sie kamen aber nicht, sondern ritten fort. Die Fuhrleute spannten mit Tagesanbruch wieder an, und fuhren weiter; ein Jeder trug seine geladene Flinte und seinen Degen, denn sie waren nicht sicher. Des Vormittags sahen sie aus einem Wald einige Reiter wieder auf sie zureiten. Stilling fuhr zuförderst, und die Andern alle hinter ihm her. Dann rief er: Ein Je- der hinter seinen Karren, und den Hahnen gespannt! Die Reiter hielten stille; der vornehmste unter ihnen ritt allein auf sie zu, ohne Gewehr, und rief: Schirrmeister, hervor! Mein Großvater trat hervor, die Flinte in der Hand und den De- gen unterem Arm. Wir kommen als Freunde! rief der Rei- ter. Heinrich traute nicht und stand da. Der Reiter stieg ab, bot ihm die Hand und fragte: Seyd ihr verwichene Nacht von Räubern angegriffen worden? Ja, antwortete mein Groß- vater, nicht weit von Hirschfeld auf einer Wiese. Recht so, antwortete der Reiter, wir haben sie verfolgt, und kamen eben bei der Wiese an, wie sie fortjagten und ihr Einigen das Licht ausgeblasen hattet; ihr seyd wackere Leute. Stilling fragte, wer er wäre? der Reiter antwortete: Ich bin der Graf von Wittgenstein, ich will euch zehn Reiter zum Geleit mit- geben, denn ich habe noch Mannschaft genug dort hinten im Wald bei mir. Stilling nahm's an, und accordirte mit dem Grafen, wie viel er ihm jährlich geben sollte, wenn er ihn immer durchs Hessische geleitete. Der Graf gelobt's ihm, und die Fuhrleute fuhren nach Hause. Dieser mein Großvater hatte im zwei und zwanzigsten Jahr geheirathet, und im 24sten, nehmlich 1620, bekam er einen Sohn, Hans Stilling, dieser war mein Vater. Er lebte ruhig, wartete seines Acker- baues und diente Gott. Er hatte den ganzen dreißigjährigen Krieg erlebt, und war öfters in die äußerste Armuth gerathen. Er hat zehn Kinder erzeugt, unter welchen ich der jüngste bin. Ich wurde 1680 geboren, eben da mein Vater 60 Jahr alt war. Ich habe, Gott sey Dank! Ruhe genossen und mein Gut wiederum von allen Schulden befreiet. Mein Vater starb 1724, im 104ten Jahr seines Alters: ich hab' ihn wie ein Kind verpflegen müssen, und liegt zu Florenburg bei seinen Vor- eltern begraben.
ſie kamen aber nicht, ſondern ritten fort. Die Fuhrleute ſpannten mit Tagesanbruch wieder an, und fuhren weiter; ein Jeder trug ſeine geladene Flinte und ſeinen Degen, denn ſie waren nicht ſicher. Des Vormittags ſahen ſie aus einem Wald einige Reiter wieder auf ſie zureiten. Stilling fuhr zufoͤrderſt, und die Andern alle hinter ihm her. Dann rief er: Ein Je- der hinter ſeinen Karren, und den Hahnen geſpannt! Die Reiter hielten ſtille; der vornehmſte unter ihnen ritt allein auf ſie zu, ohne Gewehr, und rief: Schirrmeiſter, hervor! Mein Großvater trat hervor, die Flinte in der Hand und den De- gen unterem Arm. Wir kommen als Freunde! rief der Rei- ter. Heinrich traute nicht und ſtand da. Der Reiter ſtieg ab, bot ihm die Hand und fragte: Seyd ihr verwichene Nacht von Raͤubern angegriffen worden? Ja, antwortete mein Groß- vater, nicht weit von Hirſchfeld auf einer Wieſe. Recht ſo, antwortete der Reiter, wir haben ſie verfolgt, und kamen eben bei der Wieſe an, wie ſie fortjagten und ihr Einigen das Licht ausgeblaſen hattet; ihr ſeyd wackere Leute. Stilling fragte, wer er waͤre? der Reiter antwortete: Ich bin der Graf von Wittgenſtein, ich