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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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daß der Junge herzlich verdrüßlich werden mußte, als er Mar-
garethens
und Mariechens Absichten zu begreifen anfing.

Ich weiß nicht, Ebert, sagte Margarethe, indem sie
ihre linke Hand auf seine Schultern legte, du fängst mir so
an, zu verfallen. Spürst du nichts in deiner Natur.

"Man wird als alle Tage älter, Margarethe."

O Herr ja! Ja freilich, alt und steif.

Ja wohl, versetzte Mariechen und seufzte.

Mein Großvater ist noch recht stark für sein Alter, sagte
Heinrich.

"Ja wohl, Junge, antwortete der Alte. Ich wollte noch
wohl in die Wette mit dir die Leiter 'nauf laufen."

Heinrich lachte laut. Margarethe sah wohl, daß sie
auf dieser Seite die Vestung nicht überrumpeln würde; da-
her suchte sie einen andern Weg.

Ach ja, sagte sie, es ist eine besondere Gnade, so gesund
in seinem Alter zu seyn; du bist, glaub' ich, nie in deinem Le-
ben krank gewesen, Ebert?

"In meinem Leben nicht, ich weiß nicht, was Krankheit
ist; denn an den Pocken und Rötheln bin ich herumgegangen."

Ich glaub doch, Vater! versetzte Mariechen, ihr seyd
wohl verschiedene Male vom Fallen krank gewesen: denn ihr
habt uns wohl erzählet, daß ihr oft gefährlich gefallen seyd.

"Ja, ich bin dreimal tödtlich gefallen."

Und das viertemal, fuhr Margarethe fort, wirst du dich
todt fallen, mir ahnt es. Du hast letzthin im Wald das Ge-
sicht gesehen; und eine Nachbarin hat mich kürzlich gewarnt
und gebeten, dich nicht auf's Dach zu lassen; denn sie sagte,
sie hätte des Abends, wie sie die Küh gemolken, ein Poltern
und klägliches Jammern neben unserem Hause im Weg ge-
hört. Ich bitte dich, Ebert! thu' mir den Gefallen, und laß
Jemand anders das Haus decken, du hast's ja nicht nöthig.

"Margarethe! -- kann ich, oder Jemand anders denn
nicht in der Straße ein ander Unglück bekommen? Ich hab'
das Gesicht gesehen, ja, das ist wahr! -- unsere Nachbarin
kann auch diese Vorgeschichte gehört haben. Ist dieses gewiß,
wird dann derjenige dem entlaufen, was Gott über ihn be-

daß der Junge herzlich verdruͤßlich werden mußte, als er Mar-
garethens
und Mariechens Abſichten zu begreifen anfing.

Ich weiß nicht, Ebert, ſagte Margarethe, indem ſie
ihre linke Hand auf ſeine Schultern legte, du faͤngſt mir ſo
an, zu verfallen. Spuͤrſt du nichts in deiner Natur.

„Man wird als alle Tage aͤlter, Margarethe.“

O Herr ja! Ja freilich, alt und ſteif.

Ja wohl, verſetzte Mariechen und ſeufzte.

Mein Großvater iſt noch recht ſtark fuͤr ſein Alter, ſagte
Heinrich.

„Ja wohl, Junge, antwortete der Alte. Ich wollte noch
wohl in die Wette mit dir die Leiter ’nauf laufen.“

Heinrich lachte laut. Margarethe ſah wohl, daß ſie
auf dieſer Seite die Veſtung nicht uͤberrumpeln wuͤrde; da-
her ſuchte ſie einen andern Weg.

Ach ja, ſagte ſie, es iſt eine beſondere Gnade, ſo geſund
in ſeinem Alter zu ſeyn; du biſt, glaub’ ich, nie in deinem Le-
ben krank geweſen, Ebert?

„In meinem Leben nicht, ich weiß nicht, was Krankheit
iſt; denn an den Pocken und Roͤtheln bin ich herumgegangen.“

Ich glaub doch, Vater! verſetzte Mariechen, ihr ſeyd
wohl verſchiedene Male vom Fallen krank geweſen: denn ihr
habt uns wohl erzaͤhlet, daß ihr oft gefaͤhrlich gefallen ſeyd.

