nochmals zu sehen, sein ältester Sohn von Rastadt an, den er wegen des Paroxismus nicht gleich empfangen konnte, aber dem er nachher zurief: "Jetzt kannst du kommen!" Und als derselbe von der Vollendung der verklärten Mutter redete, erwie- derte er: "Ja siehe, davon kann man nicht so reden; sie hat "ausgelitten; und ich muß entweder noch fortwirken oder fort- "leiden!" Von einem Freunde, welcher Tags zuvor ihn noch sahe, redete er mit vieler Ehrfurcht und Liebe, und sagte: "Ich "habe öfters Gelegenheit gehabt, ihn zu sehen; da hab ich viel "von theosophischen Gegenständen, deren ganzes Reich er durch- "forscht hat, mit ihm gesprochen, und da lernte ich sein Herz kennen!"
Später sagte ich ihm, diese Maiblümchen (die auf seinem Tischchen standen) sind doch gar zu schön; worauf er in seinem muntern Sinne erwiederte: "Mir ist nichts zu schön;" und als seine zweite Tochter darnach zu ihm sagte: Ja, L. V. Sie werden bald noch ganz andere Schönheiten zu sehen kriegen! entgegnete er: "Das kann man nicht wissen, nur fühlen!" Weiterhin sprach er: "Ich habe Euch alle so lieb, und doch "wird mir die Trennung so leicht!" Als ihm sein ältester Sohn erwiederte: Das macht, weil Sie den Herrn so lieb haben, antwortete er: "Ja, das ist es!" Zu demselben sagte er später: "In deinem Glauben bleibe, der hat mich nie irre ge- "führt, der wird auch dich treu leiten; und da wollen wir Alle "anhalten!" Dann sagte er: "Bleibt nur in der Liebe, Ihr "lieben Engel!" Und als ihm seine dritte Tochter entgegnete: Sie sind unser Engel, L. V., antwortete er: "Wir wollen es "uns gegenseitig seyn!" Während dem nahte die Nachtzeit, und er legte sich mehrmals, um zu schlafen; -- überhaupt war sein ganzes Wesen ruhig. Sobald er erwachte und Veranlassung und Kraft zum Reden fand, that er es. -- So sagte er ein- mal: "Wenn unser Erlöser das nur zu trinken gehabt hätte, "was ich habe, dann wäre es noch gut für ihn gewesen: aber "da haben sie ihm Essig gegeben, die Zunge herausgestreckt, ihn "verhöhnt, und er sprach: Vater! verzeih ihnen, sie wissen "nicht, was sie thun; das war das größte Gebet, was je aus- "gesprochen worden." Und darauf betete er: "Vater, wenn "es dein heiliger Wille ist, daß ich noch ferner hier bleibe, so
nochmals zu ſehen, ſein aͤlteſter Sohn von Raſtadt an, den er wegen des Paroxismus nicht gleich empfangen konnte, aber dem er nachher zurief: „Jetzt kannſt du kommen!“ Und als derſelbe von der Vollendung der verklaͤrten Mutter redete, erwie- derte er: „Ja ſiehe, davon kann man nicht ſo reden; ſie hat „ausgelitten; und ich muß entweder noch fortwirken oder fort- „leiden!“ Von einem Freunde, welcher Tags zuvor ihn noch ſahe, redete er mit vieler Ehrfurcht und Liebe, und ſagte: „Ich „habe oͤfters Gelegenheit gehabt, ihn zu ſehen; da hab ich viel „von theoſophiſchen Gegenſtaͤnden, deren ganzes Reich er durch- „forſcht hat, mit ihm geſprochen, und da lernte ich ſein Herz kennen!“
Spaͤter ſagte ich ihm, dieſe Maibluͤmchen (die auf ſeinem Tiſchchen ſtanden) ſind doch gar zu ſchoͤn; worauf er in ſeinem muntern Sinne erwiederte: „Mir iſt nichts zu ſchoͤn;“ und als ſeine zweite Tochter darnach zu ihm ſagte: Ja, L. V. Sie werden bald noch ganz andere Schoͤnheiten zu ſehen kriegen! entgegnete er: „Das kann man nicht wiſſen, nur fuͤhlen!“ Weiterhin ſprach er: „Ich habe Euch alle ſo lieb, und doch „wird mir die Trennung ſo leicht!“ Als ihm ſein aͤlteſter Sohn erwiederte: Das macht, weil Sie den Herrn ſo lieb haben, antwortete er: „Ja, das iſt es!