingesetzt ist, sind Wahrheit, keine Malerei. Die Leichtig- keit und Eleganz (gala) mit der es gearbeitet ist, wird den ge- wandtesten Praktiker erschrecken, und um es mit einem Worte
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In Venedig.
worbene Gemälde der Fusswaschung, welches noch jetzt im Ka-
pitelsaal hängt. Diese Beschreibung des Theologen sieht aus wie
vorgesagt von einem Maler, und der Pater hat auch in der Vor-
rede bemerkt, dass er sich fachmännischer Hülfe bei seiner Ar-
beit bediente. Velazquez hatte eben dieses und andre Gemälde
dort neu aufgestellt.
Tintoretto’s Darstellung dieser rührenden, von einer Todes-
ahnung eingegebenen Handlung Jesu wird heute wol Jedermann
abstossend, fast frivol erscheinen. Es sieht aus als ob eine Gesell-
schaft am heissen Sommertag, nach einem Gelage, sich ins Bad
stürzen wolle und nicht schnell genug der Schuhe, Strümpfe, Hosen
entledigen könne. Der Künstler, hingerissen von dem Gedanken
eines blendenden Dekorationsstücks, hat mit den Mitteln einer alles-
vermögenden Kunst auf die täuschendste und zugleich reizendste
Art die Wandfläche geöffnet, das Auge durch eine schimmernde
Perspective von Prachtbauten, auf Marmorflächen und Wasser-
spiegeln in die Ferne gelockt. Die in der offnen Halle zer-
streuten Figuren scheinen hauptsächlich da, um zur Anschauung
der Tiefenverhältnisse des prächtigen Architekturbilds eine
Hülfe zu geben. Nichts gleicht dem Zauber dieses offnen, sonnen-
beschienenen Saals mit den roth und blauen Schachbrettflächen,
der Palastflucht mit den Arkaden dahinter, den Säulenreihen
um den Canal, den im Grund ein Thorbau abschliesst.
Von diesem Bild, bei dem Pacheco die Haare zu Berge ge-
standen hätten, sagt jene Beschreibung, nachdem eben von der
„Perle“ Raphaels die Rede gewesen: „Es folge an zweiter Stelle,
doch nicht als etwas geringeres, die Leinwand von Christi
Fusswaschung seiner Jünger in der Nacht des Abendmahls. Sich
selbst übertraf hier der grosse Jacopo Tintoretto! Es enthält
die herrlichsten Motive (caprichos), und ist in Erfindung und
Ausführung staunenswerth. Schwer überzeugt sich der Beschauer,
dass es bloss Malerei ist. So gross ist die Kraft der Farbe und
die Anordnung der Perspective, dass er glaubt, man könne da
eintreten und herumgehn auf dem mit verschiedenfarbigen Platten
belegten Boden, durch deren Verjüngung die räumliche Tiefe
so gross erscheint; und dass zwischen den Gestalten die Luft
cirkulire. Alle sind von der lebendigsten Angemessenheit an die
ihnen gegebene Handlung. Der Tisch, die Stühle, ein Hund
der da hingesetzt ist, sind Wahrheit, keine Malerei. Die Leichtig-
keit und Eleganz (gala) mit der es gearbeitet ist, wird den ge-
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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