„Ja, ich bin dreimal toͤdtlich gefallen.“

Und das viertemal, fuhr Margarethe fort, wirſt du dich
todt fallen, mir ahnt es. Du haſt letzthin im Wald das Ge-
ſicht geſehen; und eine Nachbarin hat mich kuͤrzlich gewarnt
und gebeten, dich nicht auf’s Dach zu laſſen; denn ſie ſagte,
ſie haͤtte des Abends, wie ſie die Kuͤh gemolken, ein Poltern
und klaͤgliches Jammern neben unſerem Hauſe im Weg ge-
hoͤrt. Ich bitte dich, Ebert! thu’ mir den Gefallen, und laß
Jemand anders das Haus decken, du haſt’s ja nicht noͤthig.

Margarethe! — kann ich, oder Jemand anders denn
nicht in der Straße ein ander Ungluͤck bekommen? Ich hab’
das Geſicht geſehen, ja, das iſt wahr! — unſere Nachbarin
kann auch dieſe Vorgeſchichte gehoͤrt haben. Iſt dieſes gewiß,
wird dann derjenige dem entlaufen, was Gott uͤber ihn be-

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[91/0099] daß der Junge herzlich verdruͤßlich werden mußte, als er Mar- garethens und Mariechens Abſichten zu begreifen anfing. Ich weiß nicht, Ebert, ſagte Margarethe, indem ſie ihre linke Hand auf ſeine Schultern legte, du faͤngſt mir ſo an, zu verfallen. Spuͤrſt du nichts in deiner Natur. „Man wird als alle Tage aͤlter, Margarethe.“ O Herr ja! Ja freilich, alt und ſteif. Ja wohl, verſetzte Mariechen und ſeufzte. Mein Großvater iſt noch recht ſtark fuͤr ſein Alter, ſagte Heinrich. „Ja wohl, Junge, antwortete der Alte. Ich wollte noch wohl in die Wette mit dir die Leiter ’nauf laufen.“ Heinrich lachte laut. Margarethe ſah wohl, daß ſie auf dieſer Seite die Veſtung nicht uͤberrumpeln wuͤrde; da- her ſuchte ſie einen andern Weg. Ach ja, ſagte ſie, es iſt eine beſondere Gnade, ſo geſund in ſeinem Alter zu ſeyn; du biſt, glaub’ ich, nie in deinem Le- ben krank geweſen, Ebert? „In meinem Leben nicht, ich weiß nicht, was Krankheit iſt; denn an den Pocken und Roͤtheln bin ich herumgegangen.“ Ich glaub doch, Vater! verſetzte Mariechen, ihr ſeyd wohl verſchiedene Male vom Fallen krank geweſen: denn ihr habt uns wohl erzaͤhlet, daß ihr oft gefaͤhrlich gefallen ſeyd. „Ja, ich bin dreimal toͤdtlich gefallen.“ Und das viertemal, fuhr Margarethe fort, wirſt du dich todt fallen, mir ahnt es. Du haſt letzthin im Wald das Ge- ſicht geſehen; und eine Nachbarin hat mich kuͤrzlich gewarnt und gebeten, dich nicht auf’s Dach zu laſſen; denn ſie ſagte, ſie haͤtte des Abends, wie ſie die Kuͤh gemolken, ein Poltern und klaͤgliches Jammern neben unſerem Hauſe im Weg ge- hoͤrt. Ich bitte dich, Ebert! thu’ mir den Gefallen, und laß Jemand anders das Haus decken, du haſt’s ja nicht noͤthig. „Margarethe! — kann ich, oder Jemand anders denn nicht in der Straße ein ander Ungluͤck bekommen? Ich hab’ das Geſicht geſehen, ja, das iſt wahr! — unſere Nachbarin kann auch dieſe Vorgeſchichte gehoͤrt haben. Iſt dieſes gewiß, wird dann derjenige dem entlaufen, was Gott uͤber ihn be-

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/99>, abgerufen am 24.11.2024.