Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

der Pole und Himmelsgegenden.
tung der römischen Monarchie unter Augusto erst fünf-
hundert Jahr verflossen? Gewiß, alle vernünftige
Menschen würden über ein solches Vorgeben mitleidig
lächeln, und dasselbe nicht einmahl einer Widerlegung
vor würdig halten.

Jch will gar nicht behaupten, daß die Zeitrech-
nung der Juden eben dergleichen Begegnung verdiene;
und vielleicht werde ich mich unten in etwas mehreres
einlassen, und dasjenige beybringen, was man ihrer
Zeitrechnung entgegensetzen kann. So viel kann ich
hier nicht unbemerkt lassen, daß diejenigen Schrift-
steller, aus welchen ihre canonischen Bücher bestehen,
niemahls den Vorsatz und Absicht gehabt haben, eine
Zeitrechnung von dem Umfange der Welt, oder ihrer
jetzigen Bewohnung zu entwerfen. Die Zeitrechnung,
die man aus diesen Schriften gezogen hat, ist bloß ein
Werk der Ausleger, wider welche sehr viele gegründete
Zweifel und Einwürfe gemacht werden können. Das
einzige, worauf diese Zeitrechnung sich mit scheinba-
ren Grunde steifen kann, sind die verschiedenen Ge-
schlechtsregister von Christo bis auf Adam. Allein,
zu geschweigen, daß so gar diese nicht vollkommen mit
einander übereinstimmen; so weis man auch, was man
vernünftiger Weise dergleichen Geschlechtsregistern, die
erst einige tausend Jahr hernach verfertiget worden, vor
Zuverläßigkeit beylegen kann, zumahl, wenn ein Volk
ohne gründliche Wissenschaften bloß die Eitelkeit hat,
sich einen ehrwürdigen Uhrsprung beyzulegen. Eben
diese Eitelkeit erzeugte bey denen Griechen die Begier-
de, daß sich ein jedes ansehnliches griechisches Ge-
schlecht von den Göttern ableitete. Und diese Begierde

und

der Pole und Himmelsgegenden.
tung der roͤmiſchen Monarchie unter Auguſto erſt fuͤnf-
hundert Jahr verfloſſen? Gewiß, alle vernuͤnftige
Menſchen wuͤrden uͤber ein ſolches Vorgeben mitleidig
laͤcheln, und daſſelbe nicht einmahl einer Widerlegung
vor wuͤrdig halten.

Jch will gar nicht behaupten, daß die Zeitrech-
nung der Juden eben dergleichen Begegnung verdiene;
und vielleicht werde ich mich unten in etwas mehreres
einlaſſen, und dasjenige beybringen, was man ihrer
Zeitrechnung entgegenſetzen kann. So viel kann ich
hier nicht unbemerkt laſſen, daß diejenigen Schrift-
ſteller, aus welchen ihre canoniſchen Buͤcher beſtehen,
niemahls den Vorſatz und Abſicht gehabt haben, eine
Zeitrechnung von dem Umfange der Welt, oder ihrer
jetzigen Bewohnung zu entwerfen. Die Zeitrechnung,
die man aus dieſen Schriften gezogen hat, iſt bloß ein
Werk der Ausleger, wider welche ſehr viele gegruͤndete
Zweifel und Einwuͤrfe gemacht werden koͤnnen. Das
einzige, worauf dieſe Zeitrechnung ſich mit ſcheinba-
ren Grunde ſteifen kann, ſind die verſchiedenen Ge-
ſchlechtsregiſter von Chriſto bis auf Adam. Allein,
zu geſchweigen, daß ſo gar dieſe nicht vollkommen mit
einander uͤbereinſtimmen; ſo weis man auch, was man
vernuͤnftiger Weiſe dergleichen Geſchlechtsregiſtern, die
erſt einige tauſend Jahr hernach verfertiget worden, vor
Zuverlaͤßigkeit beylegen kann, zumahl, wenn ein Volk
ohne gruͤndliche Wiſſenſchaften bloß die Eitelkeit hat,
ſich einen ehrwuͤrdigen Uhrſprung beyzulegen. Eben
dieſe Eitelkeit erzeugte bey denen Griechen die Begier-
de, daß ſich ein jedes anſehnliches griechiſches Ge-
ſchlecht von den Goͤttern ableitete. Und dieſe Begierde