“ Zu demſelben ſagte er ſpaͤter: „In deinem Glauben bleibe, der hat mich nie irre ge- „fuͤhrt, der wird auch dich treu leiten; und da wollen wir Alle „anhalten!“ Dann ſagte er: „Bleibt nur in der Liebe, Ihr „lieben Engel!“ Und als ihm ſeine dritte Tochter entgegnete: Sie ſind unſer Engel, L. V., antwortete er: „Wir wollen es „uns gegenſeitig ſeyn!“ Waͤhrend dem nahte die Nachtzeit, und er legte ſich mehrmals, um zu ſchlafen; — uͤberhaupt war ſein ganzes Weſen ruhig. Sobald er erwachte und Veranlaſſung und Kraft zum Reden fand, that er es. — So ſagte er ein- mal: „Wenn unſer Erloͤſer das nur zu trinken gehabt haͤtte, „was ich habe, dann waͤre es noch gut fuͤr ihn geweſen: aber „da haben ſie ihm Eſſig gegeben, die Zunge herausgeſtreckt, ihn „verhoͤhnt, und er ſprach: Vater! verzeih ihnen, ſie wiſſen „nicht, was ſie thun; das war das groͤßte Gebet, was je aus- „geſprochen worden.“ Und darauf betete er: „Vater, wenn „es dein heiliger Wille iſt, daß ich noch ferner hier bleibe, ſo
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nochmals zu ſehen, ſein aͤlteſter Sohn von Raſtadt an, den er
wegen des Paroxismus nicht gleich empfangen konnte, aber dem
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derſelbe von der Vollendung der verklaͤrten Mutter redete, erwie-
derte er: „Ja ſiehe, davon kann man nicht ſo reden; ſie hat
„ausgelitten; und ich muß entweder noch fortwirken oder fort-
„leiden!“ Von einem Freunde, welcher Tags zuvor ihn noch
ſahe, redete er mit vieler Ehrfurcht und Liebe, und ſagte: „Ich
„habe oͤfters Gelegenheit gehabt, ihn zu ſehen; da hab ich viel
„von theoſophiſchen Gegenſtaͤnden, deren ganzes Reich er durch-
„forſcht hat, mit ihm geſprochen, und da lernte ich ſein Herz kennen!“
Spaͤter ſagte ich ihm, dieſe Maibluͤmchen (die auf ſeinem
Tiſchchen ſtanden) ſind doch gar zu ſchoͤn; worauf er in ſeinem
muntern Sinne erwiederte: „Mir iſt nichts zu ſchoͤn;“ und
als ſeine zweite Tochter darnach zu ihm ſagte: Ja, L. V. Sie
werden bald noch ganz andere Schoͤnheiten zu ſehen kriegen!
entgegnete er: „Das kann man nicht wiſſen, nur fuͤhlen!“
Weiterhin ſprach er: „Ich habe Euch alle ſo lieb, und doch
„wird mir die Trennung ſo leicht!“ Als ihm ſein aͤlteſter Sohn
erwiederte: Das macht, weil Sie den Herrn ſo lieb haben,
antwortete er: „Ja, das iſt es!“ Zu demſelben ſagte er
ſpaͤter: „In deinem Glauben bleibe, der hat mich nie irre ge-
„fuͤhrt, der wird auch dich treu leiten; und da wollen wir Alle
„anhalten!“ Dann ſagte er: „Bleibt nur in der Liebe, Ihr
„lieben Engel!“ Und als ihm ſeine dritte Tochter entgegnete:
Sie ſind unſer Engel, L. V., antwortete er: „Wir wollen es
„uns gegenſeitig ſeyn!“ Waͤhrend dem nahte die Nachtzeit, und
er legte ſich mehrmals, um zu ſchlafen; — uͤberhaupt war ſein
ganzes Weſen ruhig. Sobald er erwachte und Veranlaſſung
und Kraft zum Reden fand, that er es. — So ſagte er ein-
mal: „Wenn unſer Erloͤſer das nur zu trinken gehabt haͤtte,
„was ich habe, dann waͤre es noch gut fuͤr ihn geweſen: aber
„da haben ſie ihm Eſſig gegeben, die Zunge herausgeſtreckt, ihn
„verhoͤhnt, und er ſprach: Vater! verzeih ihnen, ſie wiſſen
„nicht, was ſie thun; das war das groͤßte Gebet, was je aus-
„geſprochen worden.“ Und darauf betete er: „Vater, wenn
„es dein heiliger Wille iſt, daß ich noch ferner hier bleibe, ſo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/651>, abgerufen am 22.11.2024.
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