Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen. Dortchen zitterte, und fuhr zusammen, wenn ein
Vogel aus einem Strauch in die Höhe flog. Ich hörte die
Erzählung noch immer gern, sagte sie; wenn ich hier so sitze,
und wenn ich es noch zehnmal höre, so werde ich es doch nicht
müde. Laßt uns ein wenig um den Wall spatzieren. Sie
gingen zusammen um den Wall und Dortchen sang:

Es leuchten drei Sterne über ein Königes Haus,
Drei Jungfräulein wohnten darin:,:
Ihr Vater war weit über Land hinaus
Auf ein'm weißen Rösselein.
Sternelein blinzet zu Leide!
Siehst du das weiße Rößlein noch nicht,
Ach Schwesterlein untig im Thal?:,:
Ich seh es, mein's Vaters Rösselein, licht,
Er trabet da muthig im Thal.
Sternelein blinzet zu Leide!
Ich seh es, das Rößlein, mein Vater nicht drauf.
Ach Schwesterlein! Vater ist todt!:,:
Mein Herzel ist mir es betrübet.
Wie ist mir der Himmel so roth!
Sternelein blinzet zu Leide!
Da trat ein Reiter im blutigen Rock
In's dunkle Kämmerlein klein:,:
Ach, blutiger Mann, wir bitten dich hoch,
Laß leben uns Jungfräuelein.
Sternelein blinzet zu Leide!
Ihr könnt nicht leben Jungfräulein zart;
Mein Weiblein frisch und schön:,:
Erstach mir eu'r Vater im Garten so hart,
Ein Bächlein von Blut floß daher.
Sternelein blinzet zu Leide!
Ich fand ihn, den Mörder, im Walde grün,
Ich nahm ihm sein Rößlein ab:,:
Und stach ihm das Messer ins Herze;
Er fiel drauf den Felsen herab.
Sternelein blinzet zu Leide!

ſehen. Dortchen zitterte, und fuhr zuſammen, wenn ein
Vogel aus einem Strauch in die Hoͤhe flog. Ich hoͤrte die
Erzaͤhlung noch immer gern, ſagte ſie; wenn ich hier ſo ſitze,
und wenn ich es noch zehnmal hoͤre, ſo werde ich es doch nicht
muͤde. Laßt uns ein wenig um den Wall ſpatzieren. Sie
gingen zuſammen um den Wall und Dortchen ſang:

