daß wir durch Einen Blick auf Ihn muthig werden, und hof- fen der Gnade, die über uns waltet, zur größeren Einfalt des Herzens, mit der man überall durchkommt: so hat er auch, sag' ich, sein Kreuz hin in die Nacht des Todes geflanzt, wo die Sonne untergeht und der Mond sein Licht verliert, daß wir da hinaufblicken, und ein "Gedenke mein!" in demüthi- ger Hoffnung rufen. So werden wir durch sein Verdienst selig, wenn Ihr wollt; denn er hat sich die Freiheit der Seinen vom ewigen Tod scharf und sauer genug verdient, und so werden wir durch den Glauben selig, denn der Glaube ist Seligkeit. Laßt Euch indessen das alles nicht anfechten, und seyd im Kleinen treu, sonst werdet Ihr im Großen nichts ausrichten. Ich will Euch ein paar Blätter hier lassen, die aus dem franzö- sischen des Erzbischofs Fenelon übersetzt sind; sie handeln von der Treue in kleinen Dingen; auch will ich Euch die Nachfolge Christi des Thomas von Kempis mit- bringen, ihr könnt da weiter Nachricht bekommen.
Ich kann nicht eigentlich sagen, ob Wilhelm aus wah- rer Ueberführung diese Lehre angenommen, oder ob der Zustand seines Herzens so beschaffen gewesen, daß er ihre Schönheit empfunden, ohne ihre Wahrheit zu untersuchen. Gewiß, wenn ich mit kaltem Blut den Vortrag dieses Niclasens durch- denke, so find' ich, daß ich nicht alles reimen kann, aber im Ganzen ists doch herrlich und gut.
Wilhelm kaufte von Niclasen einige Ellen Stoff, ohne sie nöthig zu haben, und da nahm der gute Prediger sein Bündel auf den Nacken und ging, doch mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen; und gewiß wird Niclas den ganzen Giller durch Gott recht herzlich für die Bekehrung Wilhelms gedankt haben. Dieser nun fand eine tiefe, unwiderstehliche Neigung in seiner Seele, die ganze Welt daran zu geben und mit seinem Kinde oben im Hause auf einer Kammer allein zu wohnen. Seine Schwester Elisabeth wurde an einen Lein- weber Simon an seine Stelle ins Haus verheirathet, er aber bezog seine Kammer, schaffte sich einige Bücher an, die ihm von Niclas vorgeschlagen wurden, und so verlebte er daselbst mit seinem Knaben viele Jahre.
Stilling's Schriften. I. Bd. 5
daß wir durch Einen Blick auf Ihn muthig werden, und hof- fen der Gnade, die uͤber uns waltet, zur groͤßeren Einfalt des Herzens, mit der man uͤberall durchkommt: ſo hat er auch, ſag’ ich, ſein Kreuz hin in die Nacht des Todes geflanzt, wo die Sonne untergeht und der Mond ſein Licht verliert, daß wir da hinaufblicken, und ein „Gedenke mein!“ in demuͤthi- ger Hoffnung rufen. So werden wir durch ſein Verdienſt ſelig, wenn Ihr wollt; denn er hat ſich die Freiheit der Seinen vom ewigen Tod ſcharf und ſauer genug verdient, und ſo werden wir durch den Glauben ſelig, denn der Glaube iſt Seligkeit. Laßt Euch indeſſen das alles nicht anfechten, und ſeyd im Kleinen treu, ſonſt werdet Ihr im Großen nichts ausrichten. Ich will Euch ein paar Blaͤtter hier laſſen, die aus dem franzoͤ- ſiſchen des Erzbiſchofs Fenelon uͤberſetzt ſind; ſie handeln von der Treue in kleinen Dingen; auch will ich Euch die Nachfolge Chriſti des Thomas von Kempis mit- bringen, ihr koͤnnt da weiter Nachricht bekommen.
