Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

sen bleiben, und sprach wenig oder nichts, auch war seine Be-
ängstigung schon damals vorüber, und die heitere Ruhe glänzte
aus seinen großen geistvollen Augen.

Die Uhren, welche neben ihm hingen, hatte er bis an diesen
Tag selbst aufgezogen, auch seine Ringe in der Schublade des
neben ihm stehenden Tischchens, und dergleichen Dinge, nachge-
zählt, und seine Ordnungsliebe, die ihm zu seinen zahlreichen
Geschäften stets so förderlich gewesen war, verließ ihn nicht bis
zu den letzten Augenblicken, wo er noch darauf bedacht war,
die Getränke und Arzneien, die er immer selbst begehrte, und
öfters abschlug, wenn man sie ihm früher darreichte, mit An-
stand zu nehmen. Auch ließ er noch zuvor abgewelkte Blumen
mit frischen vertauschen, die er alle bei Namen zu nennen wußte,
und auf sein Tischchen stellen. Nachmittags begehrte er wieder
ein Pfeifchen zu rauchen und war heiter und ruhig. Da ihm
seine Lippen geschwollen waren, bat er sich eine gläserne Röhre
zum Trinken aus, und gab an, wo wir sie, da sie zu lang war,
abnehmen sollten; damit war er mit dieser Art zu Trinken sehr
zufrieden, und sagte scherzhaft: "Bei der gläsernen Röhre mer-
"ken auch die Douanen im Halse nichts vom Trinken."

Gegen Abend schlummerte er wieder mehr, weßhalb auch we-
niger Freunde den Wunsch, ihn, den Verehrten, nochmals zu
sehen, befriedigen konnten, weil ihn das öftere Bewegen an der
Thüre störte.

Als er einmal erwachte, sagte er zu seinen anwesenden Töch-
tern: "Immer meine ich, es wäre Morgen. Nun
jenseits wird es sich wohl aufklären
."

Wie seine zweite Tochter ihm einen Blumenstrauß von ihren
Zöglingen, die er alle unaussprechlich liebte, mitbrachte mit den
Worten: L. V. diese Blumen schicken Ihnen die Kinder, erwie-
derte er mit seinem herzlichen Tone: "Die lieben Kinder! Sie
"sind auch wie die zarten Blumen, die sich willig entfalten,
"und der Sonne stille halten!"

Gegen sechs Uhr klagte er seinem freundschaftlichen Arzte von
selbst alle seine Umstände, und fing noch ein Gespräch über die
Güte des Trinkwassers von dem Herrnbrunnen in Baden-Baden
mit demselben an. Bald darauf langte, den ehrwürdigen Vater

ſen bleiben, und ſprach wenig oder nichts, auch war ſeine Be-
aͤngſtigung ſchon damals voruͤber, und die heitere Ruhe glaͤnzte
aus ſeinen großen geiſtvollen Augen.

Die Uhren, welche neben ihm hingen, hatte er bis an dieſen
Tag ſelbſt aufgezogen, auch ſeine Ringe in der Schublade des
neben ihm ſtehenden Tiſchchens, und dergleichen Dinge, nachge-
zaͤhlt, und ſeine Ordnungsliebe, die ihm zu ſeinen zahlreichen
Geſchaͤften ſtets ſo foͤrderlich geweſen war, verließ ihn nicht bis
zu den letzten Augenblicken, wo er noch darauf bedacht war,
die Getraͤnke und Arzneien, die er immer ſelbſt begehrte, und
oͤfters abſchlug, wenn man ſie ihm fruͤher darreichte, mit An-
ſtand zu nehmen. Auch ließ er noch zuvor abgewelkte Blumen
mit friſchen vertauſchen, die er alle bei Namen zu nennen wußte,
und auf ſein Tiſchchen ſtellen. Nachmittags begehrte er wieder
ein Pfeifchen zu rauchen und war heiter und ruhig. Da ihm
ſeine Lippen geſchwollen waren, bat er ſich eine glaͤſerne Roͤhre
zum Trinken aus, und gab an, wo wir ſie, da ſie zu lang war,
abnehmen ſollten; damit war er mit dieſer Art zu Trinken ſehr
zufrieden, und ſagte ſcherzhaft: „Bei der glaͤſernen Roͤhre mer-
„ken auch die Douanen im Halſe nichts vom Trinken.“

Gegen Abend ſchlummerte er wieder mehr, weßhalb auch we-
niger Freunde den Wunſch, ihn, den Verehrten, nochmals zu
ſehen, befriedigen konnten, weil ihn das oͤftere Bewegen an der
Thuͤre ſtoͤrte.