Es leuchten drei Sterne über ein Königes Haus,
Drei Jungfräulein wohnten darin:,:
Ihr Vater war weit über Land hinaus
Auf ein’m weißen Röſſelein.
Sternelein blinzet zu Leide!
Siehſt du das weiße Rößlein noch nicht,
Ach Schweſterlein untig im Thal?:,:
Ich ſeh es, mein’s Vaters Röſſelein, licht,
Er trabet da muthig im Thal.
Sternelein blinzet zu Leide!
Ich ſeh es, das Rößlein, mein Vater nicht drauf.
Ach Schweſterlein! Vater iſt todt!:,:
Mein Herzel iſt mir es betrübet.
Wie iſt mir der Himmel ſo roth!
Sternelein blinzet zu Leide!
Da trat ein Reiter im blutigen Rock
In’s dunkle Kämmerlein klein:,:
Ach, blutiger Mann, wir bitten dich hoch,
Laß leben uns Jungfräuelein.
Sternelein blinzet zu Leide!
Ihr könnt nicht leben Jungfräulein zart;
Mein Weiblein friſch und ſchön:,:
Erſtach mir eu’r Vater im Garten ſo hart,
Ein Bächlein von Blut floß daher.
Sternelein blinzet zu Leide!
Ich fand ihn, den Mörder, im Walde grün,
Ich nahm ihm ſein Rößlein ab:,:
Und ſtach ihm das Meſſer ins Herze;
Er fiel drauf den Felſen herab.
Sternelein blinzet zu Leide!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0065" n="57"/>
&#x017F;ehen. <hi rendition="#g">Dortchen</hi> zitterte, und fuhr zu&#x017F;ammen, wenn ein<lb/>
Vogel aus einem Strauch in die Ho&#x0364;he flog. Ich ho&#x0364;rte die<lb/>
Erza&#x0364;hlung noch immer gern, &#x017F;agte &#x017F;ie; wenn ich hier &#x017F;o &#x017F;itze,<lb/>
und wenn ich es noch zehnmal ho&#x0364;re, &#x017F;o werde ich es doch nicht<lb/>
mu&#x0364;de. Laßt uns ein wenig um den Wall &#x017F;patzieren. Sie<lb/>
gingen zu&#x017F;ammen um den Wall und <hi rendition="#g">Dortchen</hi> &#x017F;ang:</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Es leuchten drei Sterne über ein Königes Haus,</l><lb/>
                <l>Drei Jungfräulein wohnten darin:,:</l><lb/>
                <l>Ihr Vater war weit über Land hinaus</l><lb/>
                <l>Auf ein&#x2019;m weißen Rö&#x017F;&#x017F;elein.</l><lb/>
                <l>Sternelein blinzet zu Leide!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Sieh&#x017F;t du das weiße Rößlein noch nicht,</l><lb/>
                <l>Ach Schwe&#x017F;terlein untig im Thal?:,:</l><lb/>
                <l>Ich &#x017F;eh es, mein&#x2019;s Vaters Rö&#x017F;&#x017F;elein, licht,</l><lb/>
                <l>Er trabet da muthig im Thal.</l><lb/>
                <l>Sternelein blinzet zu Leide!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Ich &#x017F;eh es, das Rößlein, mein Vater nicht drauf.</l><lb/>
                <l>Ach Schwe&#x017F;terlein! Vater i&#x017F;t todt!:,:</l><lb/>
                <l>Mein Herzel i&#x017F;t mir es betrübet.</l><lb/>
                <l>Wie i&#x017F;t mir der Himmel &#x017F;o roth!</l><lb/>
                <l>Sternelein blinzet zu Leide!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Da trat ein Reiter im blutigen Rock</l><lb/>
                <l>In&#x2019;s dunkle Kämmerlein klein:,:</l><lb/>
                <l>Ach, blutiger Mann, wir bitten dich hoch,</l><lb/>
                <l>Laß leben uns Jungfräuelein.</l><lb/>
                <l>Sternelein blinzet zu Leide!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="5">
                <l>Ihr könnt nicht leben Jungfräulein zart;</l><lb/>
                <l>Mein Weiblein fri&#x017F;ch und &#x017F;chön:,:</l><lb/>
                <l>Er&#x017F;tach mir eu&#x2019;r Vater im Garten &#x017F;o hart,</l><lb/>
                <l>Ein Bächlein von Blut floß daher.</l><lb/>
                <l>Sternelein blinzet zu Leide!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="6">
                <l>Ich fand ihn, den Mörder, im Walde grün,</l><lb/>
                <l>Ich nahm ihm &#x017F;ein Rößlein ab:,:</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;tach ihm das Me&#x017F;&#x017F;er ins Herze;</l><lb/>
                <l>Er fiel drauf den Fel&#x017F;en herab.</l><lb/>
                <l>Sternelein blinzet zu Leide!</l>
              </lg><lb/>
              <l>
</l>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0065] ſehen. Dortchen zitterte, und fuhr zuſammen, wenn ein Vogel aus einem Strauch in die Hoͤhe flog. Ich hoͤrte die Erzaͤhlung noch immer gern, ſagte ſie; wenn ich hier ſo ſitze, und wenn ich es noch zehnmal hoͤre, ſo werde ich es doch nicht muͤde. Laßt uns ein wenig um den Wall ſpatzieren. Sie gingen zuſammen um den Wall und Dortchen ſang: Es leuchten drei Sterne über ein Königes Haus, Drei Jungfräulein wohnten darin:,: Ihr Vater war weit über Land hinaus Auf ein’m weißen Röſſelein. Sternelein blinzet zu Leide! Siehſt du das weiße Rößlein noch nicht, Ach Schweſterlein untig im Thal?:,: Ich ſeh es, mein’s Vaters Röſſelein, licht, Er trabet da muthig im Thal. Sternelein blinzet zu Leide! Ich ſeh es, das Rößlein, mein Vater nicht drauf. Ach Schweſterlein! Vater iſt todt!:,: Mein Herzel iſt mir es betrübet. Wie iſt mir der Himmel ſo roth! Sternelein blinzet zu Leide! Da trat ein Reiter im blutigen Rock In’s dunkle Kämmerlein klein:,: Ach, blutiger Mann, wir bitten dich hoch, Laß leben uns Jungfräuelein. Sternelein blinzet zu Leide! Ihr könnt nicht leben Jungfräulein zart; Mein Weiblein friſch und ſchön:,: Erſtach mir eu’r Vater im Garten ſo hart, Ein Bächlein von Blut floß daher. Sternelein blinzet zu Leide! Ich fand ihn, den Mörder, im Walde grün, Ich nahm ihm ſein Rößlein ab:,: Und ſtach ihm das Meſſer ins Herze; Er fiel drauf den Felſen herab. Sternelein blinzet zu Leide!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/65
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/65>, abgerufen am 24.11.2024.