will euch zehn Reiter zum Geleit mit- geben, denn ich habe noch Mannſchaft genug dort hinten im Wald bei mir. Stilling nahm’s an, und accordirte mit dem Grafen, wie viel er ihm jaͤhrlich geben ſollte, wenn er ihn immer durchs Heſſiſche geleitete. Der Graf gelobt’s ihm, und die Fuhrleute fuhren nach Hauſe. Dieſer mein Großvater hatte im zwei und zwanzigſten Jahr geheirathet, und im 24ſten, nehmlich 1620, bekam er einen Sohn, Hans Stilling, dieſer war mein Vater. Er lebte ruhig, wartete ſeines Acker- baues und diente Gott. Er hatte den ganzen dreißigjaͤhrigen Krieg erlebt, und war oͤfters in die aͤußerſte Armuth gerathen. Er hat zehn Kinder erzeugt, unter welchen ich der juͤngſte bin. Ich wurde 1680 geboren, eben da mein Vater 60 Jahr alt war. Ich habe, Gott ſey Dank! Ruhe genoſſen und mein Gut wiederum von allen Schulden befreiet. Mein Vater ſtarb 1724, im 104ten Jahr ſeines Alters: ich hab’ ihn wie ein Kind verpflegen muͤſſen, und liegt zu Florenburg bei ſeinen Vor- eltern begraben.
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ſie kamen aber nicht, ſondern ritten fort. Die Fuhrleute ſpannten
mit Tagesanbruch wieder an, und fuhren weiter; ein Jeder trug
ſeine geladene Flinte und ſeinen Degen, denn ſie waren nicht
ſicher. Des Vormittags ſahen ſie aus einem Wald einige
Reiter wieder auf ſie zureiten. Stilling fuhr zufoͤrderſt,
und die Andern alle hinter ihm her. Dann rief er: Ein Je-
der hinter ſeinen Karren, und den Hahnen geſpannt! Die
Reiter hielten ſtille; der vornehmſte unter ihnen ritt allein auf
ſie zu, ohne Gewehr, und rief: Schirrmeiſter, hervor! Mein
Großvater trat hervor, die Flinte in der Hand und den De-
gen unterem Arm. Wir kommen als Freunde! rief der Rei-
ter. Heinrich traute nicht und ſtand da. Der Reiter ſtieg
ab, bot ihm die Hand und fragte: Seyd ihr verwichene Nacht
von Raͤubern angegriffen worden? Ja, antwortete mein Groß-
vater, nicht weit von Hirſchfeld auf einer Wieſe. Recht ſo,
antwortete der Reiter, wir haben ſie verfolgt, und kamen eben
bei der Wieſe an, wie ſie fortjagten und ihr Einigen das Licht
ausgeblaſen hattet; ihr ſeyd wackere Leute. Stilling fragte,
wer er waͤre? der Reiter antwortete: Ich bin der Graf von
Wittgenſtein, ich will euch zehn Reiter zum Geleit mit-
geben, denn ich habe noch Mannſchaft genug dort hinten im
Wald bei mir. Stilling nahm’s an, und accordirte mit
dem Grafen, wie viel er ihm jaͤhrlich geben ſollte, wenn er ihn
immer durchs Heſſiſche geleitete. Der Graf gelobt’s ihm,
und die Fuhrleute fuhren nach Hauſe. Dieſer mein Großvater
hatte im zwei und zwanzigſten Jahr geheirathet, und im 24ſten,
nehmlich 1620, bekam er einen Sohn, Hans Stilling,
dieſer war mein Vater. Er lebte ruhig, wartete ſeines Acker-
baues und diente Gott. Er hatte den ganzen dreißigjaͤhrigen
Krieg erlebt, und war oͤfters in die aͤußerſte Armuth gerathen.
Er hat zehn Kinder erzeugt, unter welchen ich der juͤngſte bin.
Ich wurde 1680 geboren, eben da mein Vater 60 Jahr alt
war. Ich habe, Gott ſey Dank! Ruhe genoſſen und mein
Gut wiederum von allen Schulden befreiet. Mein Vater ſtarb
1724, im 104ten Jahr ſeines Alters: ich hab’ ihn wie ein
Kind verpflegen muͤſſen, und liegt zu Florenburg bei ſeinen Vor-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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