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0219" n="191"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Pole und Himmelsgegenden.</hi></fw><lb/>
tung der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Monarchie unter <hi rendition="#fr">Augu&#x017F;to</hi> er&#x017F;t fu&#x0364;nf-<lb/>
hundert Jahr verflo&#x017F;&#x017F;en? Gewiß, alle vernu&#x0364;nftige<lb/>
Men&#x017F;chen wu&#x0364;rden u&#x0364;ber ein &#x017F;olches Vorgeben mitleidig<lb/>
la&#x0364;cheln, und da&#x017F;&#x017F;elbe nicht einmahl einer Widerlegung<lb/>
vor wu&#x0364;rdig halten.</p><lb/>
          <p>Jch will gar nicht behaupten, daß die Zeitrech-<lb/>
nung der Juden eben dergleichen Begegnung verdiene;<lb/>
und vielleicht werde ich mich unten in etwas mehreres<lb/>
einla&#x017F;&#x017F;en, und dasjenige beybringen, was man ihrer<lb/>
Zeitrechnung entgegen&#x017F;etzen kann. So viel kann ich<lb/>
hier nicht unbemerkt la&#x017F;&#x017F;en, daß diejenigen Schrift-<lb/>
&#x017F;teller, aus welchen ihre canoni&#x017F;chen Bu&#x0364;cher be&#x017F;tehen,<lb/>
niemahls den Vor&#x017F;atz und Ab&#x017F;icht gehabt haben, eine<lb/>
Zeitrechnung von dem Umfange der Welt, oder ihrer<lb/>
jetzigen Bewohnung zu entwerfen. Die Zeitrechnung,<lb/>
die man aus die&#x017F;en Schriften gezogen hat, i&#x017F;t bloß ein<lb/>
Werk der Ausleger, wider welche &#x017F;ehr viele gegru&#x0364;ndete<lb/>
Zweifel und Einwu&#x0364;rfe gemacht werden ko&#x0364;nnen. Das<lb/>
einzige, worauf die&#x017F;e Zeitrechnung &#x017F;ich mit &#x017F;cheinba-<lb/>
ren Grunde &#x017F;teifen kann, &#x017F;ind die ver&#x017F;chiedenen Ge-<lb/>
&#x017F;chlechtsregi&#x017F;ter von Chri&#x017F;to bis auf Adam. Allein,<lb/>
zu ge&#x017F;chweigen, daß &#x017F;o gar die&#x017F;e nicht vollkommen mit<lb/>
einander u&#x0364;berein&#x017F;timmen; &#x017F;o weis man auch, was man<lb/>
vernu&#x0364;nftiger Wei&#x017F;e dergleichen Ge&#x017F;chlechtsregi&#x017F;tern, die<lb/>
er&#x017F;t einige tau&#x017F;end Jahr hernach verfertiget worden, vor<lb/>
Zuverla&#x0364;ßigkeit beylegen kann, zumahl, wenn ein Volk<lb/>
ohne gru&#x0364;ndliche Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften bloß die Eitelkeit hat,<lb/>
&#x017F;ich einen ehrwu&#x0364;rdigen Uhr&#x017F;prung beyzulegen. Eben<lb/>
die&#x017F;e Eitelkeit erzeugte bey denen Griechen die Begier-<lb/>
de, daß &#x017F;ich ein jedes an&#x017F;ehnliches griechi&#x017F;ches Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht von den Go&#x0364;ttern ableitete. Und die&#x017F;e Begierde<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0219] der Pole und Himmelsgegenden. tung der roͤmiſchen Monarchie unter Auguſto erſt fuͤnf- hundert Jahr verfloſſen? Gewiß, alle vernuͤnftige Menſchen wuͤrden uͤber ein ſolches Vorgeben mitleidig laͤcheln, und daſſelbe nicht einmahl einer Widerlegung vor wuͤrdig halten. Jch will gar nicht behaupten, daß die Zeitrech- nung der Juden eben dergleichen Begegnung verdiene; und vielleicht werde ich mich unten in etwas mehreres einlaſſen, und dasjenige beybringen, was man ihrer Zeitrechnung entgegenſetzen kann. So viel kann ich hier nicht unbemerkt laſſen, daß diejenigen Schrift- ſteller, aus welchen ihre canoniſchen Buͤcher beſtehen, niemahls den Vorſatz und Abſicht gehabt haben, eine Zeitrechnung von dem Umfange der Welt, oder ihrer jetzigen Bewohnung zu entwerfen. Die Zeitrechnung, die man aus dieſen Schriften gezogen hat, iſt bloß ein Werk der Ausleger, wider welche ſehr viele gegruͤndete Zweifel und Einwuͤrfe gemacht werden koͤnnen. Das einzige, worauf dieſe Zeitrechnung ſich mit ſcheinba- ren Grunde ſteifen kann, ſind die verſchiedenen Ge- ſchlechtsregiſter von Chriſto bis auf Adam. Allein, zu geſchweigen, daß ſo gar dieſe nicht vollkommen mit einander uͤbereinſtimmen; ſo weis man auch, was man vernuͤnftiger Weiſe dergleichen Geſchlechtsregiſtern, die erſt einige tauſend Jahr hernach verfertiget worden, vor Zuverlaͤßigkeit beylegen kann, zumahl, wenn ein Volk ohne gruͤndliche Wiſſenſchaften bloß die Eitelkeit hat, ſich einen ehrwuͤrdigen Uhrſprung beyzulegen. Eben dieſe Eitelkeit erzeugte bey denen Griechen die Begier- de, daß ſich ein jedes anſehnliches griechiſches Ge- ſchlecht von den Goͤttern ableitete. Und dieſe Begierde und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/219
Zitationshilfe: Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/219>, abgerufen am 05.05.2024.