Ich kann nicht eigentlich ſagen, ob Wilhelm aus wah- rer Ueberfuͤhrung dieſe Lehre angenommen, oder ob der Zuſtand ſeines Herzens ſo beſchaffen geweſen, daß er ihre Schoͤnheit empfunden, ohne ihre Wahrheit zu unterſuchen. Gewiß, wenn ich mit kaltem Blut den Vortrag dieſes Niclaſens durch- denke, ſo find’ ich, daß ich nicht alles reimen kann, aber im Ganzen iſts doch herrlich und gut.
Wilhelm kaufte von Niclaſen einige Ellen Stoff, ohne ſie noͤthig zu haben, und da nahm der gute Prediger ſein Buͤndel auf den Nacken und ging, doch mit dem Verſprechen, bald wieder zu kommen; und gewiß wird Niclas den ganzen Giller durch Gott recht herzlich fuͤr die Bekehrung Wilhelms gedankt haben. Dieſer nun fand eine tiefe, unwiderſtehliche Neigung in ſeiner Seele, die ganze Welt daran zu geben und mit ſeinem Kinde oben im Hauſe auf einer Kammer allein zu wohnen. Seine Schweſter Eliſabeth wurde an einen Lein- weber Simon an ſeine Stelle ins Haus verheirathet, er aber bezog ſeine Kammer, ſchaffte ſich einige Buͤcher an, die ihm von Niclas vorgeſchlagen wurden, und ſo verlebte er daſelbſt mit ſeinem Knaben viele Jahre.
Stilling’s Schriften. I. Bd. 5
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Herzens, mit der man uͤberall durchkommt: ſo hat er auch,
ſag’ ich, ſein Kreuz hin in die Nacht des Todes geflanzt, wo
die Sonne untergeht und der Mond ſein Licht verliert, daß
wir da hinaufblicken, und ein „Gedenke mein!“ in demuͤthi-
ger Hoffnung rufen. So werden wir durch ſein Verdienſt ſelig,
wenn Ihr wollt; denn er hat ſich die Freiheit der Seinen vom
ewigen Tod ſcharf und ſauer genug verdient, und ſo werden
wir durch den Glauben ſelig, denn der Glaube iſt Seligkeit.
Laßt Euch indeſſen das alles nicht anfechten, und ſeyd im
Kleinen treu, ſonſt werdet Ihr im Großen nichts ausrichten.
Ich will Euch ein paar Blaͤtter hier laſſen, die aus dem franzoͤ-
ſiſchen des Erzbiſchofs Fenelon uͤberſetzt ſind; ſie handeln
von der Treue in kleinen Dingen; auch will ich Euch
die Nachfolge Chriſti des Thomas von Kempis mit-
bringen, ihr koͤnnt da weiter Nachricht bekommen.
Ich kann nicht eigentlich ſagen, ob Wilhelm aus wah-
rer Ueberfuͤhrung dieſe Lehre angenommen, oder ob der Zuſtand
ſeines Herzens ſo beſchaffen geweſen, daß er ihre Schoͤnheit
empfunden, ohne ihre Wahrheit zu unterſuchen. Gewiß, wenn
ich mit kaltem Blut den Vortrag dieſes Niclaſens durch-
denke, ſo find’ ich, daß ich nicht alles reimen kann, aber im
Ganzen iſts doch herrlich und gut.
Wilhelm kaufte von Niclaſen einige Ellen Stoff,
ohne ſie noͤthig zu haben, und da nahm der gute Prediger ſein
Buͤndel auf den Nacken und ging, doch mit dem Verſprechen,
bald wieder zu kommen; und gewiß wird Niclas den ganzen
Giller durch Gott recht herzlich fuͤr die Bekehrung Wilhelms
gedankt haben. Dieſer nun fand eine tiefe, unwiderſtehliche
Neigung in ſeiner Seele, die ganze Welt daran zu geben und
mit ſeinem Kinde oben im Hauſe auf einer Kammer allein zu
wohnen. Seine Schweſter Eliſabeth wurde an einen Lein-
weber Simon an ſeine Stelle ins Haus verheirathet, er aber
bezog ſeine Kammer, ſchaffte ſich einige Buͤcher an, die ihm
von Niclas vorgeſchlagen wurden, und ſo verlebte er daſelbſt
mit ſeinem Knaben viele Jahre.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/73>, abgerufen am 28.11.2024.
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