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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
und abgestiegen und hat seine endlosen Gänge durchmessen;
ein grosser Theil seiner Werke war für dortige Gemächer be-
stimmt und sein Atelier befand sich hier; er hat seine künstlerische
Ausstattung geleitet.

Der Wunsch in diesem längst untergegangenen Gebäude
etwas orientirt zu sein, wird sich also öfters aufdrängen. Und
da Niemand unter den Hunderten von Künstlern und Gelehrten,
die in ihm gelebt und verkehrt haben, auch nicht einmal nach
dem Brande des 24. November 1734 sich bemüssigt gesehen hat,
der Nachwelt ein Bild desselben zu erhalten, so wird der fol-
gende Versuch einer Beschreibung, gemacht mit Hülfe von In-
ventaren, Reisebeschreibungen und des Fragments eines alten
Grundrisses 1), wol für keine ganz undankbare Mühe gelten.

Es ist der Palast, in dessen nordwestlichem Thurm Franz I
gefangen gehalten wurde und den Besuch seines Besiegers em-
pfing, wo die Tragödie des D. Carlos sich abspielte und das
Testament des letzten Habsburgers unterzeichnet wurde, welches
den Thron dem Enkel Ludwig XIV überantwortete. Wenn das
von J. B. Sacchetti seit 1737 auf derselben Stelle und in der-
selben imposanten Lage am Westende der Stadt, neuerbaute
Bourbonenschloss durch Einheit des Plans und prunkvollen Stil
das alte übertrifft, so entbehrt es doch des nationalen Charak-
ters und ist arm an geschichtlichen Erinnerungen. Seit es dem
Museum die Gemäldeschätze abgegeben hat, gehört sein Inneres
nicht mehr zu den ersten Sehenswürdigkeiten der spanischen
Hauptstadt.

Die Gründung des Alcazar von Madrid verliert sich in die
Nacht der maurischen Zeiten. Seit den frühsten Tagen haben
die castilischen Könige gelegentlich in Madrid gehaust und im
Pardo gejagt, aber ihr Palast stand an der Stelle des von der
Prinzessin Juana, Tochter Carl V, zur Erinnerung an ihr Ge-
burtshaus gegründeten Klosters der Descalzas reales (königlichen
Barfüssernonnen). Der Alcazar war nur das Kastell oder die
feste Burg, im Westen durch den Abhang nach dem Mansa-
nares, an den übrigen Seiten durch Graben und Mauern ge-
schützt. Im Jahre 1109 hatte er dem marokkanischen Heer des
Almoraviden Tejufin widerstanden; der Name Campo del Moro
(Mohrenlager) war dem Garten unter dem westlichen Abhang

1) Die Mittheilung dieses Plans des piso principal um den zweiten Hof (des
Königs) verdanke ich der Güte des Sor. Guemes Willamez, Archivar des Palasts.

Zweites Buch.
und abgestiegen und hat seine endlosen Gänge durchmessen;
ein grosser Theil seiner Werke war für dortige Gemächer be-
stimmt und sein Atelier befand sich hier; er hat seine künstlerische
Ausstattung geleitet.

Der Wunsch in diesem längst untergegangenen Gebäude
etwas orientirt zu sein, wird sich also öfters aufdrängen. Und
da Niemand unter den Hunderten von Künstlern und Gelehrten,
die in ihm gelebt und verkehrt haben, auch nicht einmal nach
dem Brande des 24. November 1734 sich bemüssigt gesehen hat,
der Nachwelt ein Bild desselben zu erhalten, so wird der fol-
gende Versuch einer Beschreibung, gemacht mit Hülfe von In-
ventaren, Reisebeschreibungen und des Fragments eines alten
Grundrisses 1), wol für keine ganz undankbare Mühe gelten.

Es ist der Palast, in dessen nordwestlichem Thurm Franz I
gefangen gehalten wurde und den Besuch seines Besiegers em-
pfing, wo die Tragödie des D. Carlos sich abspielte und das
Testament des letzten Habsburgers unterzeichnet wurde, welches
den Thron dem Enkel Ludwig XIV überantwortete. Wenn das
von J. B. Sacchetti seit 1737 auf derselben Stelle und in der-
selben imposanten Lage am Westende der Stadt, neuerbaute
Bourbonenschloss durch Einheit des Plans und prunkvollen Stil
das alte übertrifft, so entbehrt es doch des nationalen Charak-
ters und ist arm an geschichtlichen Erinnerungen. Seit es dem
Museum die Gemäldeschätze abgegeben hat, gehört sein Inneres
nicht mehr zu den ersten Sehenswürdigkeiten der spanischen
Hauptstadt.

