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Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771.

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mit dem Alterthum des Erdcörpers.
achten sollen. Leider geschiehet diese Erhebung über
einander, diese Verachtung gegen einander, dennoch,
ob gleich alle Menschen nur einerley Stammältern
haben.

Die Natur hätte also ihre Absicht keinesweges er-
reichet, weshalb sie von allen Gesetzen und Reguln
ihrer großen Haushaltung abgegangen wäre; und kann
man sich wohl vorstellen, daß sie so viel Gefälligkeit
vor den Eigensinn und Eigenliebe der Menschen hät-
te haben können? Wahrhaftig! Gott und die Natur
hätten eine schwehre und ganz ohnmögliche Beschäffti-
gung auf sich geladen, wenn sie sich in der Weisheit,
Schönheit und Mannichfaltigkeit ihrer Werke, nach de-
nen eitlen, eigensinnigen und thörichten Wünschen der
Menschen hätten richten wollen.

Die meisten Völker des Erdbodens, nur die Ju-
den, und andere benachbarte Völker, die in Ansehung
der Sprache mit denenselben eine große Aehnlichkeit
gehabt, oder von ihren Büchern Kenntniß erlanget
haben, ausgenommen, haben ihren Uhrsprung und
Entstehung von dem Lande ihres Aufenthaltes herge-
leitet. Unsere alten teutschen Vorfahren selbst glaub-
ten, daß ihre Stammältern von der Erde ihres Lan-
des erzeuget worden wären, und nenneten sie deshalb
Söhne oder Kinder der Erden, wie uns Tacitus
davon Nachricht giebt. Jch bin weit entfernet, die-
ser Nachricht eine große Glaubwürdigkeit beyzulegen,
und auf dieselbe, als auf einen starken Grund, wich-
tige Schlüsse zu bauen. Allein, die sich selbst gelas-
sene Vernunft ohne Offenbahrung muß es allemahl

vor

mit dem Alterthum des Erdcoͤrpers.
achten ſollen. Leider geſchiehet dieſe Erhebung uͤber
einander, dieſe Verachtung gegen einander, dennoch,
ob gleich alle Menſchen nur einerley Stammaͤltern
haben.

Die Natur haͤtte alſo ihre Abſicht keinesweges er-
reichet, weshalb ſie von allen Geſetzen und Reguln
ihrer großen Haushaltung abgegangen waͤre; und kann
man ſich wohl vorſtellen, daß ſie ſo viel Gefaͤlligkeit
vor den Eigenſinn und Eigenliebe der Menſchen haͤt-
te haben koͤnnen? Wahrhaftig! Gott und die Natur
haͤtten eine ſchwehre und ganz ohnmoͤgliche Beſchaͤffti-
gung auf ſich geladen, wenn ſie ſich in der Weisheit,
Schoͤnheit und Mannichfaltigkeit ihrer Werke, nach de-
nen eitlen, eigenſinnigen und thoͤrichten Wuͤnſchen der
Menſchen haͤtten richten wollen.

Die meiſten Voͤlker des Erdbodens, nur die Ju-
den, und andere benachbarte Voͤlker, die in Anſehung
der Sprache mit denenſelben eine große Aehnlichkeit
gehabt, oder von ihren Buͤchern Kenntniß erlanget
haben, ausgenommen, haben ihren Uhrſprung und
Entſtehung von dem Lande ihres Aufenthaltes herge-
leitet. Unſere alten teutſchen Vorfahren ſelbſt glaub-
ten, daß ihre Stammaͤltern von der Erde ihres Lan-
des erzeuget worden waͤren, und nenneten ſie deshalb
Soͤhne oder Kinder der Erden, wie uns Tacitus
davon Nachricht giebt. Jch bin weit entfernet, die-
ſer Nachricht eine große Glaubwuͤrdigkeit beyzulegen,
und auf dieſelbe, als auf einen ſtarken Grund, wich-
tige Schluͤſſe zu bauen. Allein, die ſich ſelbſt gelaſ-
ſene Vernunft ohne Offenbahrung muß es allemahl

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[315/0343] mit dem Alterthum des Erdcoͤrpers. achten ſollen. Leider geſchiehet dieſe Erhebung uͤber einander, dieſe Verachtung gegen einander, dennoch, ob gleich alle Menſchen nur einerley Stammaͤltern haben. Die Natur haͤtte alſo ihre Abſicht keinesweges er- reichet, weshalb ſie von allen Geſetzen und Reguln ihrer großen Haushaltung abgegangen waͤre; und kann man ſich wohl vorſtellen, daß ſie ſo viel Gefaͤlligkeit vor den Eigenſinn und Eigenliebe der Menſchen haͤt- te haben koͤnnen? Wahrhaftig! Gott und die Natur haͤtten eine ſchwehre und ganz ohnmoͤgliche Beſchaͤffti- gung auf ſich geladen, wenn ſie ſich in der Weisheit, Schoͤnheit und Mannichfaltigkeit ihrer Werke, nach de- nen eitlen, eigenſinnigen und thoͤrichten Wuͤnſchen der Menſchen haͤtten richten wollen. Die meiſten Voͤlker des Erdbodens, nur die Ju- den, und andere benachbarte Voͤlker, die in Anſehung der Sprache mit denenſelben eine große Aehnlichkeit gehabt, oder von ihren Buͤchern Kenntniß erlanget haben, ausgenommen, haben ihren Uhrſprung und Entſtehung von dem Lande ihres Aufenthaltes herge- leitet. Unſere alten teutſchen Vorfahren ſelbſt glaub- ten, daß ihre Stammaͤltern von der Erde ihres Lan- des erzeuget worden waͤren, und nenneten ſie deshalb Soͤhne oder Kinder der Erden, wie uns Tacitus davon Nachricht giebt. Jch bin weit entfernet, die- ſer Nachricht eine große Glaubwuͤrdigkeit beyzulegen, und auf dieſelbe, als auf einen ſtarken Grund, wich- tige Schluͤſſe zu bauen. Allein, die ſich ſelbſt gelaſ- ſene Vernunft ohne Offenbahrung muß es allemahl vor

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Zitationshilfe: Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/343>, abgerufen am 09.05.2024.