Als er einmal erwachte, ſagte er zu ſeinen anweſenden Toͤch-
tern: „Immer meine ich, es waͤre Morgen. Nun
jenſeits wird es ſich wohl aufklaͤren
.“

Wie ſeine zweite Tochter ihm einen Blumenſtrauß von ihren
Zoͤglingen, die er alle unausſprechlich liebte, mitbrachte mit den
Worten: L. V. dieſe Blumen ſchicken Ihnen die Kinder, erwie-
derte er mit ſeinem herzlichen Tone: „Die lieben Kinder! Sie
„ſind auch wie die zarten Blumen, die ſich willig entfalten,
„und der Sonne ſtille halten!“

Gegen ſechs Uhr klagte er ſeinem freundſchaftlichen Arzte von
ſelbſt alle ſeine Umſtaͤnde, und fing noch ein Geſpraͤch uͤber die
Guͤte des Trinkwaſſers von dem Herrnbrunnen in Baden-Baden
mit demſelben an. Bald darauf langte, den ehrwuͤrdigen Vater

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0650" n="642"/>
&#x017F;en bleiben, und &#x017F;prach wenig oder nichts, auch war &#x017F;eine Be-<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tigung &#x017F;chon damals voru&#x0364;ber, und die heitere Ruhe gla&#x0364;nzte<lb/>
aus &#x017F;einen großen gei&#x017F;tvollen Augen.</p><lb/>
        <p>Die Uhren, welche neben ihm hingen, hatte er bis an die&#x017F;en<lb/>
Tag &#x017F;elb&#x017F;t aufgezogen, auch &#x017F;eine Ringe in der Schublade des<lb/>
neben ihm &#x017F;tehenden Ti&#x017F;chchens, und dergleichen Dinge, nachge-<lb/>
za&#x0364;hlt, und &#x017F;eine Ordnungsliebe, die ihm zu &#x017F;einen zahlreichen<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;ften &#x017F;tets &#x017F;o fo&#x0364;rderlich gewe&#x017F;en war, verließ ihn nicht bis<lb/>
zu den letzten Augenblicken, wo er noch darauf bedacht war,<lb/>
die Getra&#x0364;nke und Arzneien, die er immer &#x017F;elb&#x017F;t begehrte, und<lb/>
o&#x0364;fters ab&#x017F;chlug, wenn man &#x017F;ie ihm fru&#x0364;her darreichte, mit An-<lb/>
&#x017F;tand zu nehmen. Auch ließ er noch zuvor abgewelkte Blumen<lb/>
mit fri&#x017F;chen vertau&#x017F;chen, die er alle bei Namen zu nennen wußte,<lb/>
und auf &#x017F;ein Ti&#x017F;chchen &#x017F;tellen. Nachmittags begehrte er wieder<lb/>
ein Pfeifchen zu rauchen und war heiter und ruhig. Da ihm<lb/>
&#x017F;eine Lippen ge&#x017F;chwollen waren, bat er &#x017F;ich eine gla&#x0364;&#x017F;erne Ro&#x0364;hre<lb/>
zum Trinken aus, und gab an, wo wir &#x017F;ie, da &#x017F;ie zu lang war,<lb/>
abnehmen &#x017F;ollten; damit war er mit die&#x017F;er Art zu Trinken &#x017F;ehr<lb/>
zufrieden, und &#x017F;agte &#x017F;cherzhaft: &#x201E;Bei der gla&#x0364;&#x017F;ernen Ro&#x0364;hre mer-<lb/>
&#x201E;ken auch die Douanen im Hal&#x017F;e nichts vom Trinken.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Gegen Abend &#x017F;chlummerte er wieder mehr, weßhalb auch we-<lb/>
niger Freunde den Wun&#x017F;ch, ihn, den Verehrten, nochmals zu<lb/>
&#x017F;ehen, befriedigen konnten, weil ihn das o&#x0364;ftere Bewegen an der<lb/>
Thu&#x0364;re &#x017F;to&#x0364;rte.</p><lb/>
        <p>Als er einmal erwachte, &#x017F;agte er zu &#x017F;einen anwe&#x017F;enden To&#x0364;ch-<lb/>
tern: &#x201E;<hi rendition="#g">Immer meine ich, es wa&#x0364;re Morgen. Nun<lb/>
jen&#x017F;eits wird es &#x017F;ich wohl aufkla&#x0364;ren</hi>.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wie &#x017F;eine zweite Tochter ihm einen Blumen&#x017F;trauß von ihren<lb/>