Die Gründung des Alcazar von Madrid verliert sich in die
Nacht der maurischen Zeiten. Seit den frühsten Tagen haben
die castilischen Könige gelegentlich in Madrid gehaust und im
Pardo gejagt, aber ihr Palast stand an der Stelle des von der
Prinzessin Juana, Tochter Carl V, zur Erinnerung an ihr Ge-
burtshaus gegründeten Klosters der Descalzas reales (königlichen
Barfüssernonnen). Der Alcazar war nur das Kastell oder die
feste Burg, im Westen durch den Abhang nach dem Mansa-
nares, an den übrigen Seiten durch Graben und Mauern ge-
schützt. Im Jahre 1109 hatte er dem marokkanischen Heer des
Almoraviden Tejufin widerstanden; der Name Campo del Moro
(Mohrenlager) war dem Garten unter dem westlichen Abhang

1) Die Mittheilung dieses Plans des piso principal um den zweiten Hof (des
Königs) verdanke ich der Güte des Sor. Guemes Willamez, Archivar des Palasts.
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[180/0200] Zweites Buch. und abgestiegen und hat seine endlosen Gänge durchmessen; ein grosser Theil seiner Werke war für dortige Gemächer be- stimmt und sein Atelier befand sich hier; er hat seine künstlerische Ausstattung geleitet. Der Wunsch in diesem längst untergegangenen Gebäude etwas orientirt zu sein, wird sich also öfters aufdrängen. Und da Niemand unter den Hunderten von Künstlern und Gelehrten, die in ihm gelebt und verkehrt haben, auch nicht einmal nach dem Brande des 24. November 1734 sich bemüssigt gesehen hat, der Nachwelt ein Bild desselben zu erhalten, so wird der fol- gende Versuch einer Beschreibung, gemacht mit Hülfe von In- ventaren, Reisebeschreibungen und des Fragments eines alten Grundrisses 1), wol für keine ganz undankbare Mühe gelten. Es ist der Palast, in dessen nordwestlichem Thurm Franz I gefangen gehalten wurde und den Besuch seines Besiegers em- pfing, wo die Tragödie des D. Carlos sich abspielte und das Testament des letzten Habsburgers unterzeichnet wurde, welches den Thron dem Enkel Ludwig XIV überantwortete. Wenn das von J. B. Sacchetti seit 1737 auf derselben Stelle und in der- selben imposanten Lage am Westende der Stadt, neuerbaute Bourbonenschloss durch Einheit des Plans und prunkvollen Stil das alte übertrifft, so entbehrt es doch des nationalen Charak- ters und ist arm an geschichtlichen Erinnerungen. Seit es dem Museum die Gemäldeschätze abgegeben hat, gehört sein Inneres nicht mehr zu den ersten Sehenswürdigkeiten der spanischen Hauptstadt. Die Gründung des Alcazar von Madrid verliert sich in die Nacht der maurischen Zeiten. Seit den frühsten Tagen haben die castilischen Könige gelegentlich in Madrid gehaust und im Pardo gejagt, aber ihr Palast stand an der Stelle des von der Prinzessin Juana, Tochter Carl V, zur Erinnerung an ihr Ge- burtshaus gegründeten Klosters der Descalzas reales (königlichen Barfüssernonnen). Der Alcazar war nur das Kastell oder die feste Burg, im Westen durch den Abhang nach dem Mansa- nares, an den übrigen Seiten durch Graben und Mauern ge- schützt. Im Jahre 1109 hatte er dem marokkanischen Heer des Almoraviden Tejufin widerstanden; der Name Campo del Moro (Mohrenlager) war dem Garten unter dem westlichen Abhang 1) Die Mittheilung dieses Plans des piso principal um den zweiten Hof (des Königs) verdanke ich der Güte des Sor. Guemes Willamez, Archivar des Palasts.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/200>, abgerufen am 28.11.2024.