Zo&#x0364;glingen, die er alle unaus&#x017F;prechlich liebte, mitbrachte mit den<lb/>
Worten: L. V. die&#x017F;e Blumen &#x017F;chicken Ihnen die Kinder, erwie-<lb/>
derte er mit &#x017F;einem herzlichen Tone: &#x201E;Die lieben Kinder! Sie<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind auch wie die zarten Blumen, die &#x017F;ich willig entfalten,<lb/>
&#x201E;und der Sonne &#x017F;tille halten!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Gegen &#x017F;echs Uhr klagte er &#x017F;einem freund&#x017F;chaftlichen Arzte von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t alle &#x017F;eine Um&#x017F;ta&#x0364;nde, und fing noch ein Ge&#x017F;pra&#x0364;ch u&#x0364;ber die<lb/>
Gu&#x0364;te des Trinkwa&#x017F;&#x017F;ers von dem Herrnbrunnen in Baden-Baden<lb/>
mit dem&#x017F;elben an. Bald darauf langte, den ehrwu&#x0364;rdigen Vater<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[642/0650] ſen bleiben, und ſprach wenig oder nichts, auch war ſeine Be- aͤngſtigung ſchon damals voruͤber, und die heitere Ruhe glaͤnzte aus ſeinen großen geiſtvollen Augen. Die Uhren, welche neben ihm hingen, hatte er bis an dieſen Tag ſelbſt aufgezogen, auch ſeine Ringe in der Schublade des neben ihm ſtehenden Tiſchchens, und dergleichen Dinge, nachge- zaͤhlt, und ſeine Ordnungsliebe, die ihm zu ſeinen zahlreichen Geſchaͤften ſtets ſo foͤrderlich geweſen war, verließ ihn nicht bis zu den letzten Augenblicken, wo er noch darauf bedacht war, die Getraͤnke und Arzneien, die er immer ſelbſt begehrte, und oͤfters abſchlug, wenn man ſie ihm fruͤher darreichte, mit An- ſtand zu nehmen. Auch ließ er noch zuvor abgewelkte Blumen mit friſchen vertauſchen, die er alle bei Namen zu nennen wußte, und auf ſein Tiſchchen ſtellen. Nachmittags begehrte er wieder ein Pfeifchen zu rauchen und war heiter und ruhig. Da ihm ſeine Lippen geſchwollen waren, bat er ſich eine glaͤſerne Roͤhre zum Trinken aus, und gab an, wo wir ſie, da ſie zu lang war, abnehmen ſollten; damit war er mit dieſer Art zu Trinken ſehr zufrieden, und ſagte ſcherzhaft: „Bei der glaͤſernen Roͤhre mer- „ken auch die Douanen im Halſe nichts vom Trinken.“ Gegen Abend ſchlummerte er wieder mehr, weßhalb auch we- niger Freunde den Wunſch, ihn, den Verehrten, nochmals zu ſehen, befriedigen konnten, weil ihn das oͤftere Bewegen an der Thuͤre ſtoͤrte. Als er einmal erwachte, ſagte er zu ſeinen anweſenden Toͤch- tern: „Immer meine ich, es waͤre Morgen. Nun jenſeits wird es ſich wohl aufklaͤren.“ Wie ſeine zweite Tochter ihm einen Blumenſtrauß von ihren Zoͤglingen, die er alle unausſprechlich liebte, mitbrachte mit den Worten: L. V. dieſe Blumen ſchicken Ihnen die Kinder, erwie- derte er mit ſeinem herzlichen Tone: „Die lieben Kinder! Sie „ſind auch wie die zarten Blumen, die ſich willig entfalten, „und der Sonne ſtille halten!“ Gegen ſechs Uhr klagte er ſeinem freundſchaftlichen Arzte von ſelbſt alle ſeine Umſtaͤnde, und fing noch ein Geſpraͤch uͤber die Guͤte des Trinkwaſſers von dem Herrnbrunnen in Baden-Baden mit demſelben an. Bald darauf langte, den ehrwuͤrdigen Vater

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/650
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/650>, abgerufen am 10